Michael Koser
Donnerstag, 28. August 2025 08:31
Das Geheimnis von Craven-Hall
Michael Koser: Das Geheimnis von Craven-Hall (RIAS 197

(nach Catherine Louisa Pirkis: The Murder of Troyte's Hill)
Versetzen Sie sich nun im Geiste zurück, um ein gutes dreiviertel Jahrhundert, in die Zeit der Gasbeleuchtung und der Pferdedroschken und folgen sie mir in das Gerichtsgebäude einer kleinen englischen Stadt, wo gerade eine Totenschau abgehalten wird, ein Mord hat stattgefunden.
Richter: Und dann sahen Sie die Leiche.
Butler Hales: Jawohl euer Ehren, ich erblickte den dahingeschiedenen in seinem Blute liegen, inmitten dieser chaotischen Umgebung, es war abscheulich, wenn ich mir diesen starken Ausdruck gestatten darf.
Richter: So. Und was taten Sie dann?
Butler: Ich sagte oh!
Richter: Oh?
Butler: Jawohl euer Ehren, oh, ich erinnere mich genau.
Richter: Und dann?
Butler: Äh, dann dachte ich nach.
Richter: In der Tat. Und?
Butler: Ich äh ich dachte also nach, etwa 2 Minuten, würde ich sagen, dann kam ich zu der Überzeugung, dies sei ein Fall für die Polizei, daher beschloß ich mich nach Grenfell zu begeben und Wachtmeister Williams zu benachrichtigen.
Wachtmeister: Bei dem Toten handelt es sich um einen gewissen Alexander Henderson, allgemein bekannt als Old Sandy, 62 Jahre alt, Gärtner bei Mr. Craven auf Craven Hall, in dieser Eigenschaft bewohnte er eine Hütte im Park des besagten Mr. Craven, nicht weit vom Herrenhaus entfernt. Dort.
Richter: Dort fand ihn Mr. Cravens Butler, in leblosem Zustand, worüber er Sie informierte, das ist uns bereits bekannt, Wachtmeister, wir wollen von Ihnen wissen, ob Ihnen etwas besonders auffiel, als Sie die Leiche in Augenschein nahmen.
Wachtmeister: Gewiß euer Ehren, in dem Zimmer herrschte ein unglaubliches Durcheinander, ganz abgesehen von der Leiche, ein Tohuwabohu, gar nicht zu beschreiben.
Richter: Machen Sie uns die Freunde und versuchen Sie es trotzdem.
Wachtmeister: Ja euer Ehren, äh, das Bett war umgestürzt, desgleichen der Tisch und ein Stuhl, der zweite Stuhl stand auf dem Kleiderschrank, Laken und Bettdecke waren zusammengerollt und in den Kamin gestopft worden, Vasen und anderes Geschirr lagen in Scherben auf dem Fußboden, als ob eine Horde Affen gehaust hätte.
Dr. Johnson: Sofortiger Exitus war natürlich die Folge.
Richter: Natürlich, würde es Ihnen etwas ausmachen, Doktor Johnson, Ihre Aussage kurz zu wiederholen, wenn möglich so, daß sie auch für einen medizinischen Laien verständlich wird.
Dr.: Wie Sie wünschen, euer Ehren, ich möchte aber darauf hinweisen, daß laienhafte Formulierungen nicht gerade zur wissenschaftlichen Präzision beitragen.
Richter: Wir werden uns damit abfinden, Doktor, die Todesursache war also.
Dr.: Schlicht gesagt, ein Schlag auf den Schädel ausgeführt mit einem stumpfen Gegenstand und großer Körperkraft, die Lage des Toten auf dem Fußboden des Zimmers, direkt unter dem offenen Fenster, deutet darauf hin, daß er den Schlag erhielt, während er den Kopf aus dem Fenster steckte.
Richter: Interessant, und wann.
Dr.: Der Tod trat etwa 12 Stunden vor meiner Untersuchung ein, also zwischen 5 und 6 Uhr am frühen Morgen des 8. September 1901, darauf läßt auch die Tatsache schließen, daß der Tote lediglich mit einem Nachthemd aus himmelblauem Flanell bekleidet war.
Craven: Familienfaktotum könnte man sagen, treuer Diener, seit ich in Oxford war, als Student, wissen Sie, alte neue und vergleichende Philologie, damals fing ich an mit meinen Forschungen über die Ursprache der Menschheit, ich weiß nicht ob sie sich vorstellen können.
Richter: Gewiß Mr. Craven, äh hatte der Tote Ihres Wissens Feinde?
Craven: Feinde, wer?
Richter: Handerson natürlich.
Craven: Sandy, meinen Sie, Feinde, ganz bestimmt nicht, eine Seele von Mensch, allgemein beliebt.
Richter: Demnach glauben Sie nicht, daß der Täter in seinem Wirkungskreise zu suchen wäre.
Craven: Unsinn, völlig unmöglich, ein Landstreicher vielleicht oder ein Irrer.
Richter: Gestatten Sie mir zum Schluß dieser Totenschau einige notwendige Betrachtungen, der Fall liegt noch in den bewährten Händen der hiesigen Kriminalpolizei und ich bin sicher, daß Inspector Griffin, der die bisherigen Untersuchungen mit großer Umsicht geleitet hat, bald den Urheber dieser schändlichen Tat ermitteln und der gerechten Strafe zuführen wird, aber wie ich soeben erfahren habe, gedenkt der Polizeipräsident unserer Grafschaft einen Londoner Spezialisten hinzuziehen, angesichts gewisser angeblich merkwürdiger Umstände des Falles und angesichts der Tatsache, daß eine angesehene Familie wenn auch nur indirekt betroffen sei, wir halten dies, wir sagen es in aller Offenheit, für eine durchaus unnötige Maßnahme, ja noch mehr, für eine Verschwendung von Steuergeldern, denn kann wohl ein Zweifel daran bestehen, daß es sich beim Täter um einen Wahnsinnigen handelt, der durch eine Überprüfung der einschlägigen Anstalten in der Umgebung leicht zu ermitteln sein dürfte, für uns ergibt sich daraus wieder einmal die traurige Veranlassung, auf den gefährlichen Geist dieser unserer modernen Zeit, warnend hinzuweisen, auf die beklagenswerte Hektik des kaum begonnenen Jahrhunderts, die sich ausdrückt in Automobilen, Telefonen und weiß der Himmel noch was für entsetzlichen Erfindungen, auf die verfehlte Sucht nach neuem, die das bewährte alte verachten zu müssen glaubt, all dieses kann wie wir leider schon des öfteren festzustellen hatten, ungefestigte Charaktere in kriminellen Irrsinn stürzen, bedenken Sie dies meine Herren vom der Jury, wenn sie sich nunmehr zurückziehen um ihren Spruch zu beraten.
Inspektor Griffin: Mord durch eine oder mehrere unbekannte Personen, na das war zu erwarten, dann machen Sie mir mal eine Liste aller Sanatorien in der Grafschaft, damit wir sie in den nächsten Tagen abklappern können.
Wachtmeister: Schon dabei, Inspektor, was meinen sie, vielleicht haben wir den Burschen schon, bevor dieser Spezialist aus dem Zug steigt.
Inspektor: Ihr Wort in Gottes Ohr, Williams und in das des Herrn Polizeipräsidenten.
Gordon: Eine Dame möchte sie sprechen, Inspektor.
Inspektor: Eine Dame, Sie können gehen Williams, und Sie auch Gordon.
Miss Brooke: Inspektor Griffin?
Inspektor: Zu Ihren Diensten, Mam.
Brooke: Mein Name ist Brooke, Miss Loveday Brooke.
Inspektor: Erfreut, möchten Sie nicht Platz nehmen und vielleicht eine Tasse Tee?
Brooke: Danke aber zu einem Plauderstündchen bin ich eigentlich nicht gekommen, haben Sie mein Telegramm nicht erhalten?
Inspektor: Telegramm, was für ein Telegramm?
Brooke: Ich soll hier einen Fall lösen, mit dem Sie allein nicht fertig werden, den Mord an Alexander Henderson.
Inspektor: Moment mal, Brook. Brook ah, dann sind Sie ja der Spezialist aus London.
Brooke: Ich bin wie sie sehen die Spezialistin aus London, Sie dürfen den Mund wieder zumachen, Inspektor, haben Sie übrigens etwas dagegen wenn ich rauche.
Inspektor: Ja, ich meine natürlich nein, bitte entschuldigen Sie meine Verwirrung, ich habe natürlich keine Dame erwartet.
Brooke: Natürlich nicht, ein weiblicher Detektiv, der auch noch raucht, das ist ja wohl der Gipfel, die muß ein Mannweib sein, ein Blaustrumpf, eine Suffragette, wenn nicht noch schlimmeres, so nachdem ich Ihnen das Wort aus dem Munde genommen und das ***gatorische Vorgeplänkel.
Inspektor: Aber ich bitte sie ganz und gar nicht.
Brooke: Sollten wir vielleicht mit der Arbeit anfangen, was bei der Totenschau ausgesagt wurde, können Sie voraussetzen, ich war da, klein und bescheiden, in der letzten Reihe, Sie haben mich sicher nicht gesehen.
Inspektor: Ich muß gestehen.
Brooke: Macht nichts, macht nichts, meinen Sie übrigens auch wie der in Ehren vergreiste Richter, daß der Täter ein Geisterkranker ist?
Inspektor: Ich weiß nicht so recht.
Brooke: Sehr schön, sehr schön, immer offen bleiben, das ist mein Motto, ein guter Detektiv geht ohne Vorurteil und vorgefaßte Meinung an seine Fälle, und Sie sind doch ein guter Detektiv.
Inspektor: Ich hoffe es.
Brooke: Ich auch, das würde unsere Zusammenarbeit nämlich sehr erleichtern, gut ans Werk Inspektor, äh zunächst will ich von Ihnen nichts weiter als ein paar Informationen, also erzählen Sie mir was von den Cravens auf Craven Hall.
Inspektor: Ja, aber, aber Sie glauben doch nicht.
Brooke: Ich glaube gar nichts, Inspektor, bitte.
Inspektor: Ja, die Cravens, immer noch eine der angesehensten Familien in der Grafschaft, heutzutage allerdings wie soll ich sagen, ein bißchen heruntergekommen, Craven Hall soll stark verschuldet sein, Mr. Craven senior haben Sie ja wohl bei der Totenschau erlebt, ein Gelehrter, zerstreut, weltfremd, schreibt seit Jahrzehnten an einem großen Werk über die Urlaute der Menschheit oder so ähnlich und interessiert sich für nichts anderes, Witwer, hat 2 Kinder, Cilia 18 und Walter 20.
Brooke: Warum sind die beiden nicht bei der Totenschau vernommen worden?
Inspektor: Ganz einfach, Cilia ist in Liverpool bei Bekannten.
Brooke: So, wann abgereist?
Inspektor: Am 7. September, einen Tag vor dem Mord, abends, in einem gemieteten Automobil, wir haben nachgefragt, routinemäßig, und der Chauffeur hat es bestätigt.
Brooke: Damit hätte Miss Craven ein Alibi.
Inspektor: Nicht, daß sie es brauchte, Cilia hätte nie die Kraft gehabt, Sandy den Schädel einzuschlagen, sie ist ein nettes Mädchen, hat so gar nichts von diesen modernen jungen Frauen die auf Tennisplätzen herumflirten und die Straßen mit dem Velociped unsicher machen.
Brooke: Danke sehr.
Inspektor: Ai, das war natürlich nicht persönlich gemeint.
Brooke: Geschenkt. Inspektor, geschenkt, weiter, Walter Craven.
Inspektor: Krank, Gelbsucht, er liegt isoliert von der Außenwelt in einem Seitenflügel von Craven Hall.
Brooke: Seit wann?
Inspektor: Warten Sie mal, ja, seit dem 7. September.
Brooke: Die Tochter verreist, der Sohn wird krank, genau zur gleichen Zeit, merkwürdig, finden Sie nicht.
Inspektor: Merkwürdig, reiner Zufall.
Brooke: Glauben Sie wirklich, woher wollen Sie wissen, daß Walter den kranken nicht nur spielt.
Inspektor: Auch wenn wir hier nicht bei Scotland Yard sind, so leicht lassen wir uns nicht an der Nase herumführen, Mr. Craven Junior hat ein ordnungsgemäßes ärztliches Attest vorgelegt, als er zur Totenschau bestellt wurde.
Brooke: Wer hat das Attest unterschrieben, der Hausarzt?
Inspektor: Ja, das nehm ich doch an.
Brooke: Aber sie wissen es nicht genau.
Inspektor: Nein.
Brooke: Dann prüfen sie es bitte nach.
Inspektor: Wenn sie unbedingt wollen.
Brooke: Ja, die Sache ist wichtig, es geht immerhin um Walter Craven Alibi.
Inspektor: Ach das Alibi, das steht sowieso fest. Jonny Hales, der Butler, ist bereit zu beschwören, daß in der fraglichen Nacht weder Walter noch sonst jemand Craven Hall verlassen hat.
Brooke: So, und woher weiß er das so genau?
Inspektor: Hales hat sein Zimmer direkt neben der Tür, die Scharniere quietschen entsetzlich, dazu kommt, daß der alte Hales wie so oft wegen seines Rheumas die ganze Nacht wachblieb, also niemand konnte in der Mordnacht aus dem Haus gehen ohne daß der Butler es hörte.
Brooke: Nicht schlecht soweit, aber eines haben Sie vergessen, oder einen, Hales selbst.
Inspektor: Kaum, würde er dann wohl allen anderem im Haus ein Alibi geben?
Brooke: Da könnten Sie recht haben, gut, legen wir Mr. Hales und das Problem der Alibis erst mal aufs Eis, fragen wir nach den Motiven, wer hätte einen Grund haben können, Sandy Henderson umzubringen? Hales?
Inspektor: Tja, soviel ich weiß kamen die beiden nicht gerade gut miteinander aus, nach Hales lag Sandy den ganzen Tag faul auf seinem Bett herum, ließ den Park verwildern und bekam dafür von Mr. Craven einen höheren Lohn als der Butler.
Brooke: Interessant wenns stimmt, aber kaum ein Mordmotiv, die übrige Dienerschaft
Inspektor: Nur noch Köchin und Zimmermädchen, und die kommen nicht in Frage, nicht kräftig genug.
Brooke: Akzeptiert, und was ist mit Craven senior?
Inspektor: Nix. Im Gegenteil. Mr. Craven hing sehr an Sandy, obwohl der unter uns gesagt ein alter Streithammel war, auch wenn er an allen Ecken und Enden gespart werden mußte, für Sandy Lohn war immer genug da.
Brooke: Und wenn man Hales glauben kann, war Sandys Lohn nicht gerade winzig, dann fehlt uns also nur noch ein Motiv für Walter Craven, den so plötzlich erkranken.
Inspektor: Der hat seine eigenen Probleme, die mit Sandy nichts zu tun haben. Walter ist sozusagen der begehrteste junge Mann in Grenfell und Umgebung, alle unseren würdigen Geldverleiher sind hinter ihm her, wie der Teufel hinter der armen Seele, er hat so viel Schulden, daß ich nicht weiß wie er da jemals wieder rauskommen will, das Familiensilber hat er schon versetzt.
Brooke: Und zurzeit liegt er krank danieder, unerreichbar für seine Gläubiger, äußerst praktisch, wie gehts jetzt weiter, ihr Polizeipräsident sagte etwas von einer Stelle bei Craven, von einer Möglichkeit ins Haus zu kommen.
Inspektor: Richtig, Craven sucht für seine wissenschaftlichen Arbeiten einen Sekretär, eine Guinee pro Monat bei freier Station.
Brooke: Sehr verlockend.
Inspektor: Vielleicht kann ich ihn von den Qualitäten einer Sekretärin überzeugen.
Brooke: Tun sie das Inspektor, ich logiere im Ochsenkopf, wenn mit Craven alles klar geht, treffen wir uns morgen vormittag sagen wir um 10 und sie begleiten mich dann nach Craven Hall, einverstanden.
Inspektor: Ein gewöhnlicher Räuber wars mit Sicherheit nicht, Sandys Sparbuch und 200 Pfund in Bar lagen unberührt in seinem Schrank, also vielleicht doch ein irrer, dieses verwüstete Zimmer, das kann doch kein normaler Mensch gewesen sein.
Brooke: Aber Inspektor, immer schon offen bleiben, denken sie dran, es gibt mindestens noch 2 andere Möglichkeiten.
Inspektor: Und die wären?
Brooke: 1. der Mörder will uns täuschen, will uns glauben machen, Sandy sei von einem Wahnsinnigen erschlagen worden, 2. der Mörder hat etwas bestimmtes gesucht und wollte alle Spuren seiner Suche beseitigen.
Inspektor: Und das, verehrte Kollegin, ist Craven Hall.
Brooke: Aha, von weitem ganz hübsch, frühes 17 Jahrhundert nehm ich an.
Inspektor: Kann sein ich versteh nicht davon, die franzosischen Fenster rechts von der Tür, das ist das Arbeitszimmer von Mr. Craven.
Brooke: Und Walters Krankenlager?
Inspektor: Irgendwo im linken Seitenflügel im 2. Stock glaub ich.
Brooke: Da wir gerade von Walter reden, haben Sie sich um sein Attest gekümmert.
Inspektor: Hätte ich fast vergessen, das Attest ist von Dr. Waters in Grenfell ausgestellt worden.
Brooke: Und?
Inspektor: Dr. Waters ist zwar etwas kurzsichtig, und nicht mehr der jüngste, aber er würde nie ein Gefälligkeitsattest unterschreiben, auch nicht für die Cravens.
Brooke: Das rote Dach da über den Büschen, das gehört wohl zu Sandy Hütte.
Inspektor: Richtig, wir sind da.
Brooke: Dann liefern sie mal die neue Sekretärin ab, wir sehen uns wie besprochen um 5 in ihrem Büro.
Hales: Inspektor.
Inspektor: Tag Hales, ich bringe ihnen Mr. Cravens neue Sekretärin, Miss Brooke, er weiß Bescheid.
Hales: Miss äh bitte folgen sie mir.
Brooke: Einen Moment noch, ein Wort im Vertrauen, Inspektor.
Inspektor: Ja?
Brooke: Fragen sie ihn, ob er in der Mordnacht, als er nicht schlafen konnte, irgend ein ungewöhnliches Geräusch gehört hat, leben sie wohl Inspektor, und vielen Dank für ihre Mühe.
Inspektor: Nicht der Rede wert, Miss, ach Hales?
Hales: Sir?
Inspektor: In der Nacht, in der Sandy umgebracht wurde.
Hales: Ja Sir.
Inspektor: Haben sie da irgendetwas Ungewöhnliches gehört?
Hales: Ungewöhnlich Sir?
Inspektor: Ja ein auffälliges Geräusch, ein Geräusch das man normalerweise sonst nicht hört.
Hales: Ah ich verstehe, Sir, ich glaube nicht, Sir, falls man nicht die Tatsache, daß Kapitän geheut hat, für ungewöhnlich halten wollte.
Inspektor: Käptain?
Hales: Mr. Cravens irischer Setter, Sir.
Inspektor: Ah ja, wann war das?
Hales: Wenn ich mich recht erinnere, Sir, gegen 5 Uhr morgens, das war übrigens wenn ich das hinzufügen darf, das letzte mal, das Cäptain sich vernehmen ließ, seit dem ist er verschwunden.
Inspektor: Was sie nicht sagen.
Brooke: Der kuriosen Zwischenfall mit dem Hund in der Nacht, elementar mein lieber Inspektor.
Inspektor: Wie meinen.
Brooke: Oh nichts von Bedeutung, walten Sie ihres Amtes, Hales.
Hales: Sehr wohl, Miss, wie ich bereits bemerkte, folgen Sie mir.
Brooke: Eine schlimme Sache, der Mord an Ihrem Gärtner, Hales.
Hales: So ist es, Miss, Ihr Zimmer, Miss, ein Dichterzimmer von Miss Celia, die sich zur Zeit in Liverpool aufhält, oh, oh ich muß um Entschuldigung bitten, Miss, wie ich bemerke ist noch nicht aufgeräumt, ich werde ihnen sogleich das Mädchen schicken.
Brooke: Lassen Sie nur, Hales, das mache ich schon selbst.
Hales: Wie es Ihnen beliebt Miss, Abendessen um 7 Uhr, pünktlich, Mr. Craven wünscht Ihre Anwesenheit, bis dahin muß ich sie sich selbst überlasen.
Inspektor: Zucker, Miss Brooke?
Brooke: Danke Inspektor.
Inspektor: Nein. Keine Sahne, danke.
Brooke: Ist Celia Craven blond?
Inspektor: Was, ja ich glaub schon, warum?
Brooke: Weil ich das hier auf dem Fußboden ihres Zimmers gefunden habe.
Inspektor: Aha. Eine Haarsträhne, blond, na und?
Brooke: Diese Strähne, lieber Inspektor ist gut 40 cm lang, so was schneidet sich ein Mädchen nicht aus Spaß ab oder durch Zufall.
Inspektor: Aber ich versteh nicht. Was schließen sie daraus?
Brooke: Vorläufig noch gar nichts, dazu müßte ich erst mehr über Walter Cravens Krankheit wissen.
Inspektor: Aber was hat denn das damit zu tun, und was wollen sie dauernd mit Walter, sie sind auf der falschen Fährte, Miss Brooke, glauben sie mir, was sie tun sollten.
Brooke: Was ich tun sollte, überlassen sie bitte ganz und gar mir, Inspektor, übrigens habe ich nicht nur diese Haarsträhne gefunden.
Inspektor: So, was denn noch?
Brooke: Einen toten Hund, genauer gesagt einen irischen Setter, dem jemand den Schädel eingeschlagen hat mit einem stumpfen Gegenstand.
Inspektor: Mr. Cravens Kaptain.
Brooke: Ohne Zweifel, er lag oberflächlich vergraben unter einem Gebüsch im Park, knapp 5 Meter von Sandys Hütte entfernt, wenn ich meiner Nase trauen kann, war er schon etwa 1 Woche tot, das heißt.
Inspektor: Das heißt, daß er wahrscheinlich in der Nacht vom 7 auf 8 September totgeschlagen wurde.
Brooke: Gegen 5 Uhr als Hales sein Todesheulen hörte und da nach Dr. Johnson Aussage Henderson in eben dieser Nacht auf eben diese Weise umgebracht wurde und zwar zwischen 5 und 6.
Inspektor: Läßt sich zwischen beiden Ereignissen ein Zusammenhang vermuten.
Brooke: Sehr gut Inspektor, die Frage ist nur, was für ein Zusammenhang.
Inspektor: Ja, ja, äh das ist wie sie so richtig sagen die Frage, vielleicht hat der Hund den Mörder gestellt?
Brooke: Könnte sein, nur war Captain leider uralt, zahnlos, halb blind und so gut wie taub, ich habe mich informiert, Fakten, Inspektor, Fakten, darauf kommt es an, Regel 2 des guten Detektivs, eine Tatsache ist mehr wert als 1000 Vermutungen, und deshalb sollten wir heute mit dem spekulieren aufhören.
Inspektor: Wüßte nicht, was ich lieber täte.
Brooke: Freuen sie sich nicht zu früh, Inspektor, Fortsetzung folgt bald, allerdings wohl besser nicht hier, man könnte sich fragen, was ich ständig in Grenfell und speziell ihrem Büro zu suchen habe.
Inspektor: Daran habe ich auch schon gedacht und mir was überlegt, was halten sie davon, um die Mittagszeit kommt der Briefträger mit der Post nach Craven Hall, ein zuverlässiger Mensch, tut der Polizei gern mal einen Gefallen, wenn sie mir was mitteilen wollen, schreiben sie es auf und geben sie es ihm mit, heimlich, ich mach es genauso, noch eine Tasse Tee?
Brooke: Ja gern.
Butler: Wünschen Sie noch Gemüse, Miss?
Brooke: Danke Hales.
Craven: Essen sie nur, Miss äh.
Brooke: Brooke, Loveday Brooke.
Craven: Essen sie doch, Miss Brooke, essen sie tüchtig das stärkt die kleinen grauen Zellen, und die brauchen wir, die brauchen wir bald, wenn wir anfangen gemeinsam an meinem großen Werk zu arbeiten, sie wissen doch worum es geht, oder, habe ich sie schon gefragt, welche Sprachen sie beherrschen, das ist wichtig, Miss äh Brooke, äußerst wichtig. Je mehr desto besser, desto besser, nicht wahr.
Brooke: Ich spreche außer englisch natürlich.
Craven: Natürlich. Natürlich.
Brooke: Französisch, italienisch, deutsch, verstehe spanisch, latein, altgriechisch, ach ja und ein bißchen hebräisch.
Craven: Und, und? Das ist alles? Miss Brooke, kein Sanskrit, Miss äh, die erhabene Sprache der alten Inder, wirklich nicht, chinesisch, gotisch, isländisch, kein bißchen, kein ganz kleines bißchen.
Brooke: Leider nein, Mr. Craven.
Craven: Ein Jammer, ja was machen wir denn da, sie können abräumen, Hales.
Butler: Sehr wohl, Sir.
Craven: Das gewaltige Werk Miss äh.
Brooke: Brooke.
Craven: Ms Brooke danke, das gewaltige Werk, die Krönung meines wissenschaft-lichen Strebens und Lebens verlangt nun einmal die Kenntnis aller wichtigen Idiome der Menschheit, die Urlaute, Miss Brook, die Ursprache, ist ihnen eigentlich klar, welch gigantischer Aufgabe ich mir gestellt habe, wissen sie in welcher Sprache Adam und Eva im Paradies miteinander konversierten, sie wissen es nicht, niemand weiß es, nur ich, ich weiß es oder ich werde es sehr bald wissen, denn die Urlaute, glauben sies mir, sind nicht verschwunden, sie stecken in jeder Sprache überall, man muß sie nur finden und erkennen, und wenn ich sie gefunden und erkannt habe, dann werden sie es alle bereuen, daß sie mich ausgelacht haben, alle, die eingebildeten Professoren und Doktoren, sie werden meinen Namen mit Ehrfurcht nennen, sie werden mein Werk bewundern, und es wird Jahrhunderte überdauern.
Butler: Sir?
Craven: Jawohl die Jahrhunderte.
Butler: Sir.
Craven: Was? Was, was gibts Hales?
Butler: Vielleicht möchten sie einen Blick in die Zeitung werfen Sir, die Liverpool News von heute.
Craven: Gut gut, geben sie doch her, Hales.
Butler: Bitte Sir ich erlaube mir ihre besondere Aufmerksamkeit auf diesen Artikel hier zu lenken.
Craven: Wieso, was, achso, in den Morgenstunden des gestrigen Tages haben sich eine große Menschenmenge am Pier A, um der Abfahrt der Edinburg Castle beizuwohnen, unter den Passagieren der Jungfernfahrt nach New York.
Butler: Sir?
Craven: Ja, ja verstehe, Hales, wer ist die junge Dame hier am Tisch, sie kommt mir irgendwie bekannt vor.
Butler: Miss Brooke Sir, Ihre neue Sekretärin.
Craven: Ach, wirklich, ja richtig, ich erinnere mich. Miss Brooke.
Brooke: Ja, Mr. Craven?
Craven: Heute brauche ich sie nicht mehr, bin nicht in der rechten Stimmung zur Arbeit, aber morgen abend nach dem essen da stellen sie sich bitte in meinem Arbeitszimmer ein, bereiten sie sich geistig darauf vor, daß ich ihnen das Vorwort meines großen Werkes diktieren werde, Sie dürfen sich zurückziehen, Miss äh.
Brooke: Brooke, Mister Craven.
Brooke: Dies, lieber Inspektor, ließ mir wie sie sich denken können, hinreichend Zeit, meinen eigentlichen Pflichten in Craven Hall nachzugehen, und wenn ich auch bislang noch nicht in die Geheimnise der Urlaute eindringen konnte, so ist es mir doch gelungen, eines der Geheimnisse von Craven Hall aufzudecken, wovon ich ihnen durch den getreuen Postboten hiermit sogleich Mitteilung mache, ich meine die mysteriöse Krankheit des jungen Mr. Walter, der ich wie Sie sich erinnern werden, von Anfang an mit gewissen zweifeln gegenüberstand, es wird sie interessieren zu hören, daß meine Zweifel sich als durchaus begründet erwiesen haben, heute vormittag war ich nämlich in einem unbewachten Augenblick so glücklich das sog. Krankenzimmer im Seitenflügel in Augenschein zu nehmen obwohl ich lediglich einen kurzen Blick auf das darin aufgestellte Bett werfen konnte, die Köchin hatte ihren Posten an der Tür nur für wenige Sekunden verlassen, blieb meiner geschulten Beobachtungsgabe keine wichtige Einzelheit verborgen, im Bett lag kein junger Mann sondern ein etwa 18 jähriges Mädchen mit gelbgeschminkten Gesicht und kurzgeschnittenen blonden Haaren, die Schlußfolgerungen, welche daraus zu ziehen sind, kann ich wohl getrost ihnen überlassen, in diesem Zusammenhang noch ein Hinweis, beschaffen sie sich die Passagierliste der Edinburg Castle, die vorgestern von Liverpool nach New York abgesegelt ist, es sollte mich nicht im mindesten wundern, wenn sie darin einen bekannten Namen fänden, doch nun zu wichtigerem, ich weiß, wer Hendersen erschlagen hat, nur eine Person kommt in Frage, alle übrigen sind aus einer Vielzahl von Gründen, die auch ihnen inzwischen klar sein müßten, eliminiert, letzte Gewißheit vor allem was das Motiv betrifft, hoffe mir ich noch am heutigen Tage zu verschaffen, dabei könnte ihre Hilfe unter Umständen von einigem nutzen für mich sein, stellen sie sich daher bei Anbruch der Dunkelheit hier ein, am besten mit einer kleinen polizeilichen Heeresmacht und verbergen sie sich im Park, behalten sie vor allem die französischen Fenster des Arbeitszimmers im Auge, sobald sie dort direkt hinter den Scheiben eine grüne Lampe aufleuchten sehen ist es angezeigt, daß sie mit gewisser Dringlichkeit das Zimmer betreten, ich verlasse mich auf Sie, wenn ich auch hoffe, daß der Fall durch die Kraft des Geistes allein und ohne rohe Gewalt gelöst werden kann, Ihre ergebene Loveday Brooke.
Craven: Was machen Sie denn da?
Brooke: Oh oh, Sie haben mich erschreckt, Mr. Craven, ich bereite unsere Arbeit vor, hier, sehen sie.
Craven: Was haben Sie in meinen Privatpapieren zu suchen, Miss äh.
Brooke: Brooke.
Craven: Ich mag das nicht, man könnte fast glauben, sie seien an meinen kleinen Geheimnissen interessiert, Leute, die meine kleinen Geheimnisse kennen, mag ich nicht, lassen Sie sich das gesagt sein.
Brooke: Ja, Mr. Craven, verzeihen Sie.
Craven: Wo waren wir stehengeblieben.
Brooke: Sofort, für das Problem der Reduzierung menschlicher Sprache auf die sechs Urlaute ist die Frage nach den emotionalen Grundsituationen von entscheidender Bedeutung, daß Schmerz, Leid, Lust, Freude, Mangel und Befriedigung ihren jeweiligen sprachlichen oder doch stimmlichen Ausdruck besitzen, davon darf ausgegangen werden, wenn auch experimentelle Bestätigung, soweit hatten sie diktiert, Mr. Craven.
Craven: Experimentelle Bestätigung, experimentelle Bestätigung, das ist es, das a und o, der letzte Beweis, auch die vergleichende Philologie ist eine exakte Wissenschaft und bedarf des Experiments, aber wie vorgehen, ja wie vorgehen?
Brooke: Tierversuche, haben sie schon daran gedacht, Mr. Craven, das wäre doch meiner bescheidenen Meinung nach ein guter Anfang, die Urlaute zu bestimmen.
Craven: Was, was war das Miss, Tierversuche, äußerst interessant, Sie sagen da etwas, woran ich selbst schon oft gedacht habe, wenn wie der selige Mr. Darwin uns glaubwürdig versichert, wir Menschen von Tieren abstammen, dann läßt sich erwarten, daß die Urlaute im Tierreich gewissermaßen vorgebildet sind. Angenommen, man fügt einem Tier Schmerzen zu, einem Affen oder einem.
Brooke: Oder man töten, da man einen Affen doch wohl nur selten zur Hand hat, zum Beispiel einen Hund.
Craven: Aha, Hund, glauben sie ja nicht Miss äh.
Brooke: Brooke.
Craven: Glauben Sie ja nicht, daß Sie als erste auf diese geniale Idee gekommen sind, nein, nein, Miss Brooke, ganz und gar nicht, ich Miss Brooke, jawohl ich habe.
Brooke: Sie wollen doch damit nicht andeuten, daß sie ein solches Experiment bereits durchgeführt haben, Respekt, Mr. Craven.
Craven: Ja, ja.
Brooke: Der arme Kapitän.
Craven: Gewiß, gewiß, aber die Wissenschaft verlangt Opfer.
Brooke: Der Mond schien hell, nicht wahr Mr. Craven, und Sie waren da draußen im Park, allein mit Captain, allein mit in ihrem großen Experiment, womit haben sie ihn erschlagen, Mr. Craven, mit einem Stück Holz?
Craven: Ich bitte Sie, das wäre eine höchst unwissenschaftliche Methode gewesen Miss Brooke, nein, nein, sehr sauber, sehr ordentlich, mit meinem Hammer, meinem Geologenhammer, hier, Miss äh, keine Angst, ich hab ihn danach sorgfältig abgewaschen.
Brooke: Und wie hat Captain reagiert, waren sie zufrieden?
Craven: Ja, wie mans nimmt, wie mans nimmt, bevor er starb hat er sehr schön geheult, sehr laut, sehr urtümlich, aber ich weiß immer noch nicht, wie ich diesen Laut in Buchstaben fassen soll, die Umsetzung, Miss äh, die Umsetzungen des stimmlichen ins schriftliche, ein großes Problem.
Brooke: Der Mond schien noch immer, und sie standen an der Gärtnerhütte, den Hammer in der Hand, und da ging ganz plötzlich das Fenster auf.
Craven: Pst, niemand darf davon wissen, das ist ein Geheimnis, so, jetzt kann uns keiner belauschen.
Brooke: Lassen sie doch die Vorhänge, Mr. Craven, wer soll uns schon vom Park aus beobachten?
Craven: Wer? Aber das wissen sie doch, er natürlich, nachts schleicht er draußen herum, und er grinst, und flüstert, ich weiß bescheid, Herr, ich kenne ihr Geheimnis.
Brooke: Und damals in der Nacht stand er plötzlich am Fenster.
Craven: Ja, ja, das tat er, er beugte sich vor und sah mich an, und ich dachte, blitzschnell dachte ich daran, daß er mein Geheimnis kannte, seit vielen, vielen Jahren, und daß ich ihn dafür bezahlen mußte, immer wieder und immer mehr, und dann dachte ich auf einmal an etwas ganz anderes, an mein Experiment, und daß ist meine Forschungen weit, sehr weit voranbringen könnte, wenn ich den Todeslaut eines Menschen, kein Hund, kein Tier, ein richtiger Mensch, und dann und dann.
Brooke: Dann haben Sie zugeschlagen.
Craven: Ja, ich hab zugeschlagen und Sandy fiel um, zurück in sein Zimmer, stumm, stumm, stellen sie sich vor, kein Wort, kein Laut, gar nichts, er fiel einfach um, das war alles, ich war maßlos enttäuscht, und traurig, ja traurig, als ich im Zimmer nach meinem Geheimnis suchte und alles durcheinander brachte, damit sie am nächsten Tag etwas zu raten hatten, da mußte ich immer daran denken, daß es eigentlich umsonst gewesen war, ganz umsonst, ja aber dann fiel mir etwas ein, ich konnte das Experiment ja jederzeit wiederholen, bei günstiger Gelegenheit natürlich, verstehen sie Miss äh.
Brooke: Brooke.
Craven: Meinen sie nicht auch, daß der Todesschrei einer Frau sehr viel elementarer sein müßte, als der eines Mannes, vom Hunde ganz zu schweigen.
Brooke: Mr. Craven.
Craven: Bleiben Sie stehen, was wollen Sie mit der Lampe am Fenster, Sie sind doch Wissenschaftlerin, Miss äh.
Brooke: Brooke.
Craven: Warum sträuben Sie sich so, denken sie an mein großes Werk.
Inspektor: Hände hoch, legen Sie den Revolver weg, Mr. Craven, Williams, die Handschellen, gehen sie zur Seite, Miss, alles in Ordnung, Miss Brooke.
Brooke: Keine Sorge Inspektor, Achtung.
Wachtmeister: Wir haben ihn Sir, für sein Alter ziemlich kräftig.
Craven: Hier wäre wohl ein Urlaut tiefsten Schmerzes angebracht, wenn ich nur wüßte wie.
Inspektor: Dieses Experiment mit den Urlauten, das ist ja wohl das merkwürdigste Mordmotiv, das mir jemals untergekommen ist.
Brooke: Ziemlich kurios, sogar für eine Spezialistin aus London, Cravens zweites Motiv, oder sein erstes, wie sie wollen, ist dafür um so gewöhnlicher, schlichte Erpressung, darauf hätten Sie übrigens schon längst kommen können, Inspektor, der übertrieben hohe Lohn, den Craven Sandy zahlte, ist ein deutlicher Hinweis, dem hätten Sie nachgehen sollen.
Inspektor: So, hätte ich, aber wer konnte wir denn bei einem Mann wie Mr. Craven darauf kommen, daß er was zu verbergen hatte, da wir gerade dabei sind, was hatte er zu verbergen?
Brooke: Hier, das hab ich vor der großen Auseinandersetzung in seinem Schreibtisch gefunden, unten den Privatpapieren, Cravens Geheimnis, hier bitte sehr, sie brauchen es wahrscheinlich für die Verhandlung.
Inspektor: Eine amerikanische Heiratsurkunde: Archibal Craven, Irma Labell, New York 1866, das war's also, Bigamie.
Brooke: Ein überseeisches Abenteuer in seiner Jugendmaienblüte von dem niemand wußte nur der treue Diener Sandy Henderson, dann kam Craven zurück, wurde solide, heiratete, zeugte Kinder, lebte in ständigen Ängsten vor einem Skandal.
Inspektor: Und zahlte und zahlte, bis er sich mit einem Schlag von seinem Quälgeist befreite, die Urkunde, das war es doch sicher, was Craven in Sandys Zimmer gesucht hatte.
Brooke: Natürlich, und dabei hat er das Chaos angerichtet, das sie verwirren und auf eine falsche Fährte locken sollte.
Inspektor: Aber eigentlich haben wir doch von Anfang an recht gehabt, es war tatsächlich ein Irrer.
Brooke: Sicher Craven ist geisteskrank, kein Zweifel, aber daß sie ihn ohne meine Hilfe überführt oder auch nur verdächtig hätten, wage ich zu bestreiten.
Inspektor: Ja, wie auch immer, und jetzt muß ich ihnen noch eine dumme Frage stellen, ich hätte es gern gelassen, aber dazu bin ich ehrlich gesagt zu neugierig, wie sind sie überhaupt auf Mr. Craven gekommen und dann die Sache mit Walter.
Brooke: Langsam, langsam Inspektor, eins nach dem anderen, zunächst einmal, es gab durchaus Hinweise auf Craven, Sandys hoher Lohn zum Beispiel oder auch der Tod des Hundes, der mich auf das andere Motiv brachte, aber das entscheidende war, daß ich alle übrigen Personen die für die Tat in frage kamen, eliminiert konnte.
Inspektor: Das hatten sie mir schon vor der Festnahme geschrieben, aber ich verstehe immer noch nicht.
Brooke: Fangen wir mit Walter Craven an, der ohne es zu wollen alles getan hat, um unsere Arbeit zu erschweren und das nur weil er sich gerade am 7. September gedrängt fühlte, Craven Hall, England und vor allem seine Gläubiger für immer zu verlassen, damit letztere Herrschaften dabei nicht störend eingriffen, führte die Familie unterstützt von der Dienerschaft eine kleine Komödie auf, in Frauenkleidern und verschleiert, reiste der verlorene Sohn nach Liverpool, während seine Schwester sich die Haare abschnitt, das Gesicht gelb anmalte und den halbblinden Dr. Walters zu sich bestellte, der dann auch nichts ahnend, dem angeblichen Walter Cravan eine Gelbsucht bescheinigte, ich vermute, daß sie sich sehr ähnlich sehen.
Inspektor: Celia und Walter, aber ja, fast wie Zwillinge.
Brooke: Nach der glücklichen Ankunft Walters in Amerika hätte Celia vermutlich ihre Rolle aufgegeben.
Inspektor: Woher wußten Sie übrigens, daß Walter auf der Edinburg Castle zu finden war?
Brooke: Um ehrlich zu sein, das war eher ein Zufall, ein paar Bemerkungen, zwischen Craven Senior und Hales, die nicht für mich bestimmt waren, damit hatte Walter ein Alibi, als Sandy umgebracht wurde, war er in Liverpool, gut 50 Meilen von Craven Hall im Hotel, das haben Sie doch überprüft.
Inspektor: Ja das Alibi steht, Walter war also aus dem Rennen und Celia.
Brooke: Celia auch, aus dem einfachen Grunde, daß sie für den tödlichen Hieb zu schwach war, d***be trifft auf Köchin und Zimmermädchen zu.
Inspektor: Blieb nur noch Mr. Craven Senior und Hales.
Brooke: Hales kam von Anfang an nicht in Frage, ein korrekter Butler wie er, der seinen Beruf ernst nimmt, wäre absolut außerstande gewesen Sandys Zimmer in einer derartigen Unordnung zu hinterlassen, ist eine psychologische Unmöglichkeit.
Inspektor: So Fakten, Miss Brooke, Fakten, ein guter Detektiv.
Brooke: Geht mit der Zeit, irgendwann einmal wird es sich hoffentlich bis zur Polizei von Grenfell herumsprechen, daß es sich bei der Psychologie um eine durchaus ernstzunehmende Wissenschaft handelt, schon mal was von Lombroso gehört, Inspektor?
Inspektor: Apropos Hales, er hat doch ausgesagt, daß niemand, also auch nicht Mr. Craven, in der bewußten Nacht Craven Hall verlassen haben kann.
Brooke: Durch die Tür, Inspektor, wohlgemerkt, durch die Tür, und das trifft auch zu, aber es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, die großen französischen Fenster im Arbeitszimmer, die bis auf den Fußboden gehen, leicht zu öffnen, leicht zu schließen, wenn man nicht wie es sie es vorzieht, direkt durch die Scheiben zu spazieren.
Schaffner: Grenfell, der Schottland Express von Glasgow über...
Inspektor: Soll ich ihnen nicht Ihre Taschen.
Brooke: Danke, danke Inspektor das kann ich selbst, alles klar Inspektor, oder haben Sie noch Fragen?
Inspektor: Keine Fragen mehr, aber gratulieren sollte ich ihnen wohl noch zu ihrem Erfolg.
Brooke: Aber Inspektor, ich bin gerührt.
Inspektor: Der allerdings fast ein bißchen zu schlagend ausgefallen wäre, wenn wir gestern abend nur 5 Sekunden später gekommen wären, gäbe es heute keine Spezialistin aus London mehr, zu meinem Leidwesen, muß ich sagen.
Schaffner: Einsteigen, Türen schließen, Abfahrt.
Brooke: Wenn sie 5 Sekunden später gekommen wären, Inspektor hätte ich Gelegenheit gehabt, ihnen etwas vorzuführen, was sie vermutlich noch nicht kennen, einen fernöstlichen Verteidigungsport namens Jiu-Jitsu, aber trotzdem vielen Dank.
Inspektor: Jiu was, gute Fahrt Kollegin.
Brooke: Danke und wenn sie wieder mal einen Fall haben, der ihnen Schwierigkeiten macht, schicken Sie mir einfach ein Telegramm: Loveday Brooke, London, Scotland Yard, das genügt.
Loveday Brooke: Uta Hallant
Inspektor Griffin: Peter Schiff
Richter: Friedrich W. Bauschulte
Craven Sr.: Henning Schlüter
Sein Butler John Hales: Erich Fiedler
Herbert von Boxberger u.a.
Michael Koser
Donnerstag, 28. August 2025 08:30
Ping-Pong zur Ming-Zeit
Michael Koser: Ping-Pong zur Ming-Zeit (Erotische Erzählung aus dem alten China) (RIAS 1977)
Kennen Sie Kung Fu? Kennen Sie Mao Tse Tung? Aber kennen Sie auch Ming Ping Pong?
Ming Ping Pong ist kurz gesagt nichts anderes als eine Abkürzung bzw. Kurzfassung des Titels dieser unserer Sendung, welcher in voller Länge lautet wie folgt:
Ping-Pong zur Ming-Zeit - Erotische Erzählungen aus dem alten China
Das Manuskript schrieb Michael Koser
Aber was, werden Sie nun fragen ist Ping Pong zur Mingzeit. Eigentlich um ganz ehrlich zu sein, nur der etwas reißerische Titel für eine Sendung über einen wichtigen Abschnitt der chinesischen Literaturgeschichte, mit Körperkultur oder gar Leistungssport hat unser Thema höchstens im übertragenen Sinne zu tun... Steht und fällt mit dem Text, dem Wort.
Fönis war die Tochter des Tsam Jü, aus Dung Ping in der Provinz Schanto, als sie noch ein Kind war, mischten ihre Eltern immer wohlriechende Substanzen in ihre Speisen und Getränke, so daß spätel, als sie herangewachsen war, ihr ganzer Leib duftete, und man ihr den Beinamen Palfüm gab.
Nun ja, und so weiter, die beste und interessanteste Lösung für eine Sendung über erotische Erzählungen aus dem alten China ist immer noch, da werden Sie uns zustimmen, das schlichte erzählen, daran wollen wir uns halten, aber bevor wir beginnen Ihnen die erste Geschichte zu erzählen, können wir nicht umhin in aller gebotenen Kürze etwas über China, die Ming-Zeit und chinesische Geschichten im allgemeinen zu sagen.
Die Ming Zeit, das heißt die Epoche in der die kaiserliche Ming Dynastie das Reich der Mitte beherrschte, dauerte nach unserer Zeitrechnung von 1368 bis 1644, sie war nach der unruhigen Ära der Mongolenherrschaft eine verhältnismäßig friedliche Epoche der chinesischen Geschichte.
Friede und Freude in China und in der Welt, unser Reich wird ewig sein wie die Sonne.
In der chinesischen Literaturgeschichte ist die Mingzeit die Periode des Realismus, in ihr entstanden die ersten großen Romane, beide Gattungen, Geschichte und Roman galten wenig in der literarischen Wertskala ihrer Zeit, wurden zum niederen Schrifttum gezählt, im Gegensatz zu Lyrik und Essay, daher schmückten sich die Erzählungen häufig mit eingestreuten Betrachtungen und vor allem mit Gedichten.
Der Rauch des Beckens löst sich schon auf, tief liegen die Schatten der Lampe, der Wandschirm hinter dem Bett bewegt sich, und auch der beschwerte Vorhang. Liebeslust ist vergleichbar mit Fischen, die sich im Wasser tummeln, nach Westen sich wendend kaum daß sie nach Osten geschwommen.
Im alten China gab es zwei Arten von Erzählungen, Novellen in der Schriftsprache, die nur wenige gebildete beherrschten, und Geschichten in der Umgangsprache des Volkes, sprachlich formal unterscheiden sie sich stark voneinander, wie etwa die lateinische Hochliteratur des späten Mittelalters von den Literaturen in den jeweiligen Volkssprachen, was den Inhalt betrifft sind sie gleich, sie erzählen von Mandarinen, von Räubern und Geistern, von Mönchen und da auch im alten China die Liebe als wichtiger Bestandteil des Lebens galt, von edlen und weniger edlen liebenden.
Das sei uns Stichwort für unsere erste Geschichte, sie stammt aus der Sammlung San Yan, das heißt drei Gespräche des Autors Feng Menglong, und wurde übersetzt von Kartar Fung, bei dieser Gelegenheit machen wir eine dankbare Verbeugung auch vor den anderen Übersetzern, ohne deren Mühe die Sendung nicht zustande gekommen wäre, Johanna Herzfeld, Wolfgang Bauer und Herbert Frank, und jetzt fangen wir an zu erzählen.
Brave Männer und ihre Gattinnen tun alles für die Nachkommenschaft, vergnügt und hilfsbereit meditieren Mönche in verschlossenen Zellen, wir wissen alle, daß geben seliger macht den nehmen, wo aber steht geschrieben daß nicht auch nehmen zum Glück beitragen kann, danach handeln wohl viele Mönche dieser Welt, vielleicht sogar die meisten, ein Kloster allerdings, der Tempel zum edlen Lotus, schien darin eine Ausnahme zu sein, deshalb hatte das Kloster großen Zuspruch und wohl auch deshalb, weil sich in ihm eine Halle befand, die man die Kindersegenhalle nannte, Guanyin, die Göttin der Barmherzigkeit, hatte dort ihre Residenz und zu ihr kamen aus den fernsten Provinzen die Frauen, denen Kindersegen versagt geblieben war, Guanyin war eine wahrhaft barmherzige Göttin, denn keine der Frauen ging ungetröstet nach Hause, haha, neun Monate nach dem Gebet hatte ihr Segen das Wunder vollbracht und kräftige Kinder krähten in den Wiegen, hehe, wie schnell machen doch solche Geschichten die Runde im Lande, eines Tages hörte auch der Statthalter Wan Dan von den Wundern Guanyins, und da er ein äußerst besonnener, mithin aber auch skeptischer Mann war, wollte er alles recht genau wissen.
Am besten ist's wenn ich selbst einmal den Tempel besuche.
Gedacht getan, der Statthalter, vom Vater Abt mit allen gebührenden Ehren empfangen, inspizierte das Kloster aufs sorgfältigste, ohne jedoch etwas Ungewöhnliches oder gar Ungehöriges zu entdecken, so kehrte er zurück und dachte nach.
Kann denn eigentlich eine hölzerne Gottheit derartige Dinge vollbringen,
frage er sich und es bedurfte nicht allzulangen Nachdenkens, um sich darüber klarzuwerden, daß hier irgendeine Teufelei mit im Spiel zu sein schien, er gab den Auftrag, zwei der schönsten Blumenmädchen herbei zurufen.
Geht ins Kloster zum edlen Lotus, sobald die Zeit gekommen ist, da ihr in der Zelle schlafen sollt, wird jede von euch ein Gefäß mit Tinte unter dem Gewand verbergen, die eine wird rote, die andere schwarze Tinte mit sich führen, sobald sich euch eine Gottheit oder etwas dergleichen nähern sollte, beschmiert ihr unbemerkt den Kopf mit der Farbe.
Die Mädchen taten wie ihnen befohlen war, als eines der beiden, namens Yuan Mei des Nachts in der ihr zugewiesenen festverschlossenen Zelle lag, geschah folgendes: Plötzlich bewegte sich eine Platte des Fußbodens und wurde langsam weggeschoben, Yuan Meis Augen weiteten sich, als sie den kahlgeschoren Kopf eines Mönchs sah, der sich Stück um Stück nach oben schob.
Da schau, das ist also das große Tempelgeheimnis.
Bald darauf drängte sich ein nackter Männerleib an den ihren, auch fühlte sie eine erfahrene Hand an ihren Brüsten.
Ich bin ein Jünger Buddhas und von Guanyin zu euch gesandt,
sprach der Mönch und machte sich emsig ans Werk, trotz aller Wonne versäumt es Yuan Mai jedoch nicht, aus ihrer Tintenschale Farbe zu nehmen, mit der ihre liebkosenden Hände den kahlen Schädel fleißig einrieben, der Wonnespender war so tief beschäftigt, daß er nichts gewahr wurde, als er zum Ende gekommen war, machte er einem zweiten Mönch Platz, welcher die fromme Arbeit mit frischen Kräften fortsetze, zur gleichen Zeit erging es Lin Wan, dem zweiten Blumenmädchen ganz ähnlich, auch ihr erschienen zwei Wonnemönche, um Guanyins Segen weiter zu geben und um mit Tinte gezeichnet zu werden, zärtlich nahm der zweite Abschied.
Mache ich euch glücklich, ihr seht daß ich nicht so heftig bin wie der andere, ich bin ganz auf euer Empfinden eingestellt.
Am frühen Morgen erschien überraschend der Statthalter mit hundert bewaffneten Bütteln im Kloster und befahl dem Abt: Bringt mir die Namensliste euer Brüder, ehrwürdiger Meister.
Dann ließ er nach der Liste alle Mönche vor sich rufen und als sie erschienen waren, gebot er ihnen die Kappen abzunehmen, niemand wagte sich der Aufforderung zu widersetzen und so entblößten sich alle Häupter, da konnte man plötzlich zwei feuerrote Schädel in der Sonne leuchten sehen und nicht weniger deutlich hoben sich zwei weitere ab, die pechschwarz gefärbt waren.
Faßt die vier und legt sie in Ketten, sagt mir Halunken, warum ihr so farbige Schädel habt, wer hat sie euch bemalt.
Als er keine Antwort erhielt, ließ der Statthalter die Blumenmädchen vortreten, sie berichteten und die vier entdeckten Farbköpfe machten unermüdlich Kotau und erflehten die Gnade des Statthalters, der aber geriet in unbändigen Zorn, nannte sie vor Geilheit stinkende Hunde und räudige Wasserbüffel, dann sprach er zum Abt:
Ihr seid ein sehr kluger Mann, aber doch nicht so klug, daß ihr euch nicht hättet erwischen lassen, aus eurem Kloster habt ihr ein Freudenhaus gemacht und ehrbare Frauen habt ihr in den Schmutz gezogen.
Was nun folgte, kann man sich leicht ausmalen, der Abt mußte im Gefängnis schmachten, ihm wurde der Prozeß gemacht und er bereute bitter seine Leichtfertigkeit, schon lange bevor er dem Henker übergeben wurde, nur zwei kindliche Novizen, deren Unschuld allein schon durch ihre Jugend erwiesen war, blieben ungeschoren, verschont blieb auch der uralte zahnlose Weihrauchdiener, dem zu seinem Glück keine Frau mehr etwas anhaben konnte.
Das war unsere erste chinesische Geschichte, die so dürfen wir wohl annehmen, Ihnen weniger exotisch als vielmehr trotz der Göttin Guanyin merkwürdig vertraut erschien, von lüsternen Mönchen wimmelt es schließlich auch in der Novellenliteratur des Abendlandes, bei Boccaccio und seinen Nachahmern, bei der Königin Margarete von Navarra, bei Balzac, und da wir gerade bei diesem Thema sind, auch sonst bieten die Erzählungen aus dem alten China eine Fülle auch hier bekannter Typen und Gestalten, wovon Sie sich im weitern durch Stichproben überzeugen wollen, da ist etwa der edle Räuber:
Der Mandarin von Wuhim hat haufenweise Gold und Juwelen in seinem Amtssitz aufgestapelt, und all diesen Reichtum hat er auf unredliche Weise zusammen gebracht, erleichtere ihn doch mal um einen Teil seiner Besitztümer und verteile den unter die Armen.
Die lustige Witwe:
Das Schicksal hat uns zusammengeführt, er war Liebe auf den ersten Blick, du weißt ich bin Witwe, ich bin wieder frei, willst du dein Leben fürderhin mit mir teilen, dann geh zur Heiratsvermittlerin, wegen deiner Armut brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Geld habe ich selbst genug.
Die jungen unerfahren Liebenden:
Erst küßten sie sich zaghaft, doch wurden sie immer kühner, als sie merkten wie leicht es ist und gleichzeitig wie wunderbar die Zungen zu tauschen, aber so groß beider Sehnsucht auch war, sie wußten anfangs nicht, was nun weiter geschehen sollte, doch auch bei völliger Unberührtheit bricht die Liebe sich Bahn und so kam es wie es kommen mußte, beide fanden ohne fremde Hilfe zu einander.
Außerdem gibt es natürlich auch erfahrene Liebhaber, edle Helden, schöne Mädchen, finstere Bösewichte, im fernen Osten wie im nahen Westen, also sind, werden Sie fragen, die Chinesen gar nicht so ungeheuer anders wie es die Volksmeinung wahrhaben will, zumindest soweit es ihre Novellen betrifft, gewiß, einerseits, andererseits aber enthalten auch die erotischen Geschichten aus der Mingzeit hinreichend unbekanntes, verblüffendes, kurioses, eben typisch chinesisches.
Bei der umfassenden Darstellung der chinesischen Gesellschaft in den Novellen war die Erotik nur ein, allerdings, wichtiges Moment, Autoren und Leser waren nicht prüde, ***grafisch interessiert waren sie allerdings auch nicht.
Was erscheint nun in den Geschichten der Mingzeit dem fremden Teufel, wie man im alten China den Barbaren aus dem Westen nannte, als eigentümlich chinesisch, da ist wohl an erster Stelle die große Bedeutung die literarisch geistiger Bildung zugemessen wird, Helden und Heldinnen der Novellen sind zwar auch schön und edel, vor allem aber klug und gebildet.
Ich habe das Studium der Konfuzianer zu meiner Beschäftigung erkoren und mich der Literatur verschrieben, alle vier Klassen des Schrifttums, kanonische Bücher Geschichtswerke, Philosophen und die schöne Literatur, habe ich von vorn bis hinten durchgeackert.
Eisvogel war die Tochter eines Bürgers aus Juanan, namens Liu, sie war schon früh von großer Klugheit und konnte das kl***sche Buch der Lieder und das Buch der Urkunden auswendig.
Sehr chinesisch ist auch die formalistische Höflichkeit, von der sich nicht einmal Grabräuber freimachen können.
Bevor er den Sarg öffnete, klopfte er daran und sprach:
Mein liebes Fräulein, entschuldigt bitte, was ich jetzt tun werde, ich nehme mir all eure Haare, denn ich kann sie bestimmt besser gebrauchen als ihr, macht mir also bitte keine Schwierigkeiten.
Fremd ist uns auch die reizvolle, leider kaum zu imitierende Lösung des alten Problems vom Mann zwischen zwei Frauen:
Beide Mädchen sagten: zwar sind wir nur geringe Personen, aber es tat uns dennoch immer wieder weh, daß wir die Zeit, ob Herbstmond oder Frühlingsblüte, nutzlos vergeudet haben und daß wir nicht dazu kamen die liebende Neigung zu befestigen, wir möchten mit euch das eheliche Lager teilen und auf ewig euch zu treuen Diensten sein, wenn ihr unserer Bitte folgt, werden wir beide euch heiraten.
Und sie lebten fortan, wie wir doch hoffen wollen, zu dritt glückselig beisammen, noch unvertrauter als offizielle problemlose Vielweiberei ist eine besondere Art chinesischer Geister die es gewaltig nach irdischer Liebe verlangt, darum geht es in der zweiten Geschichte, die wir in größerer Ausführlichkeit erzählen wollen, sie heißt Sjä-dau, die schöne Kurtisane.
Während der Regierungszeit des Mingkaisers Hongwu lebte in der Stadt Kanton ein junger Mann namens Jen, der Meni gerufen wurde, sein Vater Jenbeilu wurde als Inspektor des Schulwesens in die Stadt Fengdu versetzt und nahm seine Familie mit, Meni war ein schlanker junger Mann, immer guter Laune und seinen Altersgenossen in allen Dingen überlegen, er verstand ebenso schön zu schreiben wie zu malen, und spielte Gitarre und Schach gleich ausgezeichnet, bei all diesen Vorzügen war es nicht verwunderlich, daß der reiche Herr Tschang, der auf dem Lande lebte, ihn als Hauslehrer einstellte. Eines Tages wollte Meni seine Eltern besuchen, auf seiner Wanderung zur Stadt gelangte er zu einem Hain von Pfirsichbäumen die in voller Blüte standen, als er hielt um den Anblick zu genießen wurde er gewahr, daß sich zwischen den Zweigen eine schöne junge Dame zu verbergen trachtete, am nächsten Tag ging Meni absichtlich den gleichen Weg und diesmal ließ die Dame ihn in ihr Haus bitten.
Verbringt den Abend bei mir junger Herr.
Erlaubt mir nach eurem geehrten Familienamen zu fragen.
Der Name meiner unbedeutenden Familie ist Ping, mein Gatte, Herr Ping, ist leider kurze Zeit nach unserer Hochzeit gestorben und ich habe mich als Witwe in dieses Landhaus zurück gezogen, durch diese Heirat bin ich übrigens verwandt mit eurem hochgeschätzten Gönner Tschang.
Es entwickelte sich eine geistreiche Unterhaltung und, ohne daß sie es gewahr geworden, war die zehnte Abendstunde herangekommen, die schöne Dame geleitete Meni in ihr Schlafzimmer und sagte:
Schon seit langer Zeit lebe ich in diesem Haus in völliger Einsamkeit, nun hab ich heute Abend eure Höflichkeit und Liebenswürdigkeit kennengelernt, und ich kann mir nicht versagen, euch ein wenig meine Liebe zu zeigen, darum schlage ich euch vor, mir heute Nacht Gesellschaft zu leisten.
Das ist mein sehnlichster Wunsch, aber ich hätte niemals gewagt euch darum anzugehen.
Darauf entkleideten sie sich und gingen gemeinsam zu Bett, sie waren glücklich wie zwei im Wasser spielende Fische und vergaßen über ihrer Liebe die Welt um sich herum. Am nächsten Morgen beschenkte die schöne Dame Meni mit einem kostbaren Briefbeschwerer aus Jade, geleitete ihn zur Tür und sagte:
Wenn ihr nichts Besseres vorhabt, so kommt heute abend wieder. nehmt euch kein Beispiel an herzlosen und unzuverlässigen Menschen.
Einer solchen Ermahnung bedarf es bei mir nicht.
Sechs Monate vergingen ohne daß die Liebenden merkten wie die Zeit dahinfloß, sie betrachteten die Blumen und schauten zum Mond auf, sie sangen und schlürften Wein und versagten sich keinerlei menschliche Freude, aber das Unglück will es, daß das gute niemals von Dauer ist, so mußte auch für diese beiden liebenden das Ende ihres Glücks heran kommen, sein Vater und Herr Tschang entdecken zufällig, daß Meni seine Nächte weder im Elternhaus auf noch auf Tschangs Gut verbrachte, sie nahmen ihn streng ins Gebet, Meni sah ein daß es keinen Ausweg für ihn gab und berichtet von seiner Bekanntschaft mit der schönen Dame aus der Familie Ping, die eine Verwandte des Herrn Tschang sei, dieser sagte erstaunt:
Aber ich habe in dieser Gegend überhaupt keine Verwandten, und kein Zweig meiner Familie führt den Namen Ping, hinter deinem Erlebnis steckt sicher ein Spuk, ich rate dir dringend, vorsichtig zu sein und unter keinen Umständen noch einmal dieses Landhaus aufzusuchen.
Meni glaubte ihm nicht und besuchte am Abend, wie er es gewohnt war, seine schöne Geliebte, sie leerten einige Schälchen Wein miteinander und in der Nacht gaben sie sich ihrer Liebe hin, aber als der Morgen heraufdämmerte begann sie bitterlich zu weinen und sagte:
Wir werden auf immer getrennt werden.
Unter heißen Tränen nahmen sie voneinander Abschied, als Mengis Vater feststellte, daß sein Sohn wieder in jenem Haus übernachtet hatte, wurde er zornig und sagte zu Herrn Tschang:
Ich will mich von meinem zuchtlosen Sohn geführt selbst an jenen Ort bemühen und nachforschen.
Sie gingen zu dritt aus der Stadt und schlugen den Weg zum Pfirsichhain ein, als sie dort anlangten, reckten sie alle überrascht den Hals, rundum sahen sie nur glitzerndes Wasser und bewaldete Hügel, nichts weiter, vor ihnen ragte ein Dickicht mit Pfirsichbäumen auf, im Untergehölz schimmerte ein einfaches Grabdenkmal, das Haus war verschwunden, Herr Tschang schüttelte nachdenklich den Kopf.
Es wird erzählt, daß sich an dieser Stelle das Grab einer Kurtisane aus der Tang-Epoche befindet, Sedau war ihr Name, in einer späteren Generation erinnerten sich die Menschen der Worte des Dichters Jinku, zarte Pfirsichblüten bedecken Jaus Grab, und sie pflanzten an dieser Stelle mehrere hundert Pfirsichbäume an, damit sie zur Blütezeit darunter Lustwandeln konnte, die schöne Dame, der euer geschätzter Sohn begegnet ist, ist zweifellos Sedau gewesen, sie ist schon Jahrhunderte lang tot, aber ihr Geist ist anscheinend der gleiche geblieben, es ist ratsam, dieser Sache nicht weiter nachzugehen.
Meni studierte weiter und bestand auch die höchste Prüfung, mit der er den Grad eines Tshinshi, eines Doktor erwarb, er wurde nicht müde sein abenteuerliches Erlebnis zu erzählen, aber wie oft er auch an die schöne Geliebte dachte, er hat sie nicht wiedergesehen.
Die Geschichte, erotisch, aber eher elegisch als heiter, ist vorbei und auch mit unserer Sendung geht es dem Ende zu. Und am Himmel schwebt die Krähe, huscht der Hase dahin, auf Erden erscheinen die Menschen von heute, verschwinden die von gestern, wo einstmal Freude herrschte, ragt jetzt ein öder Hügel, in einem Augenblick wird Recht zu Unrecht, Sieg zur Niederlage, lerne jenseits von Lärm und Hast der Welt Ruhe zu finden.
Und jetzt wissen Sie, was Ping-Pong zur Ming-Zeit ist. Das wars. Ping Pong zur Ming-Zeit. Erotische Erzählungen aus dem alten China. Das Manuskript schrieb Michael Koser. Es sprachen: Almut Eggert, Rolf Marnitz, Klaus Nägelen, Henning Schlüter und Peer Schmidt. Aufnahmeleitung: Ingeborg Karn. Schnitt: Manfred Rabbel. Ton: Klaus Krüger. Regie: Dietrich Auerbach. RIAS Berlin 1977.
Michael Koser
Donnerstag, 28. August 2025 08:29
Dies Blutbild ist bezaubernd schön
Michael Koser: Dies Blutbild ist bezaubernd schön (Ein Vampir-Hörspiel) (RIAS 1973)
Broker: Amsterdam, 17. Mai, 6 Uhr 15, in einer halben Stunde wird Prof. Vandenburg bei mir erscheinen, der international angesehene Experte auf dem Gebiet der okkulten Wissenschaften, er hat versprochen, mir meinen ersten Vampir vorzuführen, ich bin gespannt.
Prof.V: Wir sind da, Vorsicht, das ist der Sarkophag, fassen Sie mit an, der Deckel ist schwer, Sie haben doch das Kruzifix bei sich und den Knoblauch.
Broker: Natürlich. Im Sarg liegt ein älterer Mann, er wirkt entspannt, ruhig, als ob er schläft, ich habe das Gefühl, daß er mich durch die Wimpern hindurch beobachtet, seine Gesichtsfarbe ist ich würde sagen ausgesprochen gesund, die Lippen nein das ist geronnenes Blut in den Mundwinkeln, und dann zwei dunkle Linien bis zum Kinn.
Prof.V: Man muß nur daran glauben, wenn Sie den Pfahl festhalten würden, ginge es leichter, festhalten, er bäumt sich auf.
Broker: Blut spritzt auf, und jetzt, er zerfällt, er verwest vor meinen Augen, das Fleisch wird grün, löst sich von den Knochen, verschwindet, wird zu Stein.
Prof.V: So das wäre geschafft, Sie sind bleich, Mister Broker.
Broker: Das ist der Mond, ziemlich theatralisch das ganze, finden Sie nicht.
Varney: Das ist alles?
Carter: Ja, Mr. Varney, wenn Brokers Angaben stimmen, ist das Tonband vor einem guten Monat in Amsterdam aufgenommen worden.
Varney: Wann haben Sie es nach London bekommen?
Carter: Gestern von der Direktion des Hotels in dem Broker gewohnt hat, anscheinend hat er es in seinem Zimmer vergessen, als er abreiste.
Varney: Wann?
Carter: Am 18. Mai.
Varney: Wohin?
Carter: Unbekannt, wir haben seitdem nichts von ihm gehört, das ist ungewöhnlich, bei früheren Gelegenheiten hat uns Broker alle paar Tage informiert, ich mache mir Sorgen, Broker ist mein Autor.
Varney: Sie wollen ihn suchen?
Carter: Ja, wenn es Ihnen recht ist, werde ich nach Amsterdam fliegen, dieser Professor Vandenburg sollte aufzutreiben sein und kann mir vielleicht weiterhelfen.
Stewardeß: Madame, wir heißen sie an Bord herzlich willkommen... Amsterdam... Coffee or tea...
Prof.V: Das von den meisten Autoritäten empfohlene Mittel gegen Vampire ist natürlich der Essen-Pfahl, und ich habe nie etwas anderes benutzt.
Carter: Gewiß, um auf Broker zurückzukommen, Professor.
Prof.V: Oh ja natürlich, verzeihen Sie, Mr. Carter, wenn ich über meine Arbeit spreche vergesse ich alles anderes, Sie sind kein Adept.
Carter: Nein, wie ich schon sagte, ich bin ein Lektor, der seinen Autor sucht.
Prof.V: Ja, was Mr. Broker betrifft, ich hatte eigentlich erwartet, daß er nach unseren Erlebnissen in der Gruft seine Nachforschungen aufgeben würde, aber er war bei weitem nicht so beeindruckt wie wir, ich vermutet hatte, er wollte unbedingt am Ball bleiben, so sagen sie ja wohl.
Carter: Sie wissen, daß er einen Tag später abgereist ist.
Prof.V: Aber natürlich, mein Freund.
Carter: Wohin?
Prof.V: Daß Sie hartnäckig sind, wie unser Freund Broker, habe ich schon gehört.
Carter: Von wem?
Prof.V: Ist nicht von Bedeutung.
Carter: Sie wollen meine Fragen nicht beantworten.
Prof.V: Mr. Carter, ich weiß nicht, ob ich ihnen antworten darf, immerhin geht es hier um Geheimnisse, die nur für wenige bestimmt sind, die man nicht an den Straßenecken ausrufen kann, ich mache Ihnen einen Vorschlag, gehen Sie in Ihr Hotel zurück, warten Sie, es wird sich jemand mit Ihnen in Verbindung setzen, Sie werden neue Informationen erhalten, und können dann entscheiden, ob Sie Ihre Suche fortsetzen wollen, aber wenn Sie mir erlauben, Ihnen einen guten Rat zu geben, fliegen Sie nach London zurück, wir haben hier ein Sprichwort das sagt, wer sich in Gefahr begibt kommt darin um, übrigens, Sie haben doch ein Tonbandgerät in Ihrem Gepäck.
Frau: Dieses Tonband ist für Sie abgegeben worden von einer jungen Dame.
Carter: Hat sie ihren Namen hinterlassen?
Frau: Nein.
Carter: Danke.
Broker: Paris, 19. Mai, 23 Uhr, die zweite Etappe meiner Nachforschungen beginnt, ich werde an der Feier der geheimnisvollen schwarzen Messe teilnehmen und den berüchtigten AB Karl Melk kennenlernen, den Prof. Vandenburg für das Oberhaupt der Vampire in Frankreich hält, ich stehe vor dem alten Haus in der Avenue Huysmans, in dem Satanisten und Vampire ihre finsteren Rituale zelebrieren.
Mann: Losungswort?
Broker: Die Stunde der bleichen Eitergewässer ist gekommen.
Guru: Meister aller Untoten, der du austeilst die Wohltaten des Verbrechens, Verwalter der Sünden und Laster, Satan, wir beten dich an und erflehen für uns Ruhm, Reichtum und Macht.
Frau: Satan.
Broker: Der Raum, in dem ich mich befinde, ist voller Menschen, etwa 50 Personen, schätze ich, meist ältere Frauen, gut genährt, gut gekleidet, sie starren in Verzückung auf den schwarzen Altar, auf die Statue des Teufels mit den blutigen Reißzähnen, auf den häßlichen alten Mann, in blutroter Robe, der mit obszönen Gesten seine Litanei herunterbetet.
Guru: Meister Satan Dracula, großer Drache, deine treuen Diener flehen dich auf den Knien an, hilf uns bei Missetaten, auf daß menschliche Vernunft sie nicht ergründe.
Frau: Meister.
Broker: Qualmende Räuchergefäße auf dem Altar, trotzdem riecht es hier vor allem nach sehr menschlichem Schweiß, meine Augen tränen, der Gestank ist kaum zum aushalten.
Guru: Verbrennt Raute, Blätter von Bilsenkraut und Stechapfel, trocknet Myrrhe, das sind Gerüche angenehm Satan unserem Herrn und nun vermischt euch zur Ehre unseres Meisters.
Frau: Ah.
Broker: Jetzt scheinen die Gläubigen in eine Art Trance zu geraten, sie bewegen sich rhythmisch, sie fangen an, sich die Kleider vom Leib zu reißen, sie fallen übereinander her, komisch, Gruppen***, eine gutbürgerliche Massenorgie, ich hatte mir eigentlich etwas anders vorgestellt, etwas gefährlicheres, größeres als nur Ersatzbefriedigung zu kurzgekommener Muttchen, das war mir ein bißchen zu tief unten, hoffentlich bringt die nächste Spur mehr ein, Carmelia hat ein äußerst interessantes Treffen für mich arrangiert.
Stewardeß: International Airlines bitten alle Passagiere für Flug Nr. 333 nach Paris zum Ausgang B, ihre Maschine ist startbereit, Madame und Monsieur... O Champs Elysees. Kaffee, Tee?
Carter: Ich war in Paris, ich saß in meinem Hotelzimmer und dachte darüber nach, wie ich das alte Haus in der Avenue Huysmans finden könnte, allerdings gab ich mir keine große Mühe, einen Plan auszuarbeiten, wahrscheinlich rechnete ich damit, daß ich wie in Amsterdam ohne mein zutun einen neuen Hinweis bekommen würde, außerdem hatte ich noch ein zusätzliches Problem, wer war Carmelia?
Carter: Hallo?
Carmelia: Gehen Sie zum Hauptpostamt zur Abteilung für postlagernde Sendungen, Sie werden ein Päckchen finden, das auf Ihren Namen aufgeben wurde.
Carter: Mit einem Tonband?
Carmelia: Ja, wenn Sie es abgehört haben werden Sie wissen was Sie zu tun haben.
Carter: Wer sind Sie?
Carmelia: Ich heiße Carmelia.
Carter: Können wir uns treffen?
Broker: Paris 20. Mai 3 Uhr 45 morgens, im heißen Samowar, einem Lokal, das als Treffpunkt osteuropäischer Emigranten gilt, warte ich auf meine nächste Kontaktperson, es ist niemand anders als Graf Dracul aus dem berühmten Geschlecht der transsylvanischen Draculas.
Graf: Hört, in 15. Jahrhundert lebt der Dracul, töten tat er tausend Türken, 1000 Ungarn und Rumänen, Herr war er der Walachei, schön?
Broker: Sehr schön.
Kellner: Was darf ich bringen?
Graf: Sie haben, wie sagt man, Spesen, Mr. Broker?
Broker: Nur zu, bestellen Sie, was sie wollen.
Graf: Gut, ich will haben eine Bloody Mary, rot und warm.
Broker: Pink Gin.
Graf: Aha, sie kommen auf Geschmack, bißchen rosa ja, hören sie, Lieblingsstrophe von Heldenlied, seine langen spitzen Zähne schlug er in den Hals der Mädchen, schlürfte Blut aus ihren Adern, bis sie bleich darniedersanken, Furcht ergriff das ganze Land, ah, waren schöne Zeiten damals in Transsylvanien, Land meiner Väter.
Broker: Sicher, und heute?
Graf: Sakrada, heute Volksrepublik Transsylvanien hat weggenommen alle Länder, Schloß und Güter, leibeigene Bauern, ich bin vertrieben von Scholle, heimatlos in Fremde, sehr traurig, Mister Broker.
Broker: Aber ihre nächtlichen Aktivitäten, ich meine, sie sind hier und heute noch als Vampir tätig, wie damals?
Graf: Ach Mr. Broker, kein Geld, keine Leibeigenen, die stillhalten, keine Zähne, zu alt, alles vorbei, alles anders, kein Blut mehr, Mr. Broker, nur noch Bloody Mary.
Broker: Darf ich Ihnen noch etwas bestellen?
Graf: Ich danke, nein ich muß zu Hause sein wenn Sirene von Renoir ertönt.
Broker: Sie müssen in Ihren Sarg zurück?
Graf: Sie sind Romantiker, Mister Broker, nein, nein, früher einmal, jetzt geh ich in mein Bett, Fernsehen, hat mich gefreut, übrigens wenn Sie wollen Informationen über moderne Vampire, Sie sollten fahren nach Amerika, zu meinem reichen Vetter in New Transsylvania, Kalifornien.
Carter: New Transsylvania Californien, USA.
Mann: Rezeption?
Carter, Zimmer 99, buchen Sie für mich einen Flug nach San Francisco.
Stewardeß: International Airlines bitten alle Passagiere für Flug 666 nach San Francisco zum Ausgang C, ihre Maschine ist startbereit, ladies and gentlemen, we welcome you on bord. If you're going to San Francisco. Coffee or Tea?
Mann: Willkommen in Newmans, der erfolgreichsten kleinen Stadt in den ganzen großen United States, ehe Sie etwas anderes unternehmen, sollten Sie sich ein Vergnügen gönnen, besuchen Sie Vampireland, die größte Attraktion in den ganzen großen United States, yes sir, lehrreich, spannend, amüsant, sollten sie nicht versäumen, in einer halben Stunden fahrt die nächste Kutsche.
Carter: Vampireland, Vampirland, das klang vielversprechend, alles was Broker erlebt und was ich auf den Tonbändern gehört hatte, konnte eigentlich nur Kulisse sein, eine uralte Geschichte, die dadurch nicht wirklicher wurde, daß irgendjemand sie aus verstaubten Büchern herausgesucht und neu aufbereitet hatte, worum es wirklich ging, konnte ich möglicherweise im Vampirland erfahren, was immer das sein möchte.
Carmelia: Ich darf sie auf unserer Rundreise durch Vampireland begrüßen, ich bin ihre Führerin und heiße Carmilla.
Carter: Carmelia, haben Sie mich in Paris angerufen?
Carmelia: Später, Mr. Carter, bevor unsere Fahrt zu Ende ist, werden Sie mehr wissen, jetzt lassen Sie mich meine Arbeit tun, bitte. Vampireland, meine Herrschaften wurde erst vor wenigen Jahren errichtet von der International Vampires Company, als originalgetreue stilechte Imitation der transsylvanischen Karpatenlandschaft mit ihren Wäldern und Bergen, mit ihren geheuren und weniger geheuren Bewohnern, die Anlage kostete 50 Mio. Dollar.
Frau: Wonderful!
Carmelia: Wir verlassen jetzt den Highway und fahren durch ein echt mittelalterliches Tor in Vampireland ein, Blende 8, 1 fünfzigstel, es wird dunkel, blutrot versinkt die Sonne hinter dem Kosovoberg, auf dem Sie vorn rechts Draculas Schloß sehen, die Wölfe, Kinder der Nacht, regen sich in ihren Schlupfwinkeln, sie wittern den geheimnisvollen Unbekannten, der Macht über sie hat, Fledermäuse sirren durch die schwüle Luft, das ist die Stunde, in der Dracula erwacht. Ah! Kein Grund zur Beunruhigung, es handelt sich nur um optische und akustische Spezialeffekte, für Sie programmiert und arrangiert von International Vampires Company.
Frau: Wonderful.
Carmelia: Meine Damen und Herren, wir haben nun unser Nachtquartier, den alten transsylvanischen Gasthof zur goldenen Krone erreicht, International Vampires Company wünscht Ihnen einen erholsamen Aufenthalt, angenehmes Gruseln und eine gute Nacht.
Frau: Wonderful.
Carmelia: Mr. Carter, Sie werden in Ihrem Zimmer außer Ihrem ***gatorischen Knoblauchkranz ein Tonband finden.
Carter: Mit schönen Grüßen von Dracula?
Carmelia: Vielleicht.
Carter: Wonderful.
Broker: New Transsylvania 23. Mai, 18 Uhr 30, heute nacht werde ich Vampireland erkunden, auf eigene Faust, und wenn mehr dahintersteckt, als nur eine Touristenattraktion, werde ich es herausbekommen. Vor mir liegt Draculas Schloß, ein Horrorgedicht in bester amerikanischer Neugotik, wahrscheinlich aus Gips und Plastik, aber doch irgendwie beeindruckend.
Mann: Seien Sie willkommen, Sie werden erwartet.
Broker: Wieso, niemand weiß, daß ich hier bin.
Mann: Folgen Sie mir.
Broker: Ich bin in einem Zimmer, das offenbar für einen späten Gast hergerichtet wurde, für mich? Die Atmosphäre ist, wie soll ich sagen, nicht geheuer, ich bin kein Feigling, aber ich habe das Fenster verriegelt und die Tür abgeschlossen, Carmelia, Carmelia!
Carmelia: Meine Augen brennen in dich hinein und deine Kraft wird zu Wasser, ich liebe in deinem warmen leben und du sollst in meinem sterben.
Broker: Laß doch den Unsinn, deine Zähne.
Carmelia: Liebe braucht Opfer und Opfer sind blutig, ich vergehe vor Sehnsucht nach deinem warmen roten Blut.
Broker: Carmelia!
Carmelia: Mein Biß ist sehr süß und sehr bitter.
Carmelia: Mein Biß ist sehr süß und sehr bitter.
Carter: Das zieht bei mir nicht, Schluß damit.
Carmelia: Willst du dich nicht von mir beißen lassen.
Carter: Nein, vielen Dank, ich will wissen, was hier gespielt wird.
Carmelia: Sie reagieren genau wie Broker, das war vorauszusehen, wir wollten es wenigstens versuchen, Sie sind schwer zu beeindrucken, Mister Carter, nicht gerade ein Kompliment für meine vampirischen Fähigkeiten.
Carter: Tut mir leid, was jetzt?
Carmelia: Kommen Sie mit.
Carter: Wohin?
Carmelia: Zur Direktion von International Vampires, Sie wollten doch wissen, was los ist, wir gehen in den Keller und fahren durch einen Gang unseres unteririschen Kommunikationssystems in einer Druckluftkapsel, einer Art Rohrpost, in ein paar Minuten sind wir im Hochhaus.
Carter: Mr Varney.
Varney: Mr Carter.
Carter: Sie sind doch in London.
Varney: Was bedeutet ein Ort, was bedeutet ein Name, ich bin einer und ich bin viele, hier bin ich Mr Dracula, Chef der International Vampire Company, Generaldirektor und Besitzer der Aktienmajorität, einer der reichsten Männer im reichsten Land der Erde, sagen Sie nichts, Carmelia das Tonband, hören Sie, was ich Mister Broker zu sagen hatte, ich liebe es nicht mich zu wiederholen.
Broker: Das steckt also hinter der ganzen Horrorshow, Kapital, eine Firma.
Varney: Die Firma, Mister Broker, Geld ist Leben und Leben ist Blut, 3. Buch Moses Kapitel 17 der Zeit angepaßt, Voltaire, Sie kennen Voltaire?
Broker: Flüchtig.
Varney: Voltaire sagt: Die wahren Blutsauger wohnen nicht auf den Friedhöfen, sondern in wesentlich angenehmeren Palästen, ein wahres Wort, wir haben Paläste und Fabriken in allen Ländern, die Öffentlichkeit kennt uns nicht, wir schätzen es nicht, wenn jemand von außen uns zu nahe kommt, wie Sie, Sie haben sich von den für Sie arrangierten Aufführungen unserer Filialen nicht irreführen lassen, das spricht für Sie.
Broker: Danke.
Varney: Reißzähne, Sarkophage, transsylvanische Grafen und schwarze Messen, darüber ist die Zeit hinweggegangen, Feierabendhorror, weiter nichts, es gibt schlimmeres, Gasöfen, qualmende Schornsteine, tote Fische in den Flüssen, verhungernde Kinder, lebende Fließbandautomaten, das ist unser Horror, der neue Horror, Mr. Broker, daran verdienen wir.
Broker: Und sicher nicht schlecht.
Varney: Ganz recht, natürlich pflegen wir auch die Tradition, Vampireland und seine Ableger in Amsterdam und Paris sind Launen von mir, allerdings Launen, die Geld bringen, Sie sind alert und zielbewußt, Mr. Broker, wir können Sie gebrauchen, kommen zu International Vampires, verdienen Sie mit, werden Sie einer von uns, werden Sie Vampir.
Carter: Wie hat Broker sich entschieden?
Varney: Positiv natürlich, er ist jetzt einer meiner Stellvertreter, sehr tüchtig, ein Gewinn für die Firma, wollen sie ihn sprechen?
Carmelia: Verzeihung Mr. Dracula, ich fürchte Mr. Broker hat keinen Termin frei, die Arbeit an unserem neuen Projekt.
Varney: Ah ja, bedauerlich, was sie betrifft Mr. Carter, ich mache Ihnen das gleiche Angebot, entscheiden Sie sich schnell, Zeit ist Geld, Geld ist Leben usw.
Carter: Nein ich lehne ab, mit Dank, wenn sie wollen, aber unwiderruflich, ihre Firma gefällt mir nicht.
Varney: Schade, Sie sind ein Idealist, Mister Carter, ich respektiere ihre Entscheidung, leben sie wohl.
Carter: Sie lassen mich gehen?
Varney: Natürlich, wofür halten Sie uns, gehen Sie.
Carmelia: Gute Reise.
Carter: Im Wartesaal des Flughafens dachte ich nach über die fantastische Geschichte, in die ich geraten war und darüber, was ich jetzt tun sollte, zu Varna Dracula, zum Verlag konnte und wollte ich nicht mehr zurück, ich hatte mir einiges zurückgelegt, vielleicht sollte ich mich für ein halbes Jahr zurückziehen und das Buch schreiben, das Broker nicht mehr schreiben würde, es erschien mir wichtig, anderen mitzuteilen, was ich erfahren hatte, möglicherweise würde man mir sogar glauben, ich zweifelte allerdings daran, daß es etwas nützen würde, was hilft schon gegen Vampire, ein Buch, ich weiß nicht.
Stewardeß: International Airlines bitten alle Passagiere für Flug Nr. 999 nach London zum Ausgang B, ihre Maschine ist startbereit, ladies and gentlemen we welcome you on board.
Carmelia: Auf dem Flug von San Francisco nach London ist gestern gegen 19 Uhr Ortszeit eine mit 6 Besatzungsmitgliedern und 52 Passagieren besetzte Maschine der International Airlines über dem Nordatlantik abgestürzt, es muß damit gerechnet werden, daß keiner der Insassen den Absturz überlebte.
Varney: Gut gemacht, Carmelia.
Carmelia: Armer Mister Carter.
Varney: Er wußte zu viel, und jetzt wieder an die Arbeit.
Stan Broker: Martin Hirthe
Michel Carter: Michael Degen
Varney: Sigmar Schneider
Professor Vandenborg: Gerd Martienzen
Graf Dracul: Georg Braun
Carmelia: Christine Merthan
Stewardeß: Iris Hahnemann
Pförtner: Paul Hubschmid
Ordog: Dietrich Frauboes
Immer wieder angespielter Song im Hörspiel: Aphrodites Child - The Four Horsemen
Michael Koser
Donnerstag, 28. August 2025 08:28
Tote singen nicht
Michael Koser: Tote singen nicht (Kriminalparodie) (nach Raymond Chandler) (RIAS/SWF 1971)
Phil Marlin: Das Haus war der gemeinsame Alptraum eines größenwahnsinnigen Architekten und eines Bauherrn, der zuviel Geld hatte, eine unwahrscheinliche Kreuzung aus gotischem Palazzo, maurischer Kathedrale und griechischem Eiscreme. Aber ich war ja nicht hier, um den Geschmack der oberen Zehntausend zu beurteilen. Mister Waterson ließ mich warten. Er konnte sich das leisten, er hatte eine Empfangshalle so groß wie das Landedeck eines Flugzeugträgers, einen fast echten englischen Butler, den er wahrscheinlich auf einer Antiquitätenmesse ersteigert hatte, und mehr Dollars als die übrige Stadt zusammen, und ich war bloß ein kleiner Fisch. Mein Auto war drei Jahre alt, mein Anzug war auch, und mein letzter Kontoauszug war das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt stand.
Waterson: Sie sind mir empfohlen worden, Mister Marlin, und ich habe Sie aus Los Angeles kommen lassen, weil es in unserer sauberen kleinen Stadt keine Privatdetektive gibt.
Marlin: Bourbon on the rocks.
Waterson: Bitte?
Marlin: Sie haben vergessen, mir was anzubieten, oder gibt es in Ihrer sauberen kleinen Stadt auch keinen Alkohol?
Waterson: Ich glaube nicht, daß mir Ihr Ton gefällt.
Marlin: Den kriegen Sie gratis, ich koste 100 Dollar pro Tag plus Spesen, dafür bekommen Sie einen verhältnismäßig unbestechlichen Detektiv, der regelmäßig zum Friseur geht und sich dreimal am Tag die Hände wäscht, wenn Sie einen Heiligen brauchen, hätten Sie dem Papst schreiben sollen, haben Sie einen Auftrag für mich oder nicht.
Waterson: Ja, ich werde mich bemühen, Ihr Benehmen zu ignorieren.
Marlin: Wenn Ihnen dabei wohler ist, also, ich höre.
Waterson: Es geht um meinen Schwager, den Bruder meiner Frau, William Chain, 28 Jahre er ist seit 4 Tagen verschwunden und sie sollen ihn auftreiben hier ist ein Foto.
Marlin: Warum gehen Sie damit nicht zur Polizei.
Waterson: Bill war, ist in letzter Zeit, wie soll ich sagen, etwas merkwürdig, seit er drüben verwundet und nach Hause abgeschoben wurde.
Marlin: Nicht ganz richtig im Kopf.
Waterson: Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken wollen ja, wir fürchten, das heißt meine Frau fürchtet, daß er etwas anstellen könnte, etwas Kriminelles.
Marlin: Wo soll ich ansetzen, ich, ich brauche Informationen.
Waterson: Natürlich, ich habe Ihnen ein Hotelzimmer reservieren lassen, Sie halten sich dort auf, bis sich meine Frau mit Ihnen in Verbindung setzt, sie kennt Bill besser als ich und wird Sie informieren.
Empfangschef: Ihr Schlüssel, Sir, Zimmer 207.
Marlin: Danke.
Empfangschef: Sind Sie das erste Mal in San Pedro? Eine saubere, kleine Stadt, Sir, wir sind stolz darauf...
Marlin: Ja ja, das kenn ich schon, heben Sie sich das für den nächsten auf und schicken Sie mir in zehn Minuten eine Flasche Bourbon aufs Zimmer.
Marlin: Die Atmosphäre des Zimmers schlug mir entgegen, wie das zahnlose Grinsen einer uralten Frau, es stank nach Chlor und verborgenen Sünden, ich machte das Fenster auf und vertrieb mir die Zeit mit meiner Flasche. Ja?
Waterson: Lassen Sie die Finger vom Fall Chain. Wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, verschwinden Sie aus der Stadt.
Marlin: Hören Sie mal gut zu...
Violet: Mister Marlin? Hier ist Violet Waterson!
Marlin: Ach so, wer weiß, außer Ihnen und Ihrem Mann, noch davon, daß ich hier in der Stadt bin.
Violet: Niemand, warum fragen Sie.
Marlin: Es ist nicht wichtig, was wollten Sie mir sagen, Mrs. Waterson?
Violet: Nicht jetzt, treffen Sie mich heute abend im Tijuana-Klub, gegen neun.
Marlin: Muß das sein.
Violet: Sie sind nicht sehr höflich, Mister Marlin.
Marlin: Ich habe einen Job.
Violet: Deshalb will ich mich ja mit Ihnen treffen, seien Sie pünktlich.
Kellner: Bitte Sir, Mrs. Waterson.
Marlin: Danke, bringen Sie mir einen Martini.
Kellner: Trocken, Sir?
Marlin: Wie die Sahara.
Kellner: Sehr wohl.
Marlin: Sind Sie nicht ein bißchen zu jung für Ihren Mann?
Violet: Danke, sehen Sie nicht ein bißchen zu gut aus für einen Privatdetektiv?
Marlin: Och, durch jahrelanges Bodybuilding entwickelte ich mich vom Schwächling zum kraftvollen Wunschtraum der Frauen, wo ist ihr Bruder?
Violet: Ich weiß nicht, bitte, Mister Marlin, Sie müssen ihn finden, bevor er noch mehr Unheil anrichtet.
Marlin: Unheil, was für Unheil, Mrs. Waterson?
Violet: Nennen Sie mich Violet.
Marlin: Was für Unheil, Mrs. Waterson?
Violet: Ich mach mir Sorgen um Bill, wissen Sie, ich hab mich immer für ihn verantwortlich gefühlt, obwohl er älter ist als ich.
Marlin: Warum haben Sie mich hierher bestellt?
Violet: Bill ist mit einem Mädchen befreundet, das bis vor kurzem im Klub gearbeitet hat, eine Tänzerin, Kokola Bern, so nannte sie sich jedenfalls, ein unmögliches Wesen, vulgär, ich hab nie verstanden, was Bill an ihr fand, geben Sie sich Mühe, meinetwegen, und wenn Sie was herausbekommen haben, rufen Sie mich an, ich bin immer für Sie zu sprechen, wenn Sie Bill gefunden haben, dürfen Sie mich zu Champagner einladen.
Marlin: Violet, ich mag Blonde, besonders wenn sie eine Figur wie Marilyn Monroe haben, als meine Knie nicht mehr zitterten, ging ich an die Bar, in einer viertel Stunde hatte ich die Adresse von Kokola Vern alias Maggie Pulaski.
Maggie Pulaski: Sie wandeln nicht auf dem Pfade des Lichts.
Marlin: Wie war das?
Maggie Pulaski: Ihre Aura ist unrein, Ihre Seele wälzt sich im Schlamm wie ein Tier, Sie sind der Versucher, der Dämon, der den Kindern des Lichts Fallstricke legt.
Marlin: Wo ist Bill Chain, Ihr Freund Chain, verstehen Sie mich?
Maggie Pulaski: Führe uns nicht in Versuchung, gehen Sie, verdunkeln Sie nicht durch Ihre Gegenwart das Licht, das nur den Reinen scheint, gehen Sie...
Marlin: Eine geladene und entsicherte 38er kann auch in einer zitternden Hand sehr überzeugend wirken, ich zuckte die Achseln und ging.
Marlin: Sie wandeln nicht auf dem Pfade des Lichts.
Empfangschef: Verzeihung, Sir?
Marlin: Sie sind der Dämon, der den Kindern des Lichts Fallstricke legt, sagt Ihnen das was?
Empfangschef: Ich wüßte nicht. – Oh, besten Dank, Sir.
Marlin: Kommt jetzt die Erleuchtung, wandeln Sie nun auf dem Pfade des Lichts?
Empfangschef: Könnte sein, die Vereinigung der Freunde des Lichts, eine Sekte, irgendwie östlich, glaube ich, indisch oder so, der Chef nennt sich Guru, wirkt sehr auf Frauen, ich habe gehört, daß er ganz gut davon leben kann.
Marlin: Ja, was es nicht alles gibt, in Ihrer sauberen, kleinen Stadt.
Marlin: In dieser Nacht träumte ich von Violet Waterson, es war ein wunderschöner Traum, in Breitwand und Technicolor.
Marlin: Ja?
Piet: Hä-hä-hä-hä-hä-hä-Hände hoch!
Toni: Halts Maul, Piet, ich würde an Ihrer Stelle die Hände hochnehmen, Mister Marlin, wir haben zwei Kanonen und können damit umgehen, wie man so sagt, sieh dir mal seine Brieftasche an, Piet, sieh mal an, ein Privatdetektiv, ein mieser Schnüffler, wie man so sagt, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht, Mister Marlin, ich glaube, wir müssen Ihnen eine kleine Lektion erteilen, Mister Marlin, Sie schnüffeln hinter Bill Chain her, der Boss schätzt das nicht, Sie werden von hier verschwinden und wir werden Ihnen Beine machen, wie man so sagt, brat ihm eine über, Piet.
Piet: Au!
Toni: Halts Maul, Piet, Mister Marlin, Sie haben meinem Kumpel den Unterkiefer gebrochen, das gehört sich aber gar nicht.
Marlin: Hören Sie, mein Freundchen, ich bestimme jetzt, was sich gehört, ich habe eure Kanonen und ich kann auch damit umgehen, raus hier, los raus.
Toni: Mister Marlin, wir sehen uns noch.
Marlin: Ja, das werden wir ja sehen.
Marlin: Ich konnte mir denken, wer die beiden Figuren auf mich losgelassen hatte, und die silberne Kette aus Indien, die an Piets ungewaschenem Hals ebenso fehl am Platz war wie eine Jungfrau im Bordell, machte mich noch sicherer, es wurde Zeit, daß ich mir diesen Guru mal ansah, schlägt dich einer auf die rechte Wange, so tritt ihm dafür kräftig in den Bauch, wie man so sagt.
Guru: Wie war der Name?
Marlin: Chain, William Chain.
Guru: Und Sie glauben, daß er ein Erleuchteter ist, ein Jünger des Karma?
Marlin: Ich glaube, daß er zu Ihrem Verein gehört, wenn Sie das meinen, und daß Sie mir sagen können, wo er steckt.
Guru: Wer auf dem Pfade des Lichts wandelt, hat die unreinen Tiefen des Irdischen hinter sich gelassen.
Marlin: Das zieht bei mir nicht.
Guru: Drohen Sie mir, Mister Marlin?
Marlin: Sie haben mir doch diese beiden Witzbolde mit Kanonen auf den Hals gehetzt, das ist meiner Aura nicht gerade gut bekommen.
Guru: Sie versündigen sich an den Geheimnissen des Karma.
Marlin: Ach hören Sie doch auf, Sie sind hier nicht in Ihrem Tempel oder wie Sie das nennen, reden Sie Klartext, an Ihrer religiösen Masche bin ich nicht interessiert.
Guru: Ich habe Sie unterschätzt, Mister Marlin, wie Sie mit meinen, nun ja, Abgesandten fertig geworden sind, Kompliment.
Marlin: Ach, nicht der Rede wert, so was mach ich jeden Morgen vor dem Frühstück, außer Sonntags.
Guru: Ich könnte Sie gebrauchen, wenn wir die Sache zusammen deichseln, kann nichts mehr schief gehen, ich beteilige Sie, ein Millionengeschäft, Mister Marlin.
Marlin: Wo ist Chain?
Guru: Chain, Chain, Chain ist unwichtig, das wissen Sie doch, ich weiß, wer Sie bezahlt und warum Waterson so scharf darauf ist, seinen Schwager wieder in die Hand zu bekommen, überlegen Sie sich die Sache!
Marlin: Ich verstand überhaupt nichts mehr, aber ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, Phil Marlins berühmte Vorahnung, deshalb fuhr ich den Wagen nur um die Ecke und wartete, nach einer halben Stunde erschien eine alte Bekannte, Miss Magie Pulaski, die da auf dem Pfade des Lichts wandelte, sie verschwand im Haus des Guru und kam nach kurzer Zeit mit einem Mann zurück, ich brauchte nicht auf das Foto zu sehen, um ihn zu identifizieren, mein Gefühl hatte recht gehabt, ich fuhr hinterher, wir hielten in einer ruhigen Straße am Stadtrand, Magie Pulaski ging mit Chain in einen Bungalow, ich wartete, die Minuten schichteten sich aufeinander wie zerschundene Autos auf einem Schrottplatz, schließlich kam Magie allein zurück, setzte sich in ihren Wagen und fuhr ab, ich suchte einen drugstore in der Nähe, um meinen Auftraggeber anzurufen: Es begann zu regnen.
Violet: Phil. Wie sieht er aus?
Waterson: Gute Arbeit, Marlin, wo steckt er?
Marlin: Das habe ich Ihrer Frau schon gesagt.
Waterson: Gut, warten Sie da, ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen, übrigens, was für einen Wagen fahren Sie?
Marlin: Buick, grün, bißchen angerostet, warum?
Radio: ...der befleckt noch furchtsam ist, der Detektiv in Geschichten dieser Art muß solch ein Mann sein, er ist der Held, er ist alles, er muß ein vollkommener Mann sein und ein gewöhnlicher Mann, und er muß doch ein...
Polizist Mac: Das ist er, Chef, grüner Buick.
Marlin: Wenn Sie sich meinen Wagen lange genug angesehen haben, können Sie mir vielleicht sagen, was Sie von mir wollen?
Polizist: Sie stehen im Parkverbot, Mister!
Marlin: Ich brech gleich in Tränen aus, wo ist denn das Schild?
Polizist: Wenn die Polizei sagt, daß Sie im Parkverbot stehen, dann stehen Sie im Parkverbot. Aussteigen!
Marlin: Moment mal, nehmen Sie Ihre verdammten Pfoten von meinem Wagen!
Marlin: Der Griff einer Polizeipistole an meinem Hinterkopf war das letzte, was ich spürte. Ich war Tarzan und hüpfte im Urwald von Ast zu Ast, ich rief den Kampfschrei der großen Menschenaffen und zertrat alle Bullen der Welt unter meinen großen Füßen, ich war der größte, und Violet Waterson sah bewundernd zu mir auf, wenn mir nur der Kopf nicht so weh getan hätte...
Polizeichef: Wird aussagen, was wir ihm beibringen. Ja, Marlin ist dran, bei dem Beweismaterial schickt ihn jede Jury in die Gaskammer. Der Guru? Marlin muß eben gestehen, daß er Chain in seinem Auftrag umgelegt hat, dann sind wir die ganze Bande los, wenn er nicht will, laß ich ihn auf der Flucht erschießen, sowieso sicherer, natürlich, gefälschte Aussage, kein Problem, die Papiere bring ich Ihnen, sobald ich Zeit habe, ok, danke.
Polizist: Chef, er wird wach.
Polizeichef: Dann werden wir uns doch mal um Mister Marlin kümmern.
Marlin: Ich lag in einem Zimmer auf einem weichen Berberteppich, meine Luger hatte ich in der Hand, ich brauchte nicht am Lauf zu riechen, um zu wissen, daß sie vor kurzem abgefeuert worden war, neben mir lag Bill Chain, tot, mit einem häßlichen Loch im Kopf, die Bullen waren auch da, allmählich wurde mir die Sache klar, ich hätte mich selbst zusammenschlagen können, wenn das nicht schon jemand anders für mich erledigt hätte.
Polizeichef: Nehmen Sie ihm die Pistole weg, Mac.
Marlin: Kann ich, kann ich eine Zigarette haben?
Polizeichef: Erst wenn Sie Ihre Aussage gemacht haben.
Marlin: Sie haben mich niedergeschlagen.
Polizeichef: Natürlich, schließlich haben wir Sie bei einem Mord erwischt, warum haben Sie Chain erschossen, der Guru hat Sie dafür bezahlt, stimmt’s?
Marlin: Erzählen Sie doch weiter, Sie, Sie wissen ja mehr als ich, haben sich doch schon alles zurechtgelegt.
Polizist: Da hat er recht, Chef.
Polizeichef: Wir haben sogar schon ein schriftliches Geständnis.
Marlin: Gute Arbeit.
Polizeichef: Sie waren heute morgen beim Guru und haben von ihm den Auftrag bekommen, Chain umzulegen, und das haben Sie dann auch gleich getan, mit Ihrer eigenen Kanone, Sie brauchen nur noch zu unterschreiben.
Marlin: Ach, machen Sie es selber, ich... auf eine kleine Urkundenfälschung kommt es doch sicher nicht mehr an...
Polizist: Ein Witzbold, Chef.
Polizeichef: Wie Sie wollen, Marlin, Plan Nummer zwei, Mac, nehmen Sie sich zwei Leute und fahren Sie Mister Marlin zum Präsidium, Sie sind persönlich für ihn verantwortlich, bei einem Fluchtversuch wird sofort scharf geschossen.
Polizist: OK, Chef, kleiner Umweg über den Wald, sicherheitshalber?
Polizeichef: Sie haben es erfaßt.
Marlin: Kann ich... kann ich jetzt eine Zigarette haben?
Polizist: OK, hier, halt mal an, steigen Sie aus, Marlin.
Marlin: Endstation Sehnsucht.
Polizist: Raus, wir haben nicht viel Zeit, los los, noch ein paar Schritte, wir wollen es uns doch nicht zu leicht machen.
Piet: Ha-ha-ha-hallo?
Toni: Halts Maul Piet, seien Sie beruhigt Mister Marlin das war fünf Minuten vor zwölf wie man so sagt, kommen Sie, unser Wagen steht gleich hier auf dem Waldweg.
Marlin: Erinnern Sie mich daran, daß ich Sie in meinem Testament bedenke, auch wenn Sie an Mundgeruch leiden... wohin?
Toni: Zum Boss natürlich, seine Heiligkeit, der Guru, will mit Ihnen die Karre aus dem Dreck ziehen, wie man so sagt, hahahaha...
Marlin: Haben Sie mal eine Zigarette für mich? Danke.
Guru: Spielen Sie Schach, Mister Marlin?
Marlin: Ja.
Guru: Ich hab mich manchmal gefragt, Mister Marlin, was sich wohl ein Bauer denkt, der auf dem Feld hin und hergeschoben wird, wenn er denken könnte, natürlich, sagen Sie es mir.
Marlin: Was hatte Chain gegen Waterson in der Hand?
Guru: Sieh da, Sie haben nachgedacht, Mister Marlin, es nützt Ihnen zwar nichts mehr, aber Sie geben sich Mühe, lobenswert.
Marlin: Danke, darf ich mich eins rauf setzen?
Guru: Waterson ist der heimliche Boss unserer kleinen sauberen Stadt, Mister Marlin, mit dem Polizeichef zusammen kontrolliert er alles was Geld bringt, Bars, Spielhöllen, das Rauschgiftgeschäft, was Sie wollen, Chain hatte keine Ahnung davon, aber als er vom Militär entlassen wurde, und bei Waterson wohnte, stieß er zufällig auf Unterlagen, interne Abrechnungen, Geschäftspapiere, er war entsetzt, moralisch entrüstet, glaubte immer noch an Sauberkeit, verstehen Sie, an den amerikanischen Traum, deshalb nahm er die Papiere an sich, um Waterson hochgehen zu lassen, zur Polizei konnte er damit natürlich nicht gehen, aber er hatte jemand, dem er sich anvertrauen konnte, einen geistigen Ratgeber, der ihn auf dem Pfade des Lichts zur Vollkommenheit führte.
Marlin: Und Sie sahen Ihre große Chance, Sie nahmen Chain bei sich auf, versteckt-en ihn und benutzten seine Papiere um Waterson zu erpressen, die fromme Hochst- apelei genügte Ihnen nicht mehr, Sie wollten in das ganz große Geschäft einsteigen.
Guru: Sehr gut, Mister Marlin.
Marlin: Aber Waterson war gerissener als Sie, er kriegte heraus, wo Chain steckte, und ließ ihn von der Polizei umlegen.
Toni: Tote singen nicht, wie man so sagt.
Marlin: Außerdem ließ er Beweismaterial fälschen, um Sie in den Mord an Chain zu verwickeln, Sie haben Ihr Spiel verloren.
Guru: Noch nicht, Mister Marlin, Toni, Piet, seht mal nach, wer da ist, will jetzt nicht gestört werden.
Toni: OK, Boss.
Guru: Noch nicht, Mister Marlin, ich habe Sie, und Sie wissen, wer Chain erschossen hat und warum, ich biete Waterson ein Geschäft an, wenn er mich beteiligt, liefere ich Sie der Polizei aus, als Leiche natürlich.
Polizeichef: Hände hoch!
Waterson: Was habe ich Ihnen gesagt, Chef, da sind Sie beide.
Polizeichef: Umlegen, Mister Waterson?
Waterson: Mit Mister Marlin würde ich mich gern noch ein bißchen unterhalten, aber den Guru brauchen wir nicht mehr, würden sie freundlicherweise...
Guru: Nein, nicht!
Waterson: Danke, damit sind Sie selbst auch überflüssig geworden, Chef, Sie wissen zu viel.
Polizeichef: Mister Waterson!
Marlin: Gratuliere, Mister Waterson, damit haben Sie alle Zeugen ausgeschaltet.
Waterson: Bis auf einen, Marlin, Sie wissen, daß mir gar nichts anderes übrig bleibt, als Sie auch noch zu erschießen.
Marlin: Im Moment konnte ich nichts anderes tun, als Waterson freundlich anzugrinsen, und unter dem Tisch mit dem Fuß nach dem schweren 45er-Colt des Polizeichefs zu angeln, mein Leben hing an meinem großen Zeh, wie schon so oft.
Waterson: Ich muß mich bei Ihnen bedanken, Mister Marlin, ohne Sie wäre mein Plan schiefgegangen.
Marlin: Es freut mich immer, wenn ein Auftraggeber mit mir zufrieden ist, empfehlen Sie mich bitte weiter.
Waterson: Sie waren mir äußerst nützlich, nicht weil Sie Bill Chain gefunden haben, das hätte notfalls auch die Polizei erledigen können, Sie sind der Sündenbock, der Mann, dem man alles anhängen kann, und diese Rolle haben Sie perfekt gespielt, Sie haben Chain aufgestöbert und mich informiert, damit ich mich um ihn und Sie kümmern konnte, und wenn der Guru nicht dazwischen gekommen wäre, lägen Sie jetzt als überführter Mörder im Leichenschauhaus, aber nicht wahr, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Marlin: Sie waren aber auch nicht schlecht, Ihre Rolle als biederer Kleinstadtmillionär, der sich widerwillig mit einem Privatdetektiv abgeben muß, großartig.
Waterson: Angewandte Psychologie, mein bester, bevor ich Sie kommen ließ, habe ich mich über Ihre Methoden und Ihren Charakter genau informiert, Sie lassen sich von Ihren Auftraggebern nichts gefallen, außerdem sind Sie stur, wenn Sie einen Fall bearbeiten, führen Sie ihn zu Ende, Widerstand macht Sie nur noch verbissener, deshalb habe ich für Widerstand gesorgt, dieser Anruf gestern in Ihrem Hotel.
Marlin: „Lassen Sie die Finger vom Fall Chain“, hmh, das waren Sie.
Waterson: Ja, ich wußte, wie das auf sie wirken würde, und ich hatte recht, ich habe meistens recht, Marlin.
Marlin: Damit haben Sie es ja auch zum großen Kleinstadtgangster gebracht.
Waterson: Ganz recht, seien Sie mir nicht böse, wenn ich unsere interessante Unter-haltung jetzt beende, es ist noch so viel zu tun, ein neuer Polizeichef und... Violet!
Marlin: Sie stand in der Tür wie der Racheengel der Apokalypse, und ihr Schwert war ein Smith & Wesson Detective Special, ich langte nach dem Colt, aber das war nicht mehr nötig, sie wurde mit der Situation allein fertig, das ewig weibliche, wie man so sagt, aber Toni, der mir das Leben gerettet hatte, war tot, und Piet, und drei Bullen, und der Guru, und der Polizeichef, alle tot, und jetzt war Waterson fällig.
Violet: Er hat mich belogen, er hat versprochen, daß Bill nichts geschieht.
Marlin: Geben Sie mir Ihren Revolver.
Violet: Ich konnte doch nicht ahnen, daß er Bill umbringen wollte, und ich hab ihm noch dabei geholfen.
Marlin: Trösten Sie sich, ich auch, dann haben Sie mich also im Auftrag Ihres Mannes auf Magie Pulaski angesetzt.
Violet: Ja, ich sollte auf Sie aufpassen, damit Sie Bill auch bestimmt finden, er sagte, er wolle nur die Papiere zurück, er hat versprochen, daß Bill nichts geschieht.
Marlin: Bill, Violet, das war doch nur Theater, Sie wollten sicher gehen, ich sollte mit feuchten Dackelaugen hinter Ihnen herlaufen, damit ich nicht sehe, was rechts und links von mir geschieht, ja, gut ausgedacht, so war’s doch, ach, so war’s doch.
Marlin: Der Fall war erledigt, das Aufräumen konnten andere übernehmen, ich rief die Polizei in Los Angeles an und bestellte zwei Wagenladungen Staatsgewalt nach San Pedro, dann machte ich Bilanz, mein Honorar für zwei Tage und die Spesen waren in den Wind gehustet, und die versprochene Champagnerorgie mit Violet konnte ich im Frauengefängnis feiern, wenn Waterson mir wenigstens einen Vorschuß gegeben hätte.
Empfangschef: Sie wollen uns schon wieder verlassen, Sir, hoffentlich hat es Ihnen in unserer sauberen kleinen Stadt gefallen.
Marlin: Ja, ich brauch mich wochenlang nicht mehr zu waschen.
Empfangschef: Ich habe gehört, daß sich demnächst hier einiges ändern wird, glauben Sie das?
Marlin: Hm, vielleicht.
Empfangschef: Ach, wissen Sie, das ist uns schon ein paar Mal so gegangen, wenn ein Boss abtritt, steht der nächste schon von der Tür, verzeihen Sie, Sir, gute Reise.
Marlin: Phil Marlin war mal wieder der große Katalysator gewesen, der Mann, der seine Fälle auf einem Berg von Leichen beendet, hart, unbeeindruckt, ein Held, wie er im Buche steht, wenigstens bei Chandler, ich hing mir selbst zum Hals raus. Als ich aus der Stadt fuhr, hing der schmutzig-gelbe Himmel über mir wie das Fell einer ertrunkenen Siamkatze. Ich wollte nach Hause.
Phil Marlin, Privatdetektiv: Arnold Marquis
Mr. Waterson: Gerd Martienzen
Mrs. Violet Waterson: Barbara Schöne
Polizeichef: Klaus Sonnenschein
Gangster Pete: Norbert Langer
Gangster Toni: Joachim Pukasz
Der Guru: Moritz Milar
Maggie Pulaski: Eva Manhardt
Polizist Mac: Andreas Berg
Empfangschef: Georg Braun
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:36
Abgesang
Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Abgesang
Jonas: Sie war jünger als ich. Um die 40. Dunkles Haar. Dunkle Augen. Eine wohlgefällige Figur in einem dieser Outfits, die nach nichts aussehen und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In meinem schäbigen Büroapartment wirkte sie wie ein Kirschblütenzweig in einer alten Bierflasche.
Judith 2: Mein Name ist Judith.
Jonas: Judith?
Judith 2: Sie sehen mich an, als ob Sie mich kennen. Kenne ich Sie?
Jonas: Sie hieß Judith, und so sah sie auch aus. Was war das? Eine Halluzination?
Sam: Dejavu, Monsignore.
Jonas: Deschawas?
Sam: Ach vergiß es.
Jonas: Dabei hatte er so mies angefangen, dieser 1. Mai 2017. Der Geburtstag eines gewissen Detektivs. Ich war früh geweckt worden. Im Prinzip keine schlechte Sache, weil ich böse geträumt hatte. Ich war draußen, in PH 1, kroch durch Röhren, stand auf dem blutigen Dach, 600 m hoch, saß in einer überfüllten Kneipe, versoff meine Gutscheine. Ein Proll unter vielen. Das Leben war vorbei. Erinnerung. Oder Zukunftsvision? Gestern hatte das Amt für freie Berufe mich erinnert, daß ich nur noch zwei Monate Zeit hatte, einige tausend Euro zu verdienen, ansonsten drohte Ausweisung aus Babylon, in die Prekariats-Heimstatt. Das war kein Albtraum.
Sam: Happy birthday, lieber Jonas, happy birthday to you.
Jonas: Du mich auch, Sammy.
Sam: 50 Jahre sind es wert, daß man ihn besonders ehrt. Er lebe hoch, höher, am höchsten.
Jonas: 50. Auch das noch. Ist doch kein Alter für einen Detektiv. 30 OK, 40 geht noch. Fit und erfahren, eingedellt, Narben an Körper und Seele, oder 70 von mir aus, keine Exen mehr, dafür Kopfarbeit auf dem Sofa. Altersweise. Aber 50?
Sam: Hörst du das Fon, welch lieblicher Ton, ein Glückwunsch.
Jonas: Es war kein Glückwunsch, es war die Kündigung. Mein Viertel wurde saniert, mein Haus abgerissen. In einem Monat mußte ich raus aus meinem Büroapartment. Das Casablanca war schon seit Wochen geschlossen.
Sam: Und nun gerade: Happy Birthday!
Jonas: Halt die Backen, Sammy. Nachrichten.
Sam: Jawohl. Euer Wunsch o Herr sei mir Befehl.
Nachrichtensprecher: Im Sicherheitsrat der UN. Bekanntlich beansprucht China jedes chinesische Restaurant, wo immer es sich befindet, als Hoheitsgebiet, inklusive einer...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Unruhen in PH 1, die durch energisches Eingreifen der Grenztruppen beendet wurden. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt. Wie...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Hat sich trotz Bemühungen der Aktion Lebensabend die Zahl hilfsbedürftiger Senioren weiter alarmierend erhöht. Und nun zum Wetter. Babylon registriert heute den 209. Regentag in Folge. Damit sind wir vom Rekord des Jahres 2014 nur noch 20 Tage...
Jonas: Na wunderbar. Dauerregen. 50. Geburtstag. Kündigung. PH 1. Graue Gegenwart. Schwarze Zukunft. Jonas steckte voll drin, im Babylon Blues. Aber dann kam sie. Judith. Nicht meine Judith. Nicht Judith Delgado. Natürlich nicht. Judith Delgado war seit 5 Jahren tot. Aber sie hieß Judith. Und sie sah aus wie Judith Delgado. Es war doch nicht alles mies, dachte ich. Doch dann sagte sie mir, wohin sie mich schicken wollte.
Judith 2: Ins Niemandsland.
Jonas: Will ich nicht. Mach ich nicht.
Judith 2: Sie müssen, Herr Jonas. Es geht um Nicolas, meinen Mann. Nicolas Toulemonde, Vizebischof der apostolischen Kirche.
Sam: Vize was?
Judith 2: Das ist sein Beruf.
Jonas: Halt den Rand, Sam. Hochanständiger Job.
Judith 2: Gewiß, aber auch, wie soll ich mich ausdrücken, vorhersehbar. Langweilig. Und darum unternimmt Nicolas zum Ausgleich Abenteuerreisen.
Jonas: Ins Niemandsland.
Judith 2: Vor einer Woche ist er aufgebrochen.
Jonas: Ohne Sie?
Judith 2: Er fährt immer allein. Ich mache mir nichts aus Strapazen, aus Hunger und Durst und Blasen an den Füßen.
Jonas: Sehr vernünftig. Ihr Mann ist also ins Niemandsland aufgebrochen, wann genau.
Judith 2: Am 24. April. Morgens. Am Abend hat er sich kurz gemeldet über Satellitenfon. Gut angekommen, alles in Ordnung.
Jonas: Angekommen, wo?
Judith 2: In Besalam. Zwischen Wildnis und Niemandsland, wo die Abenteuerkarawanen starten.
Jonas: So. Und dann?
Judith 2: Nichts mehr. Kein Anruf, keine Nachricht. Bis gestern.
Jonas: Haben Sie nicht versucht, ihn anzurufen.
Judith 2: Ja natürlich, immer wieder hab ich's versucht, aber ich hab nicht mal seine Mailbox erreicht. Ja, und dann kam gestern nachmittag dieser Anruf.
Jonas: Von ihrem Mann.
Judith 2: Von seinem Fon. Aber es war nicht Nicolas. Ein Fremder. Mit Drittweltakzent. Er gehört zu den Freiheitskämpfern des Orients. Hat er gesagt.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients. Nie gehört.
Judith 2: Ich habe das Gespräch selbstverständlich aufgenommen.
Kidnapper: Wir Freiheitskämpfer haben gefangen Bischof Toulemonde, wenn wir nicht bekommen drei Millionen Euro in Diamanten als Spende für Freiheitskampf wir werden töten Bischof Toulemonde.
Judith 2: Drei Millionen. Wann und wie soll ich...
Kidnapper: Planquadrat SW 170-2. Dort in Wüste großer roter Felsen, sieht aus wie Kamel. An diese Felsen wir warten Spende bis 4. Mai abend. Wenn Sonne untergeht und Diamante nicht da, wir werden zerschneiden Bischof und verteilen in Wüste. Verstanden.
Judith 2: Ja, aber...
Judith 2: Aufgelegt. Ich war geschockt, das werden sie verstehen, Herr Jonas.
Jonas: Sehr erschüttert schien sie allerdings nicht zu sein. Aber vielleicht war das Charakterstärke und Beherrschung. Alle Judiths sind starke Frauen.
Judith 2: Als ich mich ein bißchen beruhigt hatte, rief ich die Firma an, die Nicolas Reise organisiert hat.
Jonas: Name?
Judith 2: Extrem. Der ultimative Kick.
Jonas: Adresse?
Judith 2: Markgrafenboulevard 727.
Jonas: Was haben Sie erfahren.
Judith 2: Nichts. Der zuständige Sachbearbeiter hatte keine Ahnung. Er wollte sich schlau machen und mich dann zurückrufen.
Jonas: Hat er?
Judith 2: Bis jetzt nicht. Dann dachte ich an die Polizei.
Sam: Ha, die Bullen? Kannst du vergessen, Schwester.
Judith 2: Was ist das?
Jonas: Mein Computer. Sam. Redet viel, weiß dummes Zeug.
Sam: Nanana.
Jonas: Aber ab und zu hat er recht. Draußen im Niemandsland ist die babylonische Polizei machtlos.
Judith 2: Das hat mir Chefinspektor Brock auch gesagt.
Jonas: Sieh an, wir kennen Brock, was Sammy?
Sam: Ja, gewiß doch euer Gnaden. Hat der gute Chefinspektor nicht des öfteren in unseren Fällen figuriert, hmh?
Judith 2: Brock hat mir geraten, mich an Sie zu wenden, Herr Jonas, Sie könnten das Lösegeld überbringen, sie kennen das Niemandsland, hat er gesagt, sie waren schon mehrmals da.
Jonas: Dreimal. Und ich habe keine schönen Erinnerungen an die Trips. Beim letzten Mal war's am schlimmsten.
Sam: Fall Invasion, o Grödaz.
Jonas: Grödaz?
Sam: Ja, Grödaz. Größter Detektiv aller Zeiten. Dummie. Juni 2015.
Jonas: Das reicht mir. Noch mal muß ich da nicht hin.
Judith 2: O doch Sie müssen, Herr Jonas, weil ich Sie darum bitte. Außerdem zahle ich. 5 Prozent vom Lösegeld.
Sam: Fünf Prozent... sind 15.000 Euro.
Jonas: 150.000 du Dödel.
Sam: Siehst du, ein erkleckliches Sümmchen, Herr Rechnungsrat. Statuserhaltend gewissermaßen. Umzugsverhindernd.
Judith 2: Was meint er?
Jonas: Ah, nicht so wichtig.
Sam: Importane.
Judith 2: Brock hat noch mehr gesagt, Herr Jonas. Sie sind ein anständiger Mensch, und für den Job ist keiner so geeignet wie sie.
Sam: Ja das stimmt, ja ja ja.
Jonas: Mußte Jonas wirklich nochmals ins Niemandsland. Nur weil seine Auftraggeberin Judith hieß und aussah wie Judith Delgado, die erste und einzige Liebe eines älteren Detektivs. Vielleicht.
Jonas: Ich werde darüber nachdenken und sie anrufen, heute noch, nachdem wir ein paar Nachforschungen angestellt haben. Sammy und ich.
Judith 2: Danke, Herr Jonas.
Sam: Ja, denn wie spricht der weise Bosequo? Vorsicht ist der weibliche Elternteil des Keramikbehälters.
Jonas: Oder so ähnlich. Judith ging, und Jonas scheuchte Sam durch alle Datenbanken, zugängliche und weniger zugängliche. Ergebnis:
Sam: Sie ist echt, unsere JuTou.
Jonas: Wer?
Sam: JuTou. Kurz und prägnant für Judith Toulemonde, oder auch Judith zwo.
Jonas: Es gibt sie also wirklich.
Sam: Ja, die Dame ist astrein, Herr Oberförster, wie auch ihr Ehegespons, Nicolas Toulemonde, Vize der apostolischen Kirche, hochangesehene Bürger Babylons beide und betucht, ja, Haus im Golden Ghetto, höchster Sozialstatus.
Jonas: Schön für sie. Es wurde Zeit für einen Ausflug zum noblen Markgrafenboulevard, wo eine ganze Etage in einem noblen Hochhaus von der Firma Extrem belegt war. Ein gertenschlanker türkisgelockter Jüngling ließ sich herab, Jonas zu empfangen. Nösel hieß er. So stand es auf dem Schild an seinem lavendelfarbenen Armanijäckchen. Er musterte mich wie ein Angler einen alten Stiefel, der sich an seinen Haken verirrt hatte.
Nösel: Sie wollen doch wohl keine Reise bei uns buchen Herr äh... In diesem Falle gestatten sie mir den gutgemeinten Hinweis, daß die dafür erforderlichen Mittel weit über ihren Möglichkeiten liegen dürften. Wenn ich sonst noch was für sie tun kann.
Jonas: Sie können.
Nösel: Ach wirklich?
Sam: Wetten, der Typ heißt mit Vornamen Schorsch, oder Scholastikus.
Nösel: Wie meinen.
Sam: Nösel äh Schnösel. Paßt wie der Pickel auf den Arsch.
Nösel: Ich muß doch sehr bitten.
Sam: Ja dann bitten sie mal.
Jonas: Entschuldigen Sie meinen Computer, Herr äh Nösel, er ist ein wenig ungehobelt, wie sein Herr. Soll ich Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin ein exzentrischer Milliardär, wenn man mich ärgert, werde ich grob, sehr grob, saugrob, und dann könnte ich Ihnen zum Beispiel äh einige Knöchlein in ihrem eleganten Leib zerschlagen. Strafe und Schadenersatz zahle ich aus der Westentasche.
Jonas: Er wußte nicht, ob er mir glauben sollte. Aber als vorsichtiger Mensch tat er es. Und war bereit meine Fragen zu beantworten. Ja, Vizebischof Toulemonde hatte bei Extrem eine Reise gebucht, in den besonders wilden südöstlichen Zipfel des Niemandslands, nicht weit von der Mauer. Nein, er wußte nicht, was mit dem Kunden geschehen war, auch der von Extrem gestellte Reiseleiter war verschwunden. Ja, er hatte von Frau Toulemonde erfahren, daß eine Gruppe namens Freiheitskämpfer des Orients behauptete, den Vizebischof entführt zu haben.
Nösel: Im Übrigen muß ich Sie, wie bereits auch Frau Toulemonde nachdrücklich darauf hinweisen, Herr äh, daß eine wie auch immer geartete Haftung der Firma Extrem für die Folgen unvorhergesehener unglücklicher Zwischenfälle auf den von uns vermittelten Abenteuerreisen laut Vertrag völlig ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluß gilt selbstverständlich auch für etwaige Entführungen und vergleichbare Mißgeschicke.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients, kennen Sie diese Gruppe, ist sie bei früheren Extrem-Reisen schon mal in Erscheinung getreten?
Nösel: Noch nie, Herr äh... Wie kennen andere Organisationen, die Taliban, die Waffen-SS, die goldene Horde etc. die in der gleichen Branche tätig zu werden pflegen.
Jonas. Entführung und Erpressung von Lösegeld.
Nösel: Äh, ja. Dies zu verhindern zahlt Extrem besagten Gruppierungen gewisse Anerkennungshonorare.
Jonas: Schutzgelder meinen Sie.
Nösel: Wenn sie es so ausdrücken wollen, Herr äh.
Jonas: Und die rote Armee, ist die nicht auch im Niemandsland aktiv?
Nösel: Nicht mehr, Herr äh... Soweit uns bekannt ist, hat sich die rote Armee vor einem Jahr weit in den Norden, in die wilde Tundra zurückgezogen.
Jonas: Das war beruhigend. Denn die rote Armee, und speziell ihr Häuptling Generalissimus Stalin hatten mit Jonas noch ein Hühnchen zu rupfen. Das mußte nicht sein. Zu Hause rief ich Chefinspektor Brock an, um ihm ein paar Fragen zu stellen, aber das war nicht mehr möglich.
Frauenstimme: Chefinspektor Brock wurde ein Opfer des unermüdlichen Einsatzes der Sicherheitsbehörden für die Bürger Babylons. Bei einer Routine-Razzia heute Nacht im Reservat ist er aus dem Helikopter gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben.
Jonas: Auch das noch. Meine Wohnung war gekündigt. Ich hatte kein Geld und keinen Sozialstatus, das Casablanca war zu. Dauerregen, 50. Geburtstag, und jetzt hatte Brock den Löffel abgegeben. Mein bester Feind. Mein einziger Freund. Wieder legte sich der Babylon-Blues über Jonas, so laut und so intensiv, als ob mir jemand Babylon unbedingt vermiesen wollte. Wie auch immer, Babylon war mir vermiest. Ich wollte raus, von mir aus sogar ins Niemandsland. Ich rief Judith an, und sagte ihr, ich würde ihren Auftrag annehmen.
Judith 2: Herr Jonas, ich bin hocherfreut.
Jonas: Den Herrn lassen Sie weg. Einfach Jonas, nur Jonas. Haben Sie das geforderte Lösegeld?
Judith 2: Kein Problem. 3 Millionen Euro in Diamanten liegen bereit.
Jonas: Dann bringe ich die Klunker für sie ins Niemandsland.
Judith 2: Nicht für mich, Jonas, mit mir. Ich komme mit.
Jonas: Haben Sie sich das gut überlegt, Judith, es wird gefährlich werden, strapaziös, vielleicht holen Sie sich sogar Blasen an den Füßen.
Judith 2: Ich bestehe darauf. Wann reisen wir ab?
Jonas: Sobald wie möglich, und das war sehr bald. Geld spielte keine Rolle. Noch am Abend flogen wir nach Bezalam. Von da ging's am nächsten Morgen weiter auf der Erde, aber nicht zu Fuß, wir mieteten den besten Wüstentruck, der zu haben war, Kettenfahrwerk, stabile Panzerung, großer Benzinvorrat in Zusatztanks, genügend Platz für alles, was der Mensch so braucht, wenn er vorhat, tagelang durch die Wüste zu ziehen. In diesem Fall zwei Menschen. Jonas fuhr. Judith saß neben mir, sehr schön anzusehen, in ihrem Safari-Overall von Dolce & Gabana. Gelbe und rote Wüstenfarben. Das Niemandsland war so, wie ich es in Erinnerung hatte, ziemlich tot, orange und grau, dazwischen Farbtupfer, schwarz, rot, giftgrün, Ruinen, Reste, Rost, geschmolzener Sand, Felsen. Tagsüber war es heiß, und nachts kalt, so kalt, daß Judith fror und zu mir in den Schlafsack kroch. Zweiter Reisetag, 3. Mai, wir erreichten Planquadrat SW170-2. Die Strahlen der untergehenden Sonne beschienen ein seltsames Gebilde am Horizont. Einen riesigen roten Felsen, der aussah wie ein liegendes Kamel, ein länglicher Kopf auf einem ebensolchen Hals. Dann ein großer runder Höker.
Sam: Ein Höker? In diesem Falle, hochgeschätzte Kommilitonen, handelt es sich keinesfalls um ein Kamel oder auch Trampeltier, der Wissenschaft bekannt als camelus bacterianus, vielmehr um ein Dromedar, camelius dromedarius.
Judith 2: Danke für die Vorlesung, Prof. Sam.
Sam: O gern geschehen Gnädigste.
Jonas: Ich glaube kaum, daß die sog. Freiheitskämpfer auf zoologische Finessen Wert legen. Dromedar oder Kamel, dieser Felsen ist unser Ziel.
Judith 2: Wir sind also angekommen.
Sam: Hurra!
Jonas: Noch nicht ganz, gleich wird's dunkel, wir sollten hier lagern und morgen früh weiterfahren, bei Helligkeit, damit wir sehen können, wer oder was uns erwartet.
Judith 2: Einverstanden. Halt an Jonas.
Jonas: In einer Höhle schlugen wir unser Lager auf. Nach dem Essen holte Judith eine Flasche aus ihrem Gepäck. Echt Whisky. Scotch. Old Forrester. Jonas Lieblingswhisky. Wenn er ihn kriegt, was selten genug vorkommt. Wir stießen an.
Judith 2: Auf Kamele.
Sam: Und Dromedare.
Judith 2: Auf Jonas.
Jonas: Auf Judith.
Sam: Auf Sam.
Judith 2: Auf den Erfolg unsere Mission.
Jonas: Auf den Erfolg. Der gefährlichste Teil kommt aber erst. Morgen.
Judith 2: Du hast ja so recht, Jonas, und du hast nicht die mindeste Ahnung, wie recht du hast. Trink aus.
Jonas: Ich wachte auf. Die ersten Sonnenstrahlen fielen in die Höhle. Das Feuer war ausgegangen. Mein Kopf tat weh. Mir war kalt. Kein Schlafsack. Ich kam auf die Beine, mühsam, und humpelte nach draußen. Keine Judith. Kein Wüstentruck. Kein Laserstrahler am Gürtel, und vor allem kein Sam, nicht in meiner Tasche, nicht auf dem Boden. Was war p***ert? Ich sah mich um. Nur Niemandsland bis zum Horizont. Keine Bewegung. Kein Mensch. Kein Fahrzeug. Dann sah ich doch was, Kettenspuren vom Truck. Sie führten nach Osten, Richtung Kamelfelsen. Im grobkörnigen Sand gut zu erkennen. Ich ging ihnen nach. Die Spuren führten in einen Canyon. Ich folgte ihnen. Langsam. Es wurde enger. Die steilen Wänden rückten näher zusammen. Vor mir eine Kurve. Ich ging noch langsamer und spähte vorsichtig um die Ecke.
Stalin: Kiche. Jonas, galupschik, dawolowatsch, willkommen.
Jonas: Stalin.
Stalin: Bada. Generalissimus Stalin. Du überrascht, Arschloch, häh?
Jonas: Ich überrascht. Hinter der Kurve wurde der Canyon weiter. Überall Menschen, vor mir, hinter mir, über mir, zottige zerlumpte Gestalten, bewaffnet mit Keulen und Macheten. Nomaden. Hunderte, ein ganzer Stamm, Flüchtlinge aus der Drittwelt. Freaks, Mutanten, die rote Armee. So nannten sie sich. In der Menge stand unser Truck, und daneben noch ein Gefährt, eine Art gigantischer Bollerwagen, aus Holz und Metall, eine Plattform auf 6 gewaltigen Rädern. Darauf ein Blockhaus, eine Pauke mit Pauker, ein rotlackierter Thron, und auf dem Thron ein alter Bekannter.
Stalin: Du nicht gedacht Wiedersehen Generalissimus Stalin, hä? Arschloch Jonas.
Jonas: Eine unerwartete Freude, weiß Gott. Hast du dir ein neues Fahrzeug zugelegt, alter Gauner, was ist mit dem T54.
Stalin: Äh, Problem mit Tank. Immer Problem. Kein Diesel. Darum Tank verkauft.
Jonas: An wen? Wer ist denn noch blöder als ihr?
Stalin: An Stamm in Zewa, Norden. Als***, Trankstinker, behandelt T54 als Gott. Nun, wir haben gebaut neue Auto.
Jonas: Ein Prachtstück. Und wie geht's selbst, Generalissimus.
Stalin: Spazibo. Wunderbar. Täubchen. Vetterchen. Hab ich doch endlich Arschloch.
Jonas: In den zwei Jahren hatte Stalin sich kaum verändert. Er sah immer noch aus wie ein sibirischer Dorfschullehrer. Schmal, weißhaarig, Drahtbrille, grüne Schirmmütze, Russenbluse, vollgesteckt mit bunten Abzeichen und Medaillen. Zerschlissene Reithose, Stiefel, und im Kopf noch klar. Er hatte nicht vergessen, daß Jonas ihn damals reingelegt hatte.
Stalin: Was wir mit dir machen, Arschloch, hä? Eingraben in Sand, alle Rotarmisten auf dich ***n, bist du tot. Dich kochen in Kessel ganz ganz langsam und dann dich essen.
Judith 2: Ihre Wiedersehensfreude, verehrter Generalissimus, sollten sie ein wenig später Ausdruck verleihen, vorher hab ich noch mit Jonas einiges zu klären.
Stalin: Karacho.
Jonas: Judith. Sie stand auf der Plattform, direkt neben Stalins Thron. Wie eine Gefangene sah sie nicht aus. Während die Nomaden Jonas griffen und festhielten, stieg sie herunter, kam näher, und stellte sich vor mich.
Judith 2: Weißt du Jonas, die Sache war ein wenig anders geplant, aber Stalin wollte nicht warten, er ist vorgeprescht, weil er dich unbedingt allein in die Finger kriegen und nicht mit andern teilen wollte. Im Grunde kein Problem, soll Stalin dich eliminieren, meinen Auftraggebern wird das auch so recht sein.
Jonas: Deinen Auftraggebern?
Judith 2: Ahnungslos wie er noch immer ist. Richtig süß. Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Jonas, so viel Zeit muß sein. Immerhin hast du mit mir den Schlafsack geteilt, das verdient Belohnung. Also setz dich und hör zu. Es war vor mehr als einem viertel Jahr, im Januar, da trafen sich im Club Caligari zu Babylon fünf Personen, die vieles verband, hohe Position, Macht, Reichtum. Vor allem aber der Hass auf einen Detektiv, der im Lauf der Jahre immer wieder ihre Pläne durchkreuzt hatte.
Plotz: Ich bitte um Ruhe. Die konstituierende Sitzung des Sonderkomitees Aktion Jonas ist eröffnet. Anwesend sind:
Paretzky: Dr. Sandra Paretzky, Bürgermeisterin von Babylon.
Waldorf: Astoria Waldorf, Vorstandsvorsitzende der Firma Multipharm, Leiterin der babylonischen Industrie- und Handelskammer.
Frank: Generalmajor Frank, Oberkommandierender der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte.
Kasbek: Kasbek von der Korporation.
Plotz: Als Vertreter der sogenannten Unterwelt.
Kasbek: Bitte. Der organisierten Extralegalität.
Plotz: Wie Sie wollen. Anna Platz. BIO Global. Wir alle haben schwerwiegende Gründe gegen Jonas, den sogenannten letzten Detektiv vorzugehen.
Er ist ein Störenfried.
Krebsgeschwür.
Eine Pestbeule.
Plotz: Und nicht zu vergessen ein Kostenfaktor. Schon früher haben einzelne von uns versucht, Jonas auszuschalten, ohne Erfolg, jetzt tun wir uns zusammen, das Maß ist voll, erst vor wenigen Tagen hat Jonas eine von langer Hand vorbereitete bevölkerungspolitische Aktion des Club Caligari in PH 1 verhindert, daher ist dieses Komitee zusammengetreten, dessen Vorsitz ich übernommen habe. Denn so großen Schaden Jonas Ihnen allen zugefügt haben mag, ich Anna Plotz, sitze durch seine Schuld gelähmt im Rollstuhl und habe darum das größte Recht auf Rache.
Jonas muß weg!
Plotz: Jawohl, Jonas muß weg, Jonas muß verschwinden, Jonas muß sterben. Um dieses Ziel zu erreichen, bündeln wir unsere Ressourcen, wir sind bereit, finanzielle Opfer zu bringen, in unbegrenzter Höhe. Wir werden alle psychologischen und kreativen Kräfte, die uns zur Verfügung stehen, gegen Jonas einsetzen, sie sollen Szenarien entwerfen, die zum erfolgreichen Abschluß führen.
Abschuß.
Plotz: Sehr witzig. Jonas muß verschwinden, darin sind wir uns einig. Die Frage ist wie.
Judith 2: Es wurde diskutiert und debattiert, delegiert und konsultiert, und bald begannen sich Leitlinien und Konturen abzuzeichnen.
Also keine Falle, kein maskierter Killer im Hinterhalt, keine schnelle Kugel in den Rücken?
Nein nein nein, Jonas ist ein besonderer Gegner, und verdient einen besonderen Abgang, eine große Oper, wenn Sie so wollen, kein mickriges Tralala.
Eine elaborierte Elimination ist doch viel befriedigender, viel interessanter.
Macht mehr Spaß, meinen Sie, General.
Wie dem auch sei, die äh, Elimination sollte keinesfalls in Babylon stattfinden, hier hat Jonas ein Heimspiel, er kennt sich hat, hat überall Freunde.
Wir müssen ihn weglocken, so weit weg wie möglich.
Judith 2: Also ins Niemandsland, wo es am wildesten ist, hier, ein paar Kilometer entfernt, wartet ein Sonderkommando auf dich, Jonas. Killer der Korporation, Spezialisten vom Geheimdienst, ausgesuchte Sicherheit***perten aus Großkonzernen, dazu als Sahnehäubchen gewissermaßen der eigens für dich aus dem hohen Norden angeforderte Generalissimus Stalin mit seiner Roten Armee.
Stalin: Dada. Wir hören, wir kommen, wir fangen Arschloch Jonas, wir machen tot Arschloch Jonas.
Judith 2: Geduld, Generalissimus, bald kriegen sie ihn und können mit ihm machen, was sie wollen, meine Geschichte ist gleich zu Ende. Über das Problem, wie Jonas ins ferne Niemandsland zu locken sei, zerbrachen sich diverse Experten, Kreative, Psychologen, Motivationsforscher, die gutbezahlten Köpfe. Schließlich schlugen sie zwei sich ergänzende Szenarien vor.
Erstens: Jonas wird psychischem Druck ausgesetzt, er wird
Weichgekocht.
In eine praktisch ausweglose Situation gebracht, sein Umfeld bricht zusammen, er verliert die Wohnung, den Sozialstatus, das Stammlokal, den Freund.
Außerdem wird er 50, am 1. Mai, das dürfte ihn zusätzlich deprimieren.
Zweifellos. Zweitens. Frau Delgado, Judith Delgado, hohe Beamtin in der Sicherheitsverwaltung, 2012 verstorben, Jonas große Liebe.
Ja, die Frau seines Lebens.
Auf den Knopf müssen wir drücken.
Wir schaffen eine zweite Judith. Eine Schauspielerin, die der Delgado ähnelt. Den Rest macht Plastiface. Wir geben ihr reale und virtuelle Existenzen.
Um die Dateien kümmere ich mich.
Diese Frau wird bei Jonas auftauchen, ihm was erzählen, er wird verwirrt sein, verliebt, womöglich, auf jeden Fall weniger argwöhnisch.
Judith 2: Wie's weitergeht, weißt du. Es war eine interessante Aufgabe. Und daß sie jetzt zu Ende geht, tut mit fast ein bißchen leid. Generalissimus, Jonas steht zu Ihrer Verfügung.
Stalin: Konetschko. Wirklich. Dawei!
Jonas: Judith stieg in den Truck, und startete. Bevor sie losfuhr, lehnte sie sich aus dem Seitenfenster. In der linken Hand hielt sie was hoch: Sam.
Judith 2: Leb wohl, Jonas, in der kurzen Zeit, die dir noch vergönnt ist. Sag deinem Herrn Tschüß, Sammy. Und auf Nimmerwiedersehen.
Sam: Nein, o h***e Trennung, grausames Geschick. Jonas, was wird aus ihm werden, ohne Sam. Und was wird aus Sammy ohne seinen Jonas. Sind wir getrennt für immer...
Stalin: Dawei Dawei!
Jonas: Die Rotarmisten nahmen ihre Plätze ein, vorn an der Deichsel, an den Querstangen rechts und links. Jonas wurden die Hände gefesselt, dann band man ihm ein Seil um den Bauch, das andere Ende hielt Generalissimus Stalin höchstpersönlich fest.
Stalin: Wir haben gewartet auf dich, zwei Jahr, Arschloch, wir weiter warten, ein Tag, zwei Tag, dieser Platz nix gut. Nur Dawei. Kollegen. Dawei. Dawei! Jucha.
Jonas: Die Riesenräder begannen sich zu drehen, knarrend und quietschend setzte der Bollerwagen sich in Bewegung. Die Nomaden zogen und schoben aus Leibeskräften. Der Pauker paukte. Stalin hatte seinen Thron verlassen und sich hinten auf die Plattform gesetzt, um Jonas zuzusehen. Der bemühte sich Schrittzuhalten. Ab und zu zog Stalin kurz am Seil, dann schlug Jonas hin, und wenn er sich nicht schnell genug aufrappelte, wurde er über Sand und Steine geschleift, zum großen Vergnügen des Generalissimus. So verging der Tag.
Stalin: Halt! Stoi! Hier machen wir Lager. Ruh dich aus, Arschloch, freu dich, morgen machen wir dich tot, langsam, ganzen Tag. Wir haben Zeit, hahahaha.
Jonas: Nette Aussichten. Natürlich kriegte ich nichts zu essen. Den abgearbeiteten Rotarmisten ging's kaum besser. Stalin schlug sich den Bauch voll, und legte sich dann zur Ruhe, im Blockhaus. Auch die Nomaden schliefen. Sogar die Wächter, die auf Jonas aufpassen sollten. Jonas schlief nicht, er machte sich Sorgen, außerdem hatten sie mich auf jede Menge Steine gebettet, scharfe spitze Steine. Die Nacht verging langsam, sehr langsam, plötzlich hörte ich was, an meinem linken Ohr. Ein Flüstern, das mir vorkam wie die Trompeten der Kavallerie oder ein Chor von rettenden Engeln. Dabei war es nur einer.
Sam: Erwache, mein Jonas, denn siehe, hier bin ich.
Jonas: Sam!
Sam: Ja wer denn sonst du Trantüte. Entfleucht bin ich der falschen Schlange der armen Computerklauerin. Wie gut daß ich meine Rollen dabei hatte. Gerollt bin ich durch brennendheißen Wüstensand, trotzend allen Gefahren, allen Strapazen. Bis ich ihn erreicht habe, meinen Herrn und Meister, meinen Jonas, mein ein und alles.
Jonas: Machs halblang Sam.
Sam: Nichts halblang. Jauchzet und frohlocket. Hurra. Hurra. Sam der Computer ist wieder da. Ah. Freust du dich denn gar nicht.
Jonas: Doch Sammy.
Sam: Und nun, teurer Freund, wird alles alles gut.
Jonas: Na hoffentlich. Sehr weit mußte Sam übrigens nicht durch den Wüstensand rollen, Judith traute dem Generalissimus nicht und war ihm gefolgt, nur wenige Kilometer entfernt hatte sie ihr Lager aufgeschlagen, mit dem Sonderkommando des 5er Komitees, das sie unterwegs aufgesammelt hatte.
Sam: Sie wartet ab, die schnöde Verräterin, bis mein Jonas seinen letzten Atemzug getan. Wenn hier was dazwischenkommt, greift sie ein mit ihren Spezialisten, denn vernimm, o Sultan, sie weiß ha***arf was hier abgeht, hat sie doch vor ihrem Aufbruch am gestrigen Tag eine hochsensible Minikamera ausgesetzt, und diese, o du mein ahnungsloser Engel umschwirrt dich bei Tag und in der Nacht.
Jonas: Jetzt auch.
Sam: Na klar jetzt auch.
Jonas: Dann sieht sie, daß wir miteinander reden.
Sam: Sieht und hört. Und nicht nur sie. Auch die rachsüchtigen 5 zu Babylon sind mit der Minicam verbunden, auf daß sie die Unbilden und das Ende ihres Todfeindes so recht von Herzen genießen können.
Jonas: Kannst du die Minicam abschalten Sam.
Sam: A little bit, Sir. Hier und da, ab und zu. Mit Mühe. Denn wisset: Sam hat nicht mehr all zu viel Saft.
Jonas: Das war ein Problem. Wo sollte ich hier im tiefsten Niemandsland einen Akku finden, oder eine Steckdose. Darüber mußte ich nachdenken, später. Jetzt war nur eins wichtig: von hier zu verschwinden. Sam blockierte die Minicam, mit Ächzen und Stöhnen und leisem Protest. Jonas scheuerte derweil Handfesseln und Seil durch, an Sams scharfer Kante, was seinen Protest noch verstärkte, weil es angeblich kitzelte. Und dann ab in die Büsche, die es hier natürlich nicht gab. Der Tag brach an. Jonas trabte durch die Landschaft gefolgt von der Minicam. Ich konnte sie sehen, wie ein Kolibri flatterte sie über mir, immer außer Reichweite, sie stieg und sank und kreiste, auf der Suche nach dem interessantesten Winkel, dem scharfen Bild.
Sam: Hä, geht nicht mehr, Meister, Sam muß die Minicam loslassen, seine Kraft ist verpafft äh verpufft meine ich.
Jonas: Dann können sie uns sehen, orten und verfolgen. Wir müssen weg, Sammy, weiter, wohin?
Sam: Nur einen Ausweg gibt es, hoher Herr, nur eine Richtung steht dir offen, die Wege nach Nord, West und Süd sind versperrt, durch Judith und die Rote Armee.
Jonas: Also nach Osten. Dann mal los.
Sam: Gemach Chef, wenn's doch nur so einfach wäre. Im Osten erhebt sich die Grenzmauer, und dahinter, ah, tief im Herzen des Niemandslandes, dort wo noch niemals nicht kein wißbegieriger Fuß eines Babyloniers trat, hinter jener großen Mauer, auf welcher zu unserem Schutze die wackeren Grenztruppen stehen, auf nimmermüder Wacht, am Tag und in der Nacht, dort liebe Kinder erstreckt sich das erschreckliche tote Land.
Jonas: Das tote Land, ein Gebiet totaler radioaktiver Verseuchung. Seit vor einigen Jahren die östlichen Kernkraftwerke in Kettenreaktionen hochgingen. Während der sog. kleinen Atomkriege zwischen Indien und Pakistan, zwischen Iran und seinen Nachbarn. Gegen das tote Land war das Niemandsland eine städtische Parkanlage, sagte man. Lemuren und Monster sollte es dort geben. Aber niemand wußte genaues, niemand war je dagewesen.
Sam: Hä, so sieht's aus, euer Lordschaft, wollt ihr im Kessel gekocht bzw. im Sand verbuddelt und totgepullert werden, oder euch ins tote Land bewegen. Thats the question. Hörst du der Pauke tiefen Ton, die rote Armee, da ist sie schon. Auch Judith ist nicht mehr weit.
Jonas: Dann schon lieber das tote Land. Judith und Stalin überlebe ich ganz sicher nicht, das tote Land, wer weiß.
Sam: Jaja. Jaja. Mein Jonas ist ein Wandersmann, das steckt im so im Blut, drum wandert er so schnell er kann und schwenket seinen Hut, fallera...
Da rennt er durch den Sand.
Schade, ich hatte mich schon gefreut, mir ausgemalt, was dieser Stalin mit Jonas anstellen würde. Fantasievoller Bursche.
Eine Treibjagd ist doch auch ganz nett, Frau Plotz, und aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. An der Mauer werden sie Jonas stellen, da geht's nicht weiter.
Und dann kommen wir zu unserem Schauspiel. Dauert nicht mehr lange. Cocktails, jemand?
Jonas: Jogging im heißen Niemandsland ist kein Vergnügen, besondern nicht wenn Sam dazu singt. Und eine nervige Minicam dir um den Kopf schwirrt, ganz zu schweigen von blutdürstigen Killern nicht weit hinter dir. Vergnügen oder nicht, Jonas trabte weiter, bis es nicht mehr ging, dafür sorgte die Mauer. Schwarz und dräuend, 30 m hoch und bewacht, nicht von wackeren Grenztruppen. An der Grenze zum toten Land sind Roboguards eingesetzt. Fehlerlos. Unbestechlich, sie schlafen nie und lassen nicht mit sich reden.
Roboguard: Halt, nicht weiter, das war die erste und letzte Warnung, der nächste Schuß trifft.
Jonas: Und da sind sie auch schon, Stalin und Judith. Was nun.
Sam: Spricht Zeus, die Götter sind besoffen.
Jonas: Red keinen Stuß, Sam, denk dir was aus.
Sam: Ist Sam ein Magier, wächst ihm ein Kornfeld auf der flachen Hand?
Karla: Jonas, hierher!
Jonas: Karla, meine Lieblingsterroristin, Chefin der babylonischen Stadtguerilla. In den vergangenen Jahren waren wir uns mehrmals über den Weg gelaufen, zuletzt Sylvester 2016. In der Wildnis. Wir hatten die Angewohnheit, uns zu helfen, was nicht hieß, daß ich ihr trauen konnte. Jetzt war sie hier, im Niemandsland, am Fuß der Mauer, sie steckte den Kopf aus einem Loch im Felsen, und winkte mir zu.
Karla: Komm her, Jonas. Beeil dich.
Jonas: Augenblick Karla. Sam?
Sam: Was steht zu Diensten?
Jonas: Die Minicam, kannst du sie noch mal blockieren?
Sam: Na, mal sehen, Kumpel, Leben ist schwer für 'nen kleinen Computer.
Jonas: Streng dich an, Sammy.
Sam: Was tu ich denn wohl, du Obergurke. Melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, Minicam blockiert. Aber lang schaff ich's nicht.
Jonas: Jonas kroch durch das Loch im Felsen. Zu Karla. Dahinter war ein niedriger Gang, abgestützt durch Metallstreben, ein aufgegebenes Bergwerk, aus der alten Zeit, als hier Menschen lebten und arbeiteten. Karla ging voran und leuchtete, mit einer starken Taschenlampe. Gut für uns, aber auch gut für die Minicam. Sie war uns gefolgt, unter die Erde, wir konnten sie nicht abschütteln, nur blockieren. Was Sam immer schwerer fiel.
Jonas: Geht's noch Sammy.
Sam: Soso lala.
Jonas: Halt durch.
Sam: Ja, Sam tut was er kann. Sam gibt alles.
Karla: Stop. Hier beginnt ein Schacht, da müssen wir runter.
Jonas: Nur zu. Karla hatte alles bei sich, in ihrem Rucksack, Seile, Steigeisen, Wandhaken. Wir kletterten. Tiefer, immer tiefer, die Luft wurde schlecht, Sam stöhnte, dann war der Schacht zu Ende, und es ging waagerecht weiter, die Luft blieb schlecht. Zum Glück gab es hier keine Ratten, wie in der babylonischen Unterwelt. Wieder ein Schacht, diesmal nach oben, wieder klettern, Stunden um Stunden, so kam es mir vor, bis wir über uns Licht sahen. Ich zog mich hoch und war draußen. Die Minicam folgte, in vorsichtigem Abstand.
Sam: Ich kann nicht mehr. Sam muß aufgeben, kein Strom. Hast du mal ein Watt Mister.
Jonas: Woher nehmen Sammy. Karla, wo sind wir? Karla?
Sam: Weg. Verschwunden. Wie die Wurst im Spunde. Spinde. Terroristin. Mal da mal weg, einfach so. Denn unergründlich sind ihre Wege. Amen.
Ah, Bild und Ton sind wieder da.
Ziemlich unscharf. Und wackelig.
Die Radioaktivität. Jonas ist im toten Land.
Sieht so aus. Irgendwie muß er über die Mauer gekommen sein.
Eher unten durch.
Ins tote Land werden sie ihn nicht verfolgen, unsere Leute und Stalin.
Das können wir von ihnen auch nicht verlangen.
Heißt das, Jonas ist uns entwischt?
Kein Stück. Im toten Land wird er krepieren. Langsam und unschön.
Und wir sind dabei. Wunderbar.
Jonas: Jonas stand auf einem schmalen Streifen Land, Felsen besser gesagt. Über ihm eine brennende rote Sonne, rechts die Mauer, die von hier noch bedrohlicher wirkte als vom Niemandsland. Auf der linken Seite ein riesiger See, bis zum Horizont. Gewaltige Öllachen schwammen auf dem trüben Wasser. Sie schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ab und zu blubberten Blasen aus der Tiefe und zerplatzen an der Oberfläche, mit infernalischem Gestank. Nicht sehr einladend. Ich dachte an Fall Euromüll. Die Giftmülldeponie in Afrika. Aber ich dachte nicht lange, dazu war keine Zeit.
Sam: Man schießt, Genosse.
Jonas: Auf uns, Sammy, die Roboguards auf der Mauer.
Sam: Willst du warten, bis sie sich auf dich eingeschossen haben, Stupido.
Jonas: Nicht unbedingt, aber was.
Sam: Schiffahrt tut not, Herr Vizeadmiral. Unser Kuzunft, Zukunft liegt auf dem Wasser. Steche in See.
Jonas: Ungern Sammy.
Sam: Ja, fällt dir was besseres ein?
Jonas: Leider nicht.
Jonas: Am Ufer lagen verrottete Plastikteile, ich griff mir einen leeren Behälter, groß und rund wie ein Baumstamm, noch einigermaßen in Schuß, damit sprang ich in den See, ein leiser müder Platsch, Jonas strampelte mit den Beinen, und kam so schnell weg vom Ufer, auf daß die Roboguards eifrig ballerten. Sollten sie. Ich strampelte weiter und weiter, Stunden vergingen, vielleicht Tage, hinter mir verschwand die Mauer, vor mir erschienen Berge, in weiter Ferne. Plötzlich packte mich was am Bein, eine Hand, eine Flosse, ein Wesen mit Menschenaugen und einem Fischmaul voller scharfer Zähne tauchte aus der Brühe auf, es war nicht allein, das Wasser geriet in Bewegung, mehrere Fischmenschen schnappten nach Jonas, der schlug aus und schlug um sich, es waren zu viele. Sie hätten mich unter die Oberfläche gezerrt, aber es wurde flacher, die Fischmenschen blieben zurück. Ein Stoß, mein Behälter saß fest, in schwarzem Sand. Jonas watete an Land und stolperte weiter.
Können Sie was sehen, General.
Grau in Grau.
Die Signale der Minicam werden immer schwächer.
Von Fischmenschen zerfleischt, das wär's doch gewesen.
Abwarten.
Ah, wir haben wieder Bild.
Aber keinen Ton.
Mein Gott, wo sind wir, wie sieht's denn da aus?
Jonas: Knallbunt giftgrün signalrot gallegelb der Boden bestand aus geschmolzenem Plastik, spitze Zacken scharfe Kanten, das Gehen war mühsam wohin ich ging wußte ich nicht, immer weiter nach Osten, immer tiefer ins tote Land, das mit jedem Schritt toter wurde. Ich blieb stehen. Am Weg ragte eine hohe Eisenstange auf. Verrostet und zerfressen. Darin hing die ausgestopfte Haut eines Menschen mit zwei Köpfen.
Sam: Zweifellos eine Warnung, Meister.
Jonas: Für mich?
Sam: Ja, und wer sonst noch vorbei kommt.
Jonas: Warnung. Wovor?
Sam: Weiß nicht. Spielen nicht mehr mit, die kleinen grauen Zellen. Sammy verblödet. Demenz. Alzheimer.
Jonas: Sam, du redest irre.
Sam: Sag ich ja. To... Total irre. Total Irrsinn. Sammy muß aufgetankt werden, dringend.
Jonas: Es geht nicht, Sammy. Versuch durchzuhalten.
Sam: Gib mir Strom, Meister, nur ein ganz kleines bißchen. Bitte.
Jonas: Noch einer mußte dringend aufgetankt werden. Seit Tagen hatte ich nichts in den Magen gekriegt. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde und immer schwerfälliger voranstolperte, bis ich weit vor mir was sah und sofort wieder zu Kräften kam.
Jonas: Da, Sammy, ein Haus. Da steht Ca-sa-blanca. Das Casablanca. Da gibt's Strom, Sammy und Synthwhisky und was zu essen. Gleich, Sammy, gleich sind wir da. Ohh, oh oh... Das Casablanca ist weg. Einfach weg.
Sam: Ja, schon mal was von Fata Morgana gehört. Glotzkopf. Vater Morgana. Mutter Morgana. Oma Opa Onkel Morgana. Ganze Familie Morgana.
Jonas: Jetzt drehst du endgültig durch, Sammy.
Sam: Na und. Keine Kraft. Kein Saft. Sam wird dahingerafft.
Jonas: Sammy.
Sam: Nein hilft alles nichts, Chef. Sammy muß sterben.
Jonas: Nein, Sammy, nein.
Sam: Ist noch so jung. So jung.
Jonas: Computer können nicht sterben.
Sam: Wetten daß doch. Leb wohl Meister.
Jonas: Sammy.
Sam: War schön mit dir, echt super. Vergiß Sammy nicht. Und und begrab mein Herz an der Biegung des Flusses.
Jonas: Du hast kein Herz, Sammy.
Sam: Wetten daß doch. Sammy hat Gefühle. Sammy ist ein Mensch.
Jonas: Du übertreibst.
Sam: Vielleicht ein bißchen. Klingt aber schön. Irgendwie richtig schön. Und tschüß.
Jonas: Tschüß Sammy. Natürlich war ich traurig, sehr sogar, aber nicht nur. Ganz tief unten regte sich ein völlig anderes Gefühl. Ein Gefühl der Erleichterung, der Befreiung, endlich Ruhe. Ich stolperte weiter, und irgendwann muß ich dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war alles anders. Die Luft, das Land, die Farben. Um mich nicht mehr das bunte Gift des toten Landes. Ich sah Grün. Gesundes, lebendiges Grün, Bäume, viele Bäume. Lianen und Orchideen. Ein richtiger Urwald. Affen turnten durch die Zweige, Vögel sangen, unter meinen Füßen war Erde, braune Erde. Träumte ich?
Jamaro: Hier Jonas, hier ist dein Weg.
Jonas: Jamaro?
Jamaro: Folge mir.
Jonas: Aber du bist doch tot.
Jonas: Jamaro ging voraus, undeutlich, schattenhaft, zwischen den wuchernden Pflanzen kaum zu erkennen. Dann wurde es vor uns heller, immer heller. Jamaro winkte mir zu, und verschwand. Ich trat aus dem Wald ins Licht. Vor mir eine wunderschöne Landschaft, braune Hügel, grüne Wiesen, goldene Felder, vom tiefblauen Himmel schien eine freundliche gelbe Sonne, und in der Ferne sah ich eine Stadt, Häuser, Giebel, Türme, Wetterfahnen. Babylon? Aber diese Stadt war kleiner, ohne Klimadom, und viel schöner. Babylon, wie es vielleicht einmal war, wie es hätte sein können. Ich ging auf die Stadt zu, und aus der Stadt kam mir jemand entgegen. Ich blieb stehen. Ich steckte mitten in einem Wunder, aber ich konnte es nicht glauben. Judith. Judith Delgado. Keine Doppelgängerin mit Plastiface und Mord im Herzen. Judith, meine Judith, sie lief auf mich zu, und auch ich begann zu laufen.
Judith: Jonas.
Jonas: Judith.
Judith: Endlich bist du da, ich warte schon so lange. Komm.
Jonas: Wohin?
Judith: Nach Babylon natürlich. Da wirst du gebraucht. Philip Marlowe wartet auf dich, Sam Spade, Nestor Burma, die freuen sich mit dir zu arbeiten. Und ich freu mich, weil du nun endlich da bist. Komm.
Noch immer kein Bild.
Die Minicam ist endgültig hinüber.
Was ist mit Jonas.
Er ist zusammengebrochen. Das war das letzte, was wir gesehen haben.
Der kommt nicht mehr hoch.
Jonas sind wir los. Oder meine Dame, meine Herren?
Ich schlage vor die Aktion Jonas für erfolgreich beendet zu erklären, was meinen sie.
Etwas unbefriedigend, aber wie die Dinge liegen. Einverstanden.
Von mir aus. Machen wir ein Ende.
Das war Abgesang. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter jonas-nur-jonas-und-sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Karin Anselm, Katja Brügger, Gisela Ferber, Uwe Friedrichsen, Stefan Gnad, Thomas Karallus, Vanida Karun, Andrea Lienau, CHRIzzz Morgenroth, Klaus Nietz, Deef Pirmasens, Christian Stark, Angelika Thomas, Henning Venske, Peter Weis und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (200

. Regie: Werner Klein.
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:36
Comeback
Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Comeback
Sam: Die Mitternacht zog näher schon, in stummer Ruh lag Babylon.
Jonas: In stummer Ruh, nimm dir ein Beispiel dran, Sammy, und was heißt Mitternacht, es ist fünf nach 8, früher morgen.
Sam: Das war nicht die Zeitansage, du Banane, äh Banause, das war Pöesie, Poesie, Dichtkunst, du verstehen.
Jonas: Sam, mein Computer. Ein Sondermodell. Besonders verbal. Extrem verbal. Er kann seine Klappe nicht halten. Auch wenn er keine hat. Er nervt. Andererseits, was wäre mein Leben ohne Sam. Entspannter. Ruhiger. Und viel viel uninteressanter. Wer will das schon?
Sam: Belsatzar von Heinrich Heine. Ein unsterbliches Meisterwerk. Jehova, dir künd ich auf ewig Hohn, ich bin der König von Babylon.
Jonas: Schluß mit dem Knattergemine, geh ans Fon.
Sam: Oh, da bemüht sich ein kleiner Computer um ein winziges Quäntchen Bildung für seinen total unterbelichteten Herrn und Meister, und was ist der Dank, Knattergemine sagt er.
Jonas: Sam, geh ans Fon.
Sam: Ja, man hört und gehorcht, o Beherrscher der Gläubigen.
Jonas: Wer ist dran.
Sam: Stadtverwaltung Babylon, Amt für freie Berufe.
Jonas: So? Stell durch. Akustik, kein Bildfon.
Sam: Jawohl, kein Bildfon.
Computerstimme: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Jonas. Sie werden hiermit nachdrücklich aufgefordert, zwecks Erneuerung Ihrer Lizenz als privater Detektiv, persönlich im Amt für freie Berufe, Babylon Mitte-Ost, Piazza Sewastopol, vorstellig zu werden, und zwar unverzüglich, widrigenfalls Ihnen die Lizenz entzogen wird, was wiederum Ihre soziale Rückstufung ins Prekariat erforderlich macht, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen angenehmen Tag, Herr Jonas.
Jonas: Normalerweise springt Jonas nicht, wenn irgendein Amtsschimmel wiehert. Aber hier ging's um alles. Um den Job, den Sozialstatus, die Existenz. Also sprang ich. Unverzüglich. Die wichtigen Behörden in Babylon liegen um den Ernst-August-Platz. Hier ragt das Rathaus in den Himmel, die Sicherheitsverwaltung, das Wirtschaftsministerium. Das Amt für freie Berufe ist total unwichtig. Noch unwichtiger als die Prekariatsverwaltung, mit der sich das Amt eine frühere Kirche teilt. Die Prekariatsverwaltung macht sich im Kirchenschiff breit. Die freien Berufe haben sie in den Turm gequetscht. Unten die Ärzte, Mensch, Tier und Zahn, darüber die Rechtsanwälte, dann die Künstler, ganz oben sonstige. Fahrstuhl Fehlanzeige.
Jonas: Hi.
Bürokrat: Können Sie lesen. Eintritt nur nach Aufruf, steht an der Tür. Sind Sie aufgerufen?
Jonas: Genaugenommen bin ich angerufen. Von Ihnen. Sie wollen was von mir.
Bürokrat: So. Name?
Jonas: Jonas.
Bürokrat: Vor- oder Nach?
Jonas: Beides.
Bürokrat: Also Jonas Jonas.
Jonas: Nein. Nur Jonas. Sie gestatten, daß ich Platz nehme.
Bürokrat: Wenn Sie einen Stuhl finden. Bürgernummer?
Jonas: Ich setzte mich auf den Schreibtisch. Und verriet ihm meine Bürgernummer. Der Typ war grau. Von den Haaren über Gesicht und Anzug bis zu den Schuhen. Staubgrau. Er hockte in seinem grauen Sessel wie angewachsen. Auch das Büro war grau. Graue Aktenregale, graue Akten. Echtes Papier. Grauer Schreibtisch. Darauf ein grauer Laptop. Asbach Uralt. Zwanzig Jahre mindestens.
Bürokrat: Beruf?
Jonas: Detektiv. Privat.
Bürokrat: Ah richtig. Der letzte. Außer Ihnen steht keiner mehr in meinen Akten. Und was machen Sie so als Detektiv?
Jonas: Ich detektiviere.
Bürokrat: Aha. Nicht sehr erfolgreich, wie es aussieht. Im laufenden Jahr 2016 haben Sie keinen einzigen Euro verdient. Und heute ist schon der 30. Dezember.
Jonas: Es war ein schwieriges Jahr, ereignisreich. Fall Wildwest. Fall Mafia. Beide kompliziert, gefährlich sowieso. Allerdings nicht gerade einträglich. Was kann Jonas dafür, wenn man ihn kidnappt, oder wenn seine Auftraggeberin ihn umbringen will. Aber darüber wollte ich mit dem grauen Sesselfurzer nicht diskutieren. Ich wollte ihn den Kopf voran in seinen grauen Papierkopf stopfen. Das verkniff ich mir. Ich tat nichts, ich sagte nichts.
Bürokrat: Unter diesen Umständen, Herr Jonas, ist es mir nicht möglich, Ihre Lizenz zu erneuern, das heißt, Sie verlieren Ihren Sozialstatus, der war bisher, lassen Sie mal sehen, war unterer Mittelstand, Volksrente plus Eigeneinkommen zwischen 5 und 10000 Euro. Sie steigen ab ins Prekariat, nur Volksrente, und das heißt, Sie werden demnächst Babylon verlassen und in die Prekariats-Heimstatt Nummer Eins umgesiedelt.
Jonas: Kurz PH 1, draußen in der Wildnis. Ein paar hundert Kilometer südlich von Babylon. Volkstümlich Prollhalde, oder Donut. Wegen der Form. Ein riesiger Ring um einen Innenhof, 300 Stockwerke hoch, in jedem Stock 3000 Bewohner. Macht nach Adam Riese 900.000. Das reichte natürlich nicht. PH 2 und 3 waren schon im Bau. In Babylon gab es immer mehr. Prekariatsangehörige. Prolls. Volksrentner. Ohne Arbeit. Ohne Zusatzeinkommen. Die anderen fühlen sich gestört. Der obere Mittelstand. Die Reichen und Superreichen. Babylon ging das Problem offensiv an. Seit einem Jahr wurde die Stadt gesäubert. Unter dem Motto: Macht Babylon sicherer, sauberer, schöner. Prolls mußten raus. In die Wildnis. In die neuen Prollhalden. Da waren sie unter sich und störten nicht mehr. So weit so schlecht. Jonas wollte in Babylon bleiben.
Bürokrat: Das können Sie, Herr Jonas, dazu müssen Sie allerdings noch in diesem Jahr ein gewisses Einkommen erzielen.
Jonas: Ich soll in zwei Tagen ein lukrativen Fall an Land ziehen. Wie stellen Sie sich das vor?
Bürokrat: Das ist doch nicht meine Aufgabe, Herr Jonas. Auf Wiedersehen.
Jonas: Jonas hatte den Kopf voll und ganz andere Sorgen. Trotzdem fiel mir die Frau auf, die am Fuß der Treppe stand. Sie war nicht grau, sie war bunt: rote Haare, rote Schuhe, gelber Businessanzug, grünes Hemd. Sie sah gut aus. Außerdem sah sie mich an und hielt mich am Ärmel fest.
Carmen: Sie haben ein Problem, Herr Jonas.
Jonas: Eins?
Carmen: Ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Prekariatsoberrätin Sakalauskas.
Jonas: So sehen Sie nicht aus.
Carmen: Ich möchte Ihnen ein Vorschlag machen. Kommen Sie mit.
Jonas: Sie führte mich nicht in ihr Büro. Sie führte mich zu einem der alten Beichtstühle an der Wand. Holzimitat, verblaßt und verzogen, innen hing noch immer ein Hauch von Weihrauch und Sündenschweiß. Jonas war nicht nach beichten, obwohl er ausgesprochen sündige Gedanken hatte, als die attraktive Beichtmutter ihm im engen Kabuff sehr nahe kam.
Carmen: Hier sind wir ungestört. Hören Sie zu. Wie ich von meinem Kollegen im Turm erfahre, brauchen Sie einen Fall? Und wir brauchen einen Detektiv.
Jonas: Wir?
Carmen: Die Prekariatsverwaltung. Wir haben ein Problem mit PH 1.
Jonas: Ach was. Sie auch?
Carmen: Der Leiter der Heimstatt, mein Kollege Prekariatsrat Arnold ist anscheinend verschwunden. Vor drei Tagen war die elektronische Verbindung von PH 1 zu uns unterbrochen: Video, Fon, Email, nichts ging mehr. Und als etwa 4 Stunden später die Verbindung stand, sahen wir auf unseren Monitoren nur Flure und leere Wohnkapseln. Kein Zentralbüro. Kein Arnold. Unsere Anrufe nimmt keiner an, unsere Emails werden nicht beantwortet. Wir sind besorgt. Irgendwas geht in PH 1 vor. Und wir wissen nicht was.
Jonas: Warum wenden Sie sich nicht an die Sicherheitsverwaltung?
Carmen: Zwecklos. Außerhalb der Stadtgrenzen hat die babylonische Polizei keinerlei Befugnis. Die Wildnis gehört zum Aufgabenbereich der Grenztruppe, aber die hat in letzter Zeit so viel um die Ohren, nach dem letzten großen Mauerdurchbruch am Weihnachtstag müssen die Grenzer noch immer illegale Drittweltler jagen. Außerdem wären sie für unser Problem wohl kaum geeignet. Das ist eine andere Sache.
Jonas: Wie wär's mit dem Geheimdienst?
Carmen: An den haben wir uns natürlich gewendet, aber da kriegten wir eine glatte Abfuhr. Prolls gehen uns nichts an, wurde uns gesagt. Da müßt ihr euch schon selbst drum kümmern. Und weil wir in der Prekariatsverwaltung keine Exekutivabteilung
Jonas: Schicken Sie Jonas. Den letzten Detektiv. Sie wissen, was ich koste. 200 Euro pro Tag und Spesen.
Carmen: Unmöglich, Herr Jonas, die Prekariatsverwaltung hat kein Geld, und auch kein Konto für Sonderausgaben. Passen Sie auf: Spesen brauchen Sie nicht. Der Transport ist frei. Sie werden in PH 1 untergebracht und verköstigt. Und als Honorar kriegen Sie Bonuspunkte.
Jonas: Was heißt das?
Carmen: Wenn Sie den Auftrag für uns übernehmen und erfolgreich durchführen, werde ich meinem Kollegen im Amt für freie Berufe Anweisung geben, Ihnen eine Lizenz für 2017 auszustellen, im Zuge der Amtshilfe. Einverstanden?
Jonas: Einverstanden, sagte ich. Nicht mit Begeisterung, aber was blieb mir übrig. Besser eine Stippvisite in PH 1 mit Rückkehrgarantie als demnächst für immer dorthin.
Carmen: Herr Jonas ich freue mich.
Jonas: Nur Jonas reicht. Und wie heißen Sie? Oder muß ich weiterhin Frau Prekariatsoberrätin Sakalauskas sagen?
Carmen: Carmen.
Jonas: Das klingt doch viel hübscher als Sakalauskas, und paßt besser zu Ihnen. Also, Carmen. Wie geht's jetzt weiter.
Carmen: In der nächsten Stunde schicke ich Ihrem Computer zu, was Sie brauchen werden. Die Pläne von PH 1, Organisationsstruktur, etc. etc. Und natürlich Ihr offizielles Überstellungsdokument. Das zeigen Sie in unserem Busbahnhof vor. Sie wissen wo.
Jonas: Die frühere REUBA-Truckstation am südlichen Stadtrand. Kenn ich.
Carmen: Gut. Heute Nacht um 11 fährt der Prekariatsbus nach PH 1 ab. Seien Sie pünktlich.
Jonas: Heute noch. So eilig haben Sie's?
Carmen: Je eher Sie fahren, Jonas, desto eher sind Sie zurück. Sie werden mir persönlich Bericht erstatten. Ich freue mich darauf. Viel Glück, Jonas.
Jonas: Als ich nach Hause kam, hockte Sam auf dem Tisch und schmollte. Weil ich ihn nicht mitgenommen hatte, und weil ihm der neue Auftrag überhaupt nicht gefiel.
Sam: Scheiß Spiel euer Ehren, raus in die Wildnis zu den igitt, Prolls. Und was kommt raus? Nichts. Null Komma Garnichts. Kein müder Euro, kein blasser Cent.
Jonas: Bonuspunkte, Sammy. Damit Jonas in Babylon bleiben kann und weiter arbeiten. Hör auf zu nöseln. Hast du das Material von der Prekariatsverwaltung?
Sam: Hab ich.
Jonas: Druck das Überstellungsdokument aus, und dann hilf mir bei den Vorbereitungen. Was zieh ich an?
Sam: Na was schon, gnä Frau? Prolluniform. Jogginganzug, aus billigem Plastik, und ein hoffnungsloser Ausdruck in den Augen.
Jonas: OK, Anzug wird geordert, Ausdruck wird geübt. Was brauch ich noch?
Sam: Sam natürlich. Indem daß mein Jonas ohne den selben nichts weiter ist denn ein tönend Erz bzw. eine klingende Schelle.
Jonas: Wie dem auch sein, wie du bist, als Handgerät kann ich dich jedenfalls nicht mitnehmen.
Sam: Hm?
Jonas: Das würde bei den Prolls auffallen, geklaut würde es auch. Sammy, du wirst verkleinert.
Sam: Oh nein, nicht wieder als Zahn in meines Jonas Mund, o noway.
Jonas: Daccord, daccord, ich habe heute noch Kopfschmerzen, wenn ich dran denke, Fall Strafkolonie vor dreieinhalb Jahren, ich laß dich auf Kugelschreibergröße schrumpfen.
Sam: Ein so gigantisch Hirn in einem winzigen Stift, muß dies denn wirklich sein?
Jonas: Es muß, Sam. Was brauchen wir aus der Hausapotheke?
Sam: Ein Röhrchen Exsalt wäre dringlich zu empfehlen. Als Gegenmittel. Bekanntlich wird in PH 1 Speis und Trank so allerlei zugesetzt. Lithium zur Ruhestellung, Steril zur Erschwerung der Fortpflanzung.
Jonas: Also Exalt. Eine Waffe. Ist mein Laser aufgeladen?
Sam: Ja, warum nicht gleich ne Feldhaubitze, Herr General. Einfuhr von Feuerwaffen in PH 1 strengstens verboten, aber auch aller aller allerstrengstens.
Jonas: Ohne seinen Laser und seine alte Smith & Wesson Detective Special fühlte Jonas sich nackt. Aber ein paar Tage würde es gehen. PH 1 war kein sehr gefährliches Pflaster, nicht wie das Niemandsland oder das Reservat. Dachte ich. Und lag voll daneben. Der überfüllte Prollbus rumpelte durch die nächtliche Wildnis, über eine Piste voller Steine und Schlaglöcher. Der Innenraum war dunkel, die Passagiere hockten stumm auf den harten Bänken, sahen aus dem Fenster, starrten vor sich hin. Die meisten schliefen, auch die Kinder, die zu Beginn der Fahrt noch kreischend herumgerannt waren. Jonas machte die Augen zu. Er wußte, wie es draußen aussah: totes Land in toten Farben, vergiftet und zerstört, für immer. Jonas schlief. Früh am Morgen waren wir da. Der Bus hielt neben einer grauroten leicht abgerundeten Betonwand, die bis in die Wolken ragte. Willkommen in PH 1. Wir trotteten durch das einzige Tor in der Wand, dahinter ein breiter Gang mit vielen offenen Türen. Jonas ließ sich durch eine der Türen treiben, in einen Empfangsraum. Dem Typ hinter dem Schreibtisch zeigte er sein Überstellungsdokument.
Stadtguerillero: Alles klar, Genosse, hier sind deine Gutscheine, die kannst du in den PH-Läden im ersten Untergeschoß einlösen. Oder in den Kneipen, gleich daneben. So, und jetzt kriegst du noch deinen Wohnchip. Single?
Jonas: Soweit ich weiß.
Stadtguerillero: Kleinkapsel 295-719. Der nächste.
Jonas: Wo ist das, wie komm ich dahin?
Stadtguerillero: 295. Stock. Ganz oben.
Jonas: Soll mir recht sein. Wo ist der Fahrstuhl?
Stadtguerillero: Fahrstuhl? Kaputt.
Jonas: Dann hätt ich lieber ne Wohnkapsel weiter unten.
Stadtguerillero: Haha, und ein paar Kulis zum Hochtragen, was? Mein Gott, Genosse, du bist doch noch knackig. Treppensteigen ist gesund, und denk doch mal an die tolle Aussicht. Der nächste.
Jonas: Der Typ vom Empfang sah nicht nach öffentlichem Dienst aus, eher irgendwie militärisch. Outfit in Tarnfarben, Stirnband, Zottelbart a la Fidel, und eine gutgeölte Kalaschnikow in der Armbeuge. Ein Söldner? Ein durchgeknallter Bürokrat. Darüber dachte ich nach, als ich nach oben stieg. Ich hatte viel Zeit, gut 4 Stunden. Ein guttrainierter Treppenläufer wäre schneller gewesen. Jonas war in Form. So einigermaßen, aber kein Treppenläufer. Eine halbe Stunde kam noch drauf, ausruhen und Finden der Wohnkapsel. Mit meinem Chip öffnete ich die Metalltür, und wunderte mich. Die Kapsel war besetzt.
Mann: Hi, Kumpel, da bist du ja endlich. Hast dir mächtig Zeit gelassen. Na, besser spät als nie.
Jonas: Das ist doch Kapsel 295-719.
Mann: Aber haargenau, Kumpel. Und?
Jonas: Das ist meine Kapsel, Kumpel. Raus.
Mann: Deine Kapsel, Kumpel? Hähähä, klar ist das deine Kapsel, aber weißt du was, du brauchst keine Kapsel mehr.
Jonas: Ach ja, verschwinde, Kumpel. Aber ganz schnell.
Mann: Immer mit der Ruhe, Kumpel. Erst muß ich meinen Job erledigen.
Sam: Dann schmeiß ich dich raus.
Mann: Glaubst du, du schaffst das?
Sam: Ja haha.
Jonas: Noch so ein Durchgeknallter. Kein typischer Proll. Er trug einen Overall aus silbergrauer Ballonseide. Auf der Brust ein Logo: zweimal der Buchstabe C in schwarz. Was sollte das heißen?
Mann: Möchtest du wissen, Kumpel, was?
Sam: Alarm. Tatü Tata. Feind greift an.
Jonas: Wo Sammy?
Sam: Na wo, hinter dir, du Traumtänzer. Ein hinterlistiger Hinterlist äh Hinterhalt, dreh dich um.
Jonas: Durch den Flur kam der Zwilling des Typs in der Kapsel. Silberner Overall, CC auf der Brust, in der rechten ein Laserstrahler. Das machte mir Sorgen. Noch mehr Sorgen machte mir der Typ in der Kapsel. Weil er auch einen Laser zog. Jonas mußte was unternehmen, dringend. Ich machte einen großen Schritt in die Kapsel und zog die Tür hinter mir zu. Gleichzeitig ein schulmäßiger Thai-Kick gegen die rechte Hand des Besetzers, sein Laser flog durch die Luft, und verschwand hinter der Pritsche. Sein Besitzer tauchte ab und krabbelte. Ich nahm den Stuhl und zerlegte ihn auf seinem Kopf. Er legte sich zur Ruhe, gut so. Ich griff mir den Laser und verriegelte die Tür. Gerade noch rechtzeitig. Typ Nr. 2 war da und trat gegen die Füllung.
Sam: Hier ist unseres Bleibens nicht länger, o Gefährte meiner Jugend.
Jonas: Du hast ja so Recht, Sammy. Hier drin ist es eng, die Luft ist schlecht und der will mich killen.
Sam: Nicht lange mehr, und es wird ihm einfallen, daß er im Besitz eines Laserstrahlers ist, und dann wird er beginnen die Tür zu demolieren, will sagen, mein Meister hat nur noch ganz einige wenige, einige ganz wenige, egal, Minuten sich vom Acker zu machen.
Jonas: Wohin Sam, und wie? Durch die Wand geht's nicht raus.
Sam: Fenster.
Jonas: Nicht zu öffnen. Und die Scheibe stabil, bruchsicher.
Sam: Mit Hand, Fuß oder Stuhl ist das Glas nicht knackbar, euer Merkwürden, mit einem Laser jedoch, denn siehe, auch wir haben einen solchen.
Jonas: Gute Idee. Ich laserte ein Loch in die Scheibe, gerade groß genug für einen schlanken Jonas. Der kroch durch und wartete draußen, beide Füße auf einem schmalen Sims, linke Hand am Fensterrahmen, rechte mit dem Laser in Augenhöhe. Durch die kaputte Tür stolperte der zweite Typ. Ehe er die Lage peilen konnte, drückte ich ab. Er fiel auf seinen Zwilling und blieb liegen.
Sam: Sagen Sie mal, Herr Oberförster, ist das nicht eine wunderbare Aussicht, atemberaubend geradezu, ah, die Wildnis, eine Symphonie in rot und grau und gelb und schwarz, auch nicht das kleinste bißchen Grün stört den erhabenen Gleichklang. Unser heißgeliebtes Babypsilon als Schmuddelfleck am Nordhorizont. Rechts die Superkräne über den Baustellen von PH 2 und PH 3, ist es nicht bonfotionös, o daß unsereiner malen könnte.
Jonas: Genau was ich jetzt brauche Sam. Ich hänge draußen an PH 1 in einer Höhe von 600 Meter, mindestens, der Wind pfeift, und du sülzt mir die Ohren voll mit der schönen Aussicht, die kannst du dir sonst wo hin stecken.
Sam: Arschgeige, Banause, Dumpfbacke, Unästhet.
Jonas: Ich will hier weg, ich will rein, ich bin keine Fliege.
Sam: Bleib auf dem Sims, Chef, jetzt langsam nach rechts, ganz langsam, ganz ruhig, nicht nach unten sehen, o Gott mir wird schlecht.
Jonas: Jonas krabbelte seitwärts, immer an der Wand lang, extrem vorsichtig, die Füße rutschten zentimeterweise über den Sims, die Hände krallten sich in die Wand. Hinter den Fenstern, die ich p***erte massenhaft Prolls, stumpfsinnige Glotzer, neugierige Nasenquetscher, wie im Aquarium, dann war ich da, wo ich hinwollte, am Regenrohr.
Sam: Up, up and away, oder wie die alten Römer sagten, excelsior, steig, mein Jonas, steig, steig hoch, 296. Stock, 297. 298. 299. 300.
Jonas: Und da verließen sie uns. Oder wie die alten Römer sagen: Nonplusultra. Das heißt Sense, Ende der Fahnenstange.
Jonas: Ich wollte aufs Flachdach, aber das ging nicht, es sprang zu weit vor, ein professioneller Akrobat hätte es geschafft, vielleicht. Jonas war bestenfalls Amateur. Was jetzt. Ausruhen wäre schön gewesen. Ging aber auch nicht. Der Typ im silbernen Overall war zu sich gekommen und steckte seinen unschönen Kopf aus meinem Fenster, fünf Stockwerke tiefer. Ich hielt mich mit den Pobacken fest und mit einer Hand, mit der anderen zog ich meinen Laser aus dem Gürtel, und schoß. Ich traf nicht, aber der Typ verschwand, soweit OK, richtig weiter half mir das aber auch nicht. Plötzlich baumelte was vor meinem Gesicht. Ein Seil, von oben, vom Dach.
Mira: Halt dich fest, wir ziehen dir rauf.
Sam: Halleluja. Wenn die Not am Größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. Nicht wahr Monsignore. Schnapp dir das Seil, oder willst du hier überwintern?
Jonas: Lieber nicht. Ich griff zu, erst mit der einen, dann mit der zweiten und wurde aufs Dach gezogen, über den Vorsprung, das war schwierig, weh tat es auch, wegen der Abschürfungen, aber schließlich stand Jonas oben, und sah, wer ihn gerettet hatte: ein blonder Hüne, er hatte sich das Seil um die rechte Schulter gewickelt, den linken Arm hielt er unter einem bunten Tragetuch, das er sich um den Hals geknotet hatte, und in dem Tuch, ein Kind, ein Mädchen, nein eine junge Frau, schwarzhaarig, sie trug eine Brille und ein rotes Tanktop. Mehr brauchte sie nicht, sie hatte weder Arme noch Beine. Ein Torso.
Mira: Willkommen auf dem Dach, Fremder.
Jonas: Danke.
Mira: Gut, daß wir dich gesehen haben. Ist es hier oben nicht schön, so ruhig. Die anderen kommen nicht rauf, weil sie Angst vor Hautkrebs haben. Wir haben vor nichts Angst, weil wir schon alles mitgemacht haben. Ich bin Mira, Miss Landmine Kosovo 2015, mein Freund und Helfer heißt Rußlan, Mister HIV russische Föderation 2014. Aber inzwischen geht's ihm viel besser, nicht Rußlan?
Jonas: Ein seltsames Paar, aber nicht unsympathisch. Schon weil sie Jonas hochgezogen hatten. Sie redete, er schwieg, und überließ ihr alles, offenbar auch das Denken. Wie war Jonas an die Außenwand unterm Dach geraten? Wollte Mira wissen. Zwei Killer sind hinter mir her, sagte ich, in silbernen Overalls mit einem schwarzen Doppel-C auf der Brust.
Mira: Killer? Bei uns in PH 1. Unerhört, dagegen muß was unternommen werden. Rußlan, wir fahren gleich runter ins Zentralbüro und melden die Sache. Du kommst mit, Fremder.
Jonas: Jonas, so heiße ich. Nur Jonas. Sag mal, Mira, ist das Zentralbüro nicht ganz unten, im Erdgeschoß?
Mira: Genau. Zum Fahrstuhl, Rußlan.
Jonas: Der ist doch kaputt.
Mira: Ach was, das erzählen sie den Neuankömmlingen. Die Fahrstühle sind nicht für jeden, nur für besondere Bewohner. Wir haben ein Chip, Rußlan und ich.
Jonas: Da kommt einer der Killer!
Jonas: Er war aus einer Tür aufgetaucht, etwa 100 m entfernt, ein alter Bekannter, silbergrau und schwarz, ich hob den Laser, aber ehe ich abdrücken konnte, schlug Rußlan mir den Arm hoch.
Mira: Nicht gleich schießen, Jonas, wir machen das hier anders. Bring mich zu ihm rüber, Rußlan. Jonas, du wartest hier.
Jona: Jonas sah aus der Ferne zu, wie Mira mit dem Silberoverall redete. Der hörte zu, zuckte die Achseln, drehte sich um und verschwand durch die Tür. Sehr merkwürdig. Ansonsten lief es gut, für Jonas und seinen Auftrag. Wir waren im Fahrstuhl unterwegs zum Zentralbüro. Wo der PH-Chef residierte. Prekariatsrat Arnold. Oder doch nicht?
Mira: Arnold gibt's nicht mehr, Jonas, wir haben ihn vor vier Tagen abgeschafft.
Jonas: Abgeschafft. Was heißt das?
Mira: Revolution, heißt das, Genosse Jonas, Aufstand der Unterdrückten und Entrechteten. Es lebe die Revolution. Es lebe die Stadtguerilla.
Jonas: Sieh an, die Stadtguerilla steckt also dahinter.
Mira: Jawohl, wir haben die Führung der ausgebeuteten Massen übernommen. Unsere Erfahrung eingebracht, unseren revolutionären Elan. Weißt du, Jonas, du hast ja keine Ahnung, wie es in PH 1 zuging. Arnold hat regiert wie ein König. Wie ein Diktator. Mit seinen Guerillas hat er alle terrorisiert, von jedem Gutschein nahm er Prozente, jedes Privileg, Urlaubsscheine für Babylon, Fahrstuhlbenutzung ließ er sich bezahlen. Keine hübsche Frau war vor ihm sicher. Wer nicht tat, was Arnold wollte, dem ging's schlecht.
Jonas: Und Arnolds vorgesetzte Dienststelle? Die Prekariatsverwaltung in Babylon.
Mira: Hatte keine Ahnung, oder interessierte sich nicht für das, was in PH 1 los war. Wie auch immer, jetzt hat die Stadtguerilla die Macht übernommen. Seit Monaten haben wir unsere Leute eingeschleust. Wir haben Schlüsselpositionen besetzt.
Jonas: Der Typ am Empfang, mit der Kalaschnikow.
Mira: Einer von uns. Eine neue Zeit bricht an für PH 1, Genosse Jonas, eine bessere Zeit.
Jonas: Schön wär's. Was ist mit Arnold p***ert?
Mira: Revolutionäre Gerechtigkeit. Es war nicht leicht, ihn in unsere Gewalt zu bekommen, er war umgeben von Leibwächtern, und in der Monitorwand im Zentralbüro konnte er praktisch in jeden Winkel von PH 1 kucken. Aber er machte den Fehler, sich eine von uns ins Bett zu holen, und da kriegte er eine andere Art Nahkampf, als er sich vorgestellt hatte, wir haben ihn und seine Leute vor ein revolutionäres Tribunal gestellt und abgeurteilt. Sie wurden aufs Dach gebracht, und mußten durch ein Spalier wütender Prolls Spießrutenlaufen. Alle wollten mal zuschlagen oder zustechen. Hast du oben nicht die Blutlachen gesehen? Ja und dann haben wir sie vom Dach geworfen. 300 Etagen. Bis er unten ankommt, hat der Mensch viel Zeit in sich zu gehen.
Jonas: Das Zentralbüro von PH 1 war so groß wie ein Fußballfeld. Hallenfußball. Kein Fenster, eine Längswand bestand nur aus Monitoren, davor ein Stadtguerillero am Schaltpult, schräg im Raum ein riesiger Schreibtisch. Sah aus wie Echtholz, und im Sessel dahinter eine Frau, die ich kannte.
Jonas: Karla?
Karla: Jonas, so sieht man sich wieder.
Jonas: Du bist also immer noch Chefin der Stadtguerilla.
Karla: Generalsekretärin des Politbüros, ja.
Jonas: Ich dachte, du hättest dich in Südamerika zur Ruhe gesetzt, mit der Tasche voller Diamanten, die du mir auf dem Traumschiff geklaut hast in der Karibik, vor über einen Jahr.
Karla: Ja, die Diamanten, 100 Millionen Euro, alle ausgegeben für die Weltrevolution.
Jonas: Hast du noch immer nicht genug vom Revolutionsgeschäft, Karla?
Karla: Das ist kein Geschäft, Jonas, das ist eine Aufgabe, eine Lebensaufgabe.
Jonas: Wenn du meinst.
Karla: PH 1 ist nur eine Zwischenstation. Morgen ist Babylon dran.
Jonas: Und dann die ganze Welt.
Karla: Du warst schon immer ein Skeptiker, Jonas, einer der am Rand steht und Witze macht. Wir haben was vor, sehr bald, ein ganz großes Ding, und dann wird man sehen, die Stadtguerilla lebt noch und wie.
Mira: Es lebe die Revolution.
Sam: So eine Scheiße.
Karla: Mira, ist meine beste Helferin, ein tolles Organisationstalent und clever. Kommen wir zu dir, Jonas, was suchst du in PH 1, ha, wer schickt dich?
Jonas: Niemand, sagte Jonas, ich wohne hier, Babylon hat mich rausgeschmissen, als Proll, reiner Volksrentner, ohne zusätzliches Einkommen.
Karla: Hahaha, armes Schwein. Bringt dein Detektivgeschäft nichts mehr ein?
Jonas: Nicht genug.
Karla: Du bist zu anständig, Jonas, das war schon immer dein Fehler. Hmh, was sollen wir jetzt mit dir machen. Mira und Rußlan, durchsucht ihn.
Mira: Ein Laser, Gutscheine, Chip für Wohnkapsel, billiger Kugelschreiber, Kleinpackung Exsalt, ein paar Centmünzen.
Karla: Kein Kleincomputer?
Mira: Nein.
Karla: Was hast du mit Sam gemacht, Jonas?
Jonas: Verschrottet. Er wurde immer unzuverlässiger, machte nur noch Fehler.
Karla: Er ruhe in Frieden. Irgendwie mochte ich die kleine Nervensäge.
Sam: Siehste.
Mira: Wir sollten Jonas liquidieren, Karla.
Jonas: Charmant.
Karla: Ich weiß nicht.
Mira: Eine Vorsichtsmaßnahme, damit er unser Projekt nicht stört.
Karla: Nein, wir werden dich einsperren Jonas, nur ein paar Stunden, bis unser Ding gelaufen ist.
Jonas: Die Gefängniszellen lagen ganz unten, im 3. Untergeschoß, neben den Versorgungsanlagen, den Generatoren, der Abwasseraufbereitung, der Ventilation usw. Das Loch, in das sie Jonas steckten, war winzig, meine Wohnkapsel war dagegen eine Villa. Ein Eimer, eine harte Pritsche für einen Zwerg. Das war's. Ich hatte nicht vor zu bleiben, nicht mal ein paar Stunden. Es wurde Zeit, den Kugelschreiber ins Spiel zu bringen. Der war sauer.
Sam: Unzuverlässig hat er gesagt, mein einer und einziger Jonas. O welche Schmach.
Jonas: Mein Gott Sam, ich hab gelogen, damit Karla nicht nach dir suchen läßt. Los, an die Arbeit, was läuft hier?
Sam: Unzureichende Daten Hochwürden.
Jonas: Was für ein Ding haben Karla und die Stadtguerilla vor?
Sam: Unzureichende Daten.
Jonas: Dann müssen wir sie uns besorgen, die Daten, das heißt wir brechen aus. Frage wie. Fenster gibt's nicht, Tür geht nicht, kein Laser mehr. Aha. Oben an der Decke, ein Gitter. Was ist das Sam? Du hast doch den Bauplan von PH 1 intus? Was ist das für ein Gitter?
Sam: Belüftungssystem, euer Heiligkeit.
Jonas: Na bitte. Jonas stieg auf den umgedrehten Eimer, drehte zwei Schrauben raus, mit einer 10-Centmünze, nahm das Gitter ab. Schlangenmensch Jonas paßte gerade so durch. Dann schlängelte ich mich durch einen Querstollen, bis zu einem vertikalen Schacht, den turnte ich hoch, ins 2. Untergeschoß, wo ich Stimmen hörte. Jonas ist Detektiv, das heißt neugierig, von Berufs wegen. Ich robbte in die Richtung und landete über einem großen Schlafsaal. Viele Feldbetten, belegt mit dunkelhäutigen Frauen und Männern, alle apathisch, offenbar chemisch ruhig gestellt. Sie starrten stumpf vor sich hin, wie Zombies. An der Tür stand Karla. Sie sprach mit einem Mann, hochgewachsen, bärtig, dunkelhäutig, aber nicht apathisch.
Karla: Sag ihnen, sie sollen sich bereit machen, in einer Stunden werden sie abgeholt und zum Bus gebracht. Hier sind die Urlaubsscheine. Damit kommen sie ganz offiziell nach Babylon. Am Busbahnhof wird die Stadtguerilla sie übernehmen und auf die festgelegten Ziele verteilen. Alles klar?
Jonas: Karla ging. Zwei Stadtguerillas warteten vor der Tür und begleiteten sie durch den Flur. Jonas folgte, oben, im Belüftungsstollen, ein paar Meter zurück, und daher sah er sie vor Karla und ihren Leuten, zwei Typen in silbergrauen Overalls, Doppel-C auf der Brust, Sie tauchten plötzlich aus einem Seitengang auf und erschossen Karlas Leibwächter. Dann nahmen sie Karla ins Visier. Das konnte Jonas nicht zulassen. Durch das Gitter unter sich brüllte er:
Jonas: Hände hoch!
Jonas: Die Typen zuckten zusammen, drehten sich um, eine Sekunde, genug für Karla. Ihr Laser zischte zweimal, die Typen fielen um und blieben liegen. Jonas hatte indessen seine 10 Cent aktiviert und das Gitter abgeschraubt, dann ließ er sich in den Flur fallen.
Karla: Jonas, wie kommst du hierher?
Jonas: Ach weißt du Karla, in kleinen Löchern krieg ich Platzangst. Danke.
Karla: Danke?
Jonas: Danke Jonas, du hast mir das Leben gerettet. Hättest du sagen sollen. Was sind das für Kerle, die Silbergrauen?
Karla: Keine Ahnung.
Jonas: Jedenfalls wollten sie dich umbringen Karla, und mich vorhin auch schon mal.
Karla: So, ich hab jetzt keine Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Jonas: Klar, dein großes Projekt. Du willst Selbstmordattentäter nach Babylon einschleusen.
Karla: Woher... Ach natürlich, du hast sie gesehen. Im Schlafsaal. Jawohl Jonas, wir bringen sie nach Babylon, ins Zentrum der Unterdrückung und der Ausbeutung. Wir von der Stadtguerilla haben viele Jahre dagegen gekämpft, ohne Erfolg, aber jetzt haben wir uns mit der orientalischen Befreiungsfront zusammengetan, gemeinsam werden wir Babylon einen nachhaltigen Schlag versetzen. Nach dem letzten Mauerdurchbruch sind sie aus der Drittwelt zu uns gekommen, 100 wandelnde Bomben, 100 Fanatiker voll bis zur Halskrause, Semtex. Überall, wo es möglich ist, im Magen und Darm, unter der Haut, den Muskeln, in Fettgewebe ist Sprengstoff eingelagert, heute abend werden wir sie in Babylon verteilen.
Jonas: Die Stadtguerilla hatte eine lange Liste. Das Rathaus sollte hochgehen, die Sicherheitsverwaltung, Superkran Atlas, das Chips-Hochhaus und das Moxcenter, der Turm zu Babel natürlich, und sogar das Kulturministerium am van-Dusen-Platz.
Karla: Unter anderem. Heute um Mitternacht, pünktlich zum Jahreswechsel drückt jemand von uns in unserem geheimen babylonischen Hauptquartier auf den roten Knopf. Guten Rutsch, Babylon. Prosit Neujahr 2017.
Jonas: Jonas fand das alles gar nicht gut. Das wußte Karla. Sie hielt mir ihren Laser vor die Nase und nahm mich mit ins Zentralbüro. Wo Mira und Rußlan warteten.
Karla: Mira, wir haben ein Problem. Jonas weiß Bescheid. Auch wenn er hier und da mit uns sympathisiert, im Grunde ist er ein inkonsequenter Kleinbürger und wird versuchen uns zu hindern, aus der Zelle bist du ausgebrochen, daher wirst du jetzt unter strenge persönliche Bewachung gestellt. Mira und Rußlan, ihr bringt ihn nach nebenan und paßt auf ihn auf. Um Mitternacht laßt ihr ihn frei.
Jonas: Nebenan, das war ein kleiner Raum mit einem Sofa, einem Tisch und diversen Sesseln, eine Art Konferenzzimmer, Rußlan fesselte Jonas, sehr professionell, Arme nach hinten, Ober- und Unterschenkel zusammen, schlecht für die Durchblutung, aber handlich. Rußland legte mich auf dem Sofa ab, setzte sich mit Mira in einen Sessel, zog seinen Laser und paßte auf. Die Zeit verging, Rußlan und Mira wirkten müde, manchmal machten sie sogar die Augen zu, warum auch nicht, Jonas konnte nicht weglaufen. Jonas konnte überhaupt nichts tun. Aber da war ja noch Sam, der Kugelschreiber in meiner Brusttasche, der tat was. Er ging auf Wanderschaft.
Sam: Hey.
Jonas: Sammy. Was ist?
Sam: Komm näher, laß den Kopf hängen, was glaubst du was Sam entdeckt hat.
Jonas: Entdeckt. Wo?
Sam: In Miras Computer. Rußlan trägt ihn in seiner Hosentasche spazieren.
Jonas: Und?
Sam: Minderwertiges Modell, praktisch Analphabet der Kollege, falls man ihn so nennen kann. Der letzte Husten, der, nicht du, dennoch und trotzalledem ist Sammy mal reingewandert, was tut ein kleiner wackerer Computer nicht alles für seinen inniggeliebten Herrn, und was hab ich gefunden an jenem finsteren Ort?
Jonas: Sag's schon, Sammy, komm zu Potte.
Sam: Erstens eine umfangreiche Geheimdatei betitelt CC.
Jonas: Ach was. Kannst du sie knacken?
Sam: Sam knackt alles, das weißt du doch. Dürfte jedoch etliche Stündchen dauern.
Jonas: Zu viel. Und zweitens?
Sam: Zweitens. Ein höchst präziser Plan von PH 1, ganz wie der in Sam abgespeicherte, mit einem entscheidenden Unterschied. Genau mit 100 entscheidenden Unterschieden. Denn dies, o Scheich ist die Anzahl der roten Kreuze, welche überall im Plan angebracht sind. Ein Demolution***perte, und ist Sam nicht ein Experte, erkennt sofort, Sprengladungen, angebracht an den kreuzweise markierten Punkten, würden ganz PH 1 zum Einsturz bringen.
Jonas: Was sollte das nun wieder bedeuten. Jonas hatte so eine Ahnung. 100 Kreuze, 100 Attentäter. Ich gab Sam einen Auftrag, er sollte den Hauscomputer kontakten und die Intercomleitung zwischen Zentralbüro und Konferenzraum aktivieren. So konnte Karla hören, was hier gesprochen wurde. Hoffentlich war sie an ihrem Schreibtisch, das wäre gut für sie, für Jonas, und für 900.000 Prolls in PH 1. Alles weitere hing von Jonas ab. Er mußte Mira die Würmer aus der Nase ziehen. Das ging besser als erwartet. Jonas fiel vom Sofa. Mira wachte auf.
Mira: Oh, runtergefallen. Selber schuld. Jetzt kannst du da liegen bleiben.
Jonas: Mir ist langweilig.
Mira: Na und. Und auch.
Jonas: Spielen wir ein Spiel, Spielen wir fragen und antworten, ich fang an. Meine erste Frage lautet: Wer oder was ist CC? Keine Antwort, auch gut. Nächste Frage, warum wollt ihr beiden Karlas wandelnde Bomben dazu benutzen, PH 1 in die Luft zu sprengen.
Mira: Ich weiß nicht, wie du das rausgekriegt hast, Jonas, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Du bist eine Leiche auf Urlaub. Sobald Karla ausgeschaltet ist, bist du dran. Warum sollte ich dir also nicht deine Fragen beantworten. CC steht für Club Caligari, so benannt zu Ehren der seligen Frau Prof. Caligari, du kanntest sie, Jonas, du hast ihre Pläne vereitelt und sie schließlich umgebracht.
Jonas: Das war schon mehr als 6 Jahre zurück. Fall Testmarkt, Fall Schlachthaus, Fall Kidnapper. Caligari hatte sich auf ein Thema konzentriert, die Reduzierung der Überbevölkerung durch Reduzierung der Bevölkerung.
Mira: Mit zugegeben noch recht kruden Methoden. Wir vom Club Caligari haben sie erheblich verfeinert.
Jonas: Wer ist Mitglied in diesem Club? Du nehm ich an. Rußlan.
Mira: Wir sind stolz darauf, obwohl wir nur Rädchen im Getriebe sind. Club Caligari ist eine extrem geheime Organisation, der die Spitzen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Babylon angehören. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, das Prekariat zu beseitigen, eine viel zu große Schicht nutzloser Fresser, die nur öffentliche Gelder verschlingen und nichts zum Sozialprodukt beitragen. Der CC erfuhr von Karlas Projekt Prosit Neujahr Babylon, der Geheimdienst, der die Stadtguerilla seit langem beobachtet, hat uns informiert. Tja, hier bot sich uns eine geradezu geniale Gelegenheit, Prolls in großer Menge zu eliminieren, und die Urheberschaft der Stadtguerilla und orientalischen Fanatikern in die Schuhe zu schieben.
Jonas: Genial.
Mira: Nicht wahr. Meine Wenigkeit hat den Plan ausgearbeitet. Ich habe Karla vorgeschlagen, die lebenden Bomben in PH 1 zu lagern, demnächst, das glaubt die gute Karla, wird ein Bus sie nach Babylon bringen, doch in Wahrheit wird dies geschehen: Unsere Leute, die wir hier versammelt und in Untergeschoß versteckt haben, in Lagerräumen, die nicht videoüberwacht sind, werden Karla und die Stadtguerillas töten und dann die Selbstmordattentäter im Gebäude verteilen, und wenn um Mitternacht ein ahnungsloser Typ in Babylon auf den Knopf drückt.
Jonas: Bumm. Aber nicht für Babylon, für PH 1. Genial.
Mira: Ach, du wiederholst dich, Jonas.
Jonas: Die Typen in Silbergrau, eure Leute?
Mira: Exakt. Wir haben, wir haben vom Geheimdienst erfahren, daß, daß die Prekariatsverwaltung dich angeheuert hat, Jonas, und und da haben wir gleich zwei Killer auf dich angesetzt.
Jonas: Dann verstehe ich nicht, wieso du mich gerettet hast, Mira. Vorhin auf dem Dach. Auf dem Dach.
Mira: Eine Laune. Wollte sehen, was du für einer bist. Wußte ja nicht, wußte ja, wußte ja, wir würden dich kriegen, jederzeit, wann immer wir es wollen. Was... was.
Jonas: Keine Ahnung. Mira konnte nicht mehr reden, Jonas auch nicht. Und obwohl ich mich bemühte, die Augen offen zu halten, sah ich nichts, nur Schatten, die immer dunkler wurden, immer größer, ich verlor das Bewußtsein. Ich wachte auf, mit einem Brummschädel, aber ich konnte mich bewegen, die Fesseln lagen zerschnitten auf dem Boden, Mira und Rußlan waren nicht mehr da, ich hinkte rüber ins Zentrallabor, Karla und ihre Leute, alle weg. Ich sah auf die Monitorwand, die orientalischen Attentäter waren auch verschwunden, die silbergrauen CC-Typen waren noch da, allerdings mausetot. Das sah ich nicht auf einem Monitor, das sagte mir Sam, der war auch noch da.
Sam: Ein Tusch, Herr Kapellmeister. Trara. Ein bißchen Gas bringt Sam nicht um.
Jonas: Gas?
Sam: Ja, Giftgas, durch Karla in die Lagerräume geleitet, nachdem sie euer Gnaden Gespräch mit Miss Mira vernommen hatte. Menschen sind ja so schwach, so unzulänglich, eine Prise Giftgas, und siehe, sie waren einmal. Computer dagegen sind stark, ohne Fehl und Tüdel, äh Tadel.
Jonas: Hör auf dich in die Hühnerbrust zu werfen. Erklär mir lieber warum ich noch lebe. Karla hat doch sicher auch ins Konferenzzimmer Gas eingeleitet.
Sam: Hat sie, Herr Kammerjäger, jedoch kein tödliches Gift, vielmehr ein sanftes Betäubungsgäslein. Alldiweil besagte Dame in ihrem schwarzen terroristischen Herzen ein winziges warmes Plätzchen hat für einen gewissen Detektiv, ne pas?
Jonas: Mag sein, Karla ist also weg, mit ihren lebenden Bomben, im Bus nach Babylon. Wie spät Sam?
Sam: Mit dem Gongschlag ist es, oink, 19 Uhr 23 Minuten.
Jonas: Wir müssen hinterher Sammy, sie aufhalten. Wie? Gibt's noch einen Bus?
Sam: Mit Neffen, äh Nichten. Wir fliegen, Kommandante, gegen England, sieh auf den Monitor.
Jonas: Im kreisförmigen Innenhof landete ein Helikopter, silbergrau, schwarzes Doppel-C am Rumpf. Kein Zwei-Personen-Winzling: Ein großes Gangship, bestückt mit Raketen und zwei schweren MGs.
Sam: Schneller geht's nicht, Genosse.
Jonas: Ich vermute, der Helikopter soll die Typen vom Club Caligari abholen, bevor hier alles in die Luft geht. Zwei Piloten, die müssen wir ausschalten.
Sam: Null Problemo. Wir gehen nach unten, da liegen genug CC-Uniformen herum, wir suchen uns einen Typ, der eine ähnlich maskuline Statur aufzuweisen hat, wie Jonas, ziehen ihn aus, nehmen seinen Laser, und dann heia Safari.
Jonas: 20 Minuten später startete der Helikopter, mit neuen Piloten, und flog in die Wildnis, immer der Piste nach, Richtung Babylon. Es war schon ziemlich dunkel, als ich ihn sah, den Bus, ein Stück voraus, ich überholte ihn, knipste den Scheinwerfer an und knallte ihm eine Rakete vor die Motorhaube. Der Bus hielt. Jonas nahm über sein Bordradio Verbindung mit Karla auf.
Karla: Jonas, wie kommst du in diesen Helikopter?
Jonas: Erzähl ich dir vielleicht ein andermal. Jetzt haben wir keine Zeit.
Karla: Was willst du?
Jonas: Dein Projekt ist gestorben, Karla, du wirst den Bus wenden und mit den lebenden Bomben in die Wildnis fahren, immer weiter, bis ich halt sage, verstanden.
Karla: Und wenn ich mich weigere, wenn ich weiter Richtung Babylon fahre.
Jonas: Dann setze ich die nächste Rakete direkt in den Bus. Und alle gehen hoch, auch du und deine Stadtguerillas. Das muß nicht sein.
Karla: Gut, wir wenden.
Jonas: Und dann fährst du nach Südosten, dem Helikopter nach, weit weg von Babylon und von PH 1.
Karla: Verstanden.
Jonas: Noch was, Karla, falls du vorhast, euren Knopfdrücker in Babylon zu erreichen, laß es, Sam war in deinem Computer und hat die Verbindung gekappt.
Jonas: Eine halbe Stunde vor Mitternacht ließ ich den Bus halten, in einem Felsental, wo er keinen großen Schaden anrichten konnte. Karla und ihre Leute durften aussteigen, die Selbstmordattentäter blieben im Bus. Der Helikopter schwebte über der Szene. 10 Meter oder so, Jonas behielt alles im Auge.
Jonas: Was ist mit Mira und Rußla?
Karla: Die Verräter? Die sind noch im Bus.
Jonas: Steigen sie nicht aus?
Karla: Können nicht, wir haben Rußla die Beine gebrochen.
Jonas: Auch gut. Und jetzt lauft. Ihr habt einen mühsamen Weg vor euch. Durch die Wildnis.
Karla: Könntest du mich nicht im Helikopter mitnehmen, Jonas?
Jonas: Könnte ich. Aber ich will nicht. Als ich das letzte Mal mit dir im Helikopter flog, mußte ich abspringen in die karibische See. Lauf du nur, eine lange Wanderung fördert die Gehirntätigkeit, und das hast du nötig.
Karla: Danke.
Jonas: Keine Ursache, beeilt euch. Es ist jetzt, Sam?
Sam: 23 Uhr und 49 Minuten.
Jonas: Du weißt ja, was demnächst hier p***ert, Karla.
Sam: Hehe.
Jonas: Karla und Gefolge verschwanden zwischen den Felsen, so schnell sie konnten. Jonas stieg auf 300 m und ließ den Helikopter über dem Bus kreisen, bis 3 Minuten vor 12. Dann flog ich ab, Richtung Babylon, mit Vollgas.
Sam: 7,6,5,4,3,2,1, zoro. Happy new year Boss...
Jonas: Turmhohe Flammen hinter uns, der Sternenhimmel wurde ausgelöscht durch eine gigantische schwarze Wolke. Ich fühle mich nicht gut, 100 lebende Bomben waren in Feuer und Rauch aufgegangen, Mira und Rußla auch, aber was hätte ich anderes tun können. Außerdem hatten sie es so gewollt, und verdient sowieso. Ich war müde und kaputt. Jonas ist nicht mehr 20, auch nicht mehr 30 oder 40, in den letzten 24 Stunden hatte ich kaum geschlafen, nichts gegessen, statt dessen ein intensives Sportprogramm, Treppensteigen, kriechen durch enge Höhlen, klettern, von Fesseln und Laserstrahlern gar nicht zu reden. Ich hatte genug. Am Nachmittag war Jonas wieder zuhause. Falls man ein schäbiges Büroapartment von 22 qm Zuhause nennen kann. Und auch Sammy bezog wieder sein gewohntes Gehäuse.
Sam: Ach, das tut gut, jetzt kann ein kleiner Computer sich doch mal wieder so richtig recken und strecken. Ah, welche Wohltat.
Jonas: Raum ist in der kleinen Hütte, Sam. Ruf die Prekariatsverwaltung an.
Sam: Soll ich? Heute? Am Neujahrstag. Spinnst du total.
Jonas: Also am nächsten Tag. Jonas erstattete seiner Auftraggeberin Bericht. Persönlich. Wie besprochen. Diesmal nicht im engen Beichtstuhl, in ihrem Büro. Und sie war auch nicht mehr Carmen, sie war Prekariatsoberrätin Sakalauskas. Was ich ihr mitteilte, schien sie wenig zu beeindrucken.
Carmen: Revolution, Stadtguerilla, Club Caligari, eine erstaunliche Geschichte. Kaum zu glauben.
Jonas: Ich habe Ihren Auftrag ausgeführt und dabei Babylon vor einem m***ven Anschlag bewahrt. Und PH 1 vor der Zerstörung.
Carmen: Das sagen Sie. Haben Sie Beweise, eindeutige, stichhaltige gerichtsfeste Beweise? Also nicht. Das macht die Sache sehr, sehr schwierig. Hmh, ich werde sehen, was sich tun läßt. Sie hören von uns.
Jonas: Ich hörte, zwei Wochen später. Per Fon.
Computerstimme: Und deshalb gewähren wir Ihnen in Anerkennung geleisteter Dienste einen Aufschub bis zum 30. Juni 2017. Sie haben also ein halbes Jahr Zeit durch die Akquirierung des erforderlichen Zusatzeinkommens dafür Sorge zu tragen, daß Ihre Lizenz als privater Detektiv und damit Ihr Sozialstatus erhalten bleiben. Sollte Ihnen das nicht gelingen, Herr Jonas, verzagen Sie nicht, nicht jeder ist zu höherem berufen. Sie werden in eine Prekariats-Heimstatt umziehen. Dort erwartet Sie ein durchaus angenehmes Leben, sofern Sie keine überzogenen Ansprüche stellen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.
Das war Comeback. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter jonas-nur-jonas-und-sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Thomas Karallus, Vanida Karun, Werner Klein, Deef Pirmasens, Angelika Thomas, Henning Venske und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (200

. Regie: Werner Klein.
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:36
Mafia
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Mafia
Jonas: Abends war ich im Casablanca gewesen. Allein. Ich hatte an Jamaro gedacht. Kein Wunder, daß ich in der Nacht von ihr träumte. Ein erotischer Traum war’s leider nicht. Außer vielleicht für einen Bondage-Fan. Jonas ist keiner.
Jamaro: Hilf mir, Jonas! Sie haben mich gefangen, die Russen und ihr schwarzer Teufel! Im Aeropuert(o). Zuviel Technik. Ich war nicht stark genug. Und jetzt halten sie mich fest. Gefesselt, unter Drogen. Du mußt mir helfen, Jonas.
Jonas: Jamaro, indianische Medizinfrau. Schamanin. Vor einem halben Jahr waren wir uns begegnet. Drüben, in Costaguana. Die Totentanz-Geschichte. Wir waren uns nahegekommen. Sehr nahe. Bis Jonas nach Babylon zurückflog. Jamaro blieb dem Mörder ihres Stammes auf den Fersen. Dem schwarzen Schamanen aus Sibirien, der für die Kompania arbeitete. Die Russen-Mafia.
Jamaro: Ich soll auch für sie arbeiten. Sie wollen mich zwingen. Alle meine Geheimnisse wollen sie mir entreißen. Und wenn sie sie haben, werden sie mich töten. Komm, Jonas, komm zu mir! Hilf mir, Jonas! Bitte!
Jonas: Jamaro?
Jamaro: Bitte.
Jonas: Wo bist du, Jamaro? – Jamaro?
Jonas: Am Fon war nicht Jamaro. Es war Juno Belinda. Darling Belinda. Chefin des Sicherheitsdienstes Safety First. Wir kannten uns schon lange. Seit dem Antarkti-schen Krieg. Zuletzt hatten wir im Fall Attentat zusammen gearbeitet. August 2012.
Belinda: Es ist ein wunderschöner Morgen, Jonas, die Sonne scheint, die Vögel singen.
Jonas: In Babylon? Glaub ich nicht.
Belinda: Ist auch nicht wahr. Aber darauf kommt’s ja nicht an.
Jonas: Sondern?
Belinda: Auf die Haltung. Die innere Einstellung. Das positive Denken.
Jonas: Was willst du, Belinda?
Belinda: Dir was Gutes tun. Ich hab einen Job für dich.
Jonas: Danke. Für einen Sicherheitsdienst arbeite ich nicht. Ich bin Detektiv. Freier Detektiv.
Belinda: Der letzte. Ich weiß. Und auch noch stolz drauf. Krieg dich wieder ein, Jonas. Ich will dich nicht bei mir anstellen. Nur ein kleiner Aushilfsjob. Weil meine Leute zur Zeit alle anderweitig zu tun haben.
Jonas: Lieber nicht.
Belinda: Oh, der Herr sind total ausgebucht. Auftragsdatei voll bis zum Stehkragen - oder, Sammy?
Sam: Was? Äh, äh, äh, bitte Sam aus der Sache gütigst ausklammern zu wollen, Gnädigste. Ein Computer hört und gehorcht. Sonst nix.
Jonas: Was du nicht sagst, Sammy.
Sam: Genau das.
Belinda: Also, hör mal zu, Jonas. Ein paar Tage Ferien im Süden. Flug erster Klasse nach Palermo. Da mietest du dir eine Luxuskarosse. Oder von mir aus einen Helikopter. 5000 Euros Taschengeld.
Jonas: Es ging um den nächsten Eurogipfel. Alle drei Jahre treffen sie sich. Nicht die Politiker-Pappnasen und Plastikköpfe, die im Holo auftreten. Die echten Leiter und Lenker. Die Strippenzieher. Wirtschaft. Banken und Börsen. Forschung. Industrie. Medien und Kommunikation. Sie ziehen Bilanz. Und legen fest, wo’s in Zukunft langgeht.
Belinda: In fünf Tagen ist es soweit. Am 3. April 2016. Nicht in Davos oder Bilderberg, wie sonst, sondern im Centro Venti Venti. Dem hochmodernen neuen Kongreßzentrum in Sizilien. Und weil sich der Gipfel da zum ersten Mal trifft, haben die Teilnehmer aus Babylon mich beauftragt, die Sicherheitsvorkehrungen zu checken. Für einen Experten wie dich ist das eine Kleinigkeit.
Jonas: Ich werd mir’s überlegen.
Belinda: Was gibt’s da groß zu überlegen?
Jonas: Du hörst von mir, Belinda.
Sam: Greif zu, Knallschote. Dein Konto ist fast so leer wie deine Birne.
Jonas: Langsam, Sam. Bei meinen letzten Ausflügen in südliche Gefilde bin ich gewaltig auf die Nase gefallen. Ich sag nur Traumschiff. Und Knochenarbeit.
Sam: Wah, Schnee von gestern.
Jonas: Schnee, im Süden?
Sam: Egal. Ein neuer Fall, ein neues Glück. 5000 Euros, Mensch!
Jonas: Und dann Jamaro. Sie hat mich gerufen. Sie braucht Hilfe. Das war kein normaler Traum, Sammy.
Sam: Ganz recht, Herr Specht. Herr Schluckspecht. Das war ein alkoholischer Alb- und Katertraum, erzeugt vom sogenannten Whisky, welchen sich der Herr und Meister im Casablanca gestrigen Abends in Unmengen zugeführt habet äh bzw. eingeflößt hat, gelle?
Jonas: Davon war ich nicht so ganz überzeugt. Aber ansonsten hatte Sam recht. Sam hat meistens recht. Sam ist mein Computer. Er ist nicht nur schlau, er ist auch der Rede mächtig. Weniger vornehm ausgedrückt: Sam ist ein Quatschkopf. Eine Qu***strippe. Sein Hersteller hat ihn seinerzeit mit Sprachprogrammen voll-gestopft. Und dann kräftig geschüttelt. Ein Versuchsmodell. Nie in Serie gegangen. Was besseres konnte Jonas sich nicht leisten. Damals, als er sich selbständig machte. Seitdem haben wir uns aneinander gewöhnt. Mehr oder weniger. Ich rief Belinda an. Und sagte zu. – 24 Stunden später flog ich den Leih-Helikopter über den Golf von Castellamare. Nordwest-Sizilien. Unter mir lag das Centro Venti Venti. Eine künstliche Insel mitten im Golf. Mit dem Festland verbunden durch einen schnur-geraden Damm. Der endete am Haupttor in der Mauer, die um die ganze Insel lief. Direkt vor dem Tor der Heliport. Ich landete. Stieg aus. Das Tor ging auf.
Juri Samarkand: Sieh da. Der große Sicherheit***perte aus dem großen Babylon. Willkommen im Centro Venti Venti. Ich bin der Manager. Juri Samarkand. Äh, nennen Sie mich Juri. Und ihr Name ist äh?
Jonas: Jonas. Nur Jonas.
Juri Samarkand: Richtig. Jonas. Frau Belinda hat Sie angemeldet. Ich soll Sie herumführen, Ihnen alles zeigen, was Sie sehen wollen, äh und was wollen Sie sehen, Jonas?
Jonas: Ihre Sicherheitsmaßnahmen.
Juri Samarkand: Versteht sich. Eine pure Formalität, das versichere ich Ihnen. Unser Zentrum ist state of the art. Wir haben alles, was neu und gut und teuer ist: DNA Scanning, Voice Scanning, Retina Scanning, Face-Structure Scanning, Bodyheat Scanning, Monitor-Überwachung auch der entlegensten Ecken, überall Sensoren, überall Robodogs, kusch! Alles systhemisch integriert, rechnergesteuert und chaostheoretisch kalibriert, versteht sich.
Jonas: So. Und wenn Ihr Rechner abstürzt?
Juri Samarkand: Unmöglich.
Jonas: Versteht sich. Aber wenn doch?
Juri Samarkand: Äh dann, mein Lieber, greifen wir zurück auf die rustikalen Methoden der guten, alten Zeit. Mauer und Stacheldraht rundum, menschliches Wachpersonal mit Sturmgewehren, Laserstrahlern, Neurofreezern. Äh, kommen Sie.
Jonas: Wohin?
Juri Samarkand: Ich zeig Ihnen unsere Sicherheitszentrale. Mitten auf der Insel, im Tower, ganz oben. Da kriegen Sie den besten Eindruck.
Jonas: Die Insel war groß, und weitgehend grün. Hinter Tor und Mauer lag ein Park. Echtrasen. Echtbäume. Darüber ragte das Kongreßgebäude auf. Und darüber der Tower. Wir mußten nicht laufen. Wir fuhren. Standesgemäß, in einem offenen Golf-Cart.
Juri Samarkand: Den Golfplatz haben wir weiter hinten. 18 Loch. Das hier ist unser genuin sizilianischer Orangenhain. Im Sommer sollten Sie mal kommen, Jonas. Apfelsinen in allen Farben, so groß wie Bowlingbälle.
Jonas: Genmanipuliert?
Juri Samarkand: Hm, exklusiv für uns in Holland maßgeschneidert. Immer das Neueste, immer das Beste - das ist unser Motto.
Jamaro: Jonas! Du bist gekommen.
Jonas: Jamaro!
Jamaro: Hilf mir, Jonas! Hol mich raus! Jonas.
Jonas: Wo bist du, Jamaro?
Jamaro: Jonas!
Juri Samarkand: Äh, wie meinen Sie, Jonas?
Jamaro: Jonas!
Jonas: Ich habe nur laut gedacht.
Jonas: Sie war laut und klar, Jamaros Stimme in meinem Kopf. Diesmal konnte es nicht Jacobs Whisky sein. Fast mechanisch folgte ich dem Manager ins Kongreßgebäude. In den Lift, der uns zum obersten Stockwerk des Tower brachte. In die zentrale Sicherheitsanlage der Insel. Computer. Schaltpulte. Und Bildschirme. An allen Wänden Bildschirme. Dunkel und tot. Bis Juri Samarkand sie einschaltete.
Juri Samarkand: Wenn wir Gäste haben, ist die Anlage natürlich besetzt. Und dann aktivieren wir auch unsere Kuppel. Unsere wirkungsvollste Sicherheitsvorrichtung. Sie müssen sich das etwa so vorstellen wie den Klimadom über Babylon. Nur viel, viel moderner und effektiver. Wenn die Kuppel aufgebaut ist... so, dann kommt niemand und nichts rein oder raus. Kein Attentäter, kein Geschoß, keine Bombe, kein Laserstrahl.
Jamaro: Jonas! Hilfe! Hier bin ich!
Jonas: Wieder Jamaro. Und diesmal hörte ich sie nicht nur. Ich sah sie auch. Auf einem der Bildschirme. Sie lag auf einer Pritsche. Gefesselt. In einem kahlen Raum ohne Fenster. Neben ihr stand Utschym Schetan. Der schwarze Schamane aus Sibirien. In seiner speckigen Arbeitskleidung. Mit einem Menschenknochen drosch er auf seine Trommel aus Menschenhaut. Dabei sah er in die Kamera. Und fletschte seine graugelben Zähne. Dann war er weg. Mitsamt Jamaro. Samarkand hatte die Bildschirme abgestellt. Einen Laserstrahler aus der Tasche gezogen. Und auf Jonas gerichtet.
Juri Samarkand: Ich habe das Gefühl, Sie sind nicht bei der Sache, Jonas.
Jonas: Jamaro ist hier. Auf der Insel. In Ihrem Centro. Wo haben Sie sie versteckt?
Juri Samarkand: Sie werden lästig, Jonas. Platz, Smert! Paß gut auf ihn auf! Wenn er sich bewegt, beißt du! Wie gesagt, Jonas, Sie sind lästig. Ein Ärgernis. Wir haben gewisse Pläne, was den Eurogipfel betrifft, und würden es vorziehen, dabei nicht von verliebten, telepathisch alarmierten Detektiven gestört zu werden. Also haben wir Maßnahmen getroffen, uns Ihrer, mein Lieber, bereits im Vorfeld zu entledigen, und zwar.
Jonas: Ich nahm Juri den Laser ab. Er war überrascht.
Juri Samarkand: Smert! Faß, Smert!
Jonas: Und noch mehr überraschte es ihn, daß Robodog Smert gar nicht daran dachte, Jonas an die Kehle zu springen. Statt dessen machte er Männchen.
Jonas: Braver Hund! Und jetzt fall tot um!
Juri Samarkand: Ich versteh das nicht.
Jonas: Mein Computer. Während Sie herumgetönt haben, ist er in Ihrem System spazierengegangen. Und hat ihren Fiffi umprogrammiert. Ist doch viel netter so. Gut gemacht, Sammy.
Sam: Merci. Man dankt. Ganz einfach war es nicht, das muß ich sagen, doch Sammy kennt kein Zittern und kein Zagen. Analog, digital, das ist ihm egal. Er hackt und knackt und packt und zwackt und kackt.
Jonas: Das reicht, Sam. Wir müssen weg. Den Herrn hier nehmen wir mit. Als Geisel.
Juri Samarkand: Sie kommen nicht weit, Jonas. Die Wachen sind alarmiert.
Sam: Holdiodidö.
Jonas: Da hatte er recht. Leider. Als wir zum Tor zurückfuhren, sah ich sie. Mindestens 20. Schwerbewaffnet. Ein Ausweichmanöver war dringend angesagt. Ich klopfte Juri auf den messerscharfen Scheitel. Old Shatterhands berühmter Jagdhieb. Kurz, aber schmerzhaft. Dann sprang ich ab. Und wedelte wie ein Slalomläufer um die Orangenbäume.
Jonas: Welche Richtung, Sammy?
Sam: Nach hinten. Da geht’s raus.
Jonas: Ich will aber nicht raus. Ich muß zu Jamaro.
Sam: Ja, viel Freude wird die Lady an meinem Jonas haben, wenn er sich ihr als tote Leiche präsentiert. Merke: Erst das Leben, dann die Liebe. Es gilt, Prioritäten zu setzen. Zahllose wilde Wächter wollen dir was. Mensch, hau ab. Verschwinde wie die Wurst im Spinde, hihi hihi. Um Jamaro kannst du dich später kümmern, hihi hihi.
Jonas: Das nahm ich mir vor. Ganz fest. Und lief. Nicht zum Tor. Von da kamen die Wächter. Zurück. Vorbei am Kongreßgebäude. Und am Golfplatz. Bis es nicht mehr weiter ging. Ich stand vor der Mauer.
Sam: An der Mauer, vor der Mauer steht ne dumme Pflanze, gell Chef?
Jonas: Und jetzt, Sammy?
Sam: Jetzt, äh, ja, äh.
Jonas: Rüberklettern?
Sam: Was? Ne, Einspruch, Euer Ehren. Kraxeln ist ja soo anstrengend. Und total sinnlos. Weil, die Kuppel ist noch immer aktiviert.
Jonas: Dann schalt sie ab, verdammt noch mal.
Sam: Is nich drin, Meista. Nich uff die Schnelle. Hochkompliziertes System. Det braucht Zeit, ja, und haben wir Zeit?
Jonas: Ach. Ich dachte, Sam hackt und knackt...
Sam: Gut Hack will Weile haben.
Jonas: Keine Sprüche, Sam. Rat und Tat. Das ist ein Befehl.
Sam: Befehl. Jawoll. Sieh nach unten.
Jonas: Tu ich. Und?
Sam: Ja, was erblicken Dero Scharfsicht entzündete äh entzückende Augen?
Jonas: Häh? Meine Schuhe.
Sam: Gott, ist der lahm! Unter den Schuhen!
Jonas: Äh, da ist ein Gullydeckel.
Sam: Aha. Heb ihn hoch, roll ihn weg.
Jonas: So. Und jetzt seh ich eine senkrechte Röhre. Mit Sprossen, da.
Sam: Da steigst du munter, schnell mal runter.
Jonas: Ungern, Sammy. Huch, hier riecht’s aber nicht gut, du.
Sam: In der Tat, Sir. Wir scheinen wieder einmal in einem Fall von extrem schlechtem Odeur verstrickt zu sein.
Jonas: Ja, ich hab’s wörtlich gemeint, Sam. Hier, hier drin stinkt’s.
Sam: Jajaja.
Jonas: Oh, und es wird immer schlimmer.
Sam: Ja klar.
Jonas: Es wird immer schlimmer.
Sam: Ja, verläuft doch unter uns der Hauptwasserkanal, welcher Abfälle und sonstige menschliche Hinterlassenschaften auf direktem Weg ins Meer befördert.
Jonas: Du, ich hab so ne Ahnung, was jetzt kommt.
Sam: Ja, Luft an, Nase zu, und dann: Sprung ab, m***, m***!
Jonas: Es gab keine Wahl. Außerdem ist Jonas daran gewöhnt, von Sam durch die Scheiße gejagt zu werden. Allerdings noch nie so lange wie diesmal. Ich war nah am Ersticken, als ich auftauchte. Weit draußen im Golf von Castellamare. Gut einen Kilometer vor der Insel. Ich schnappte nach Luft. Und versuchte, mich notdürftig abzuspülen. Dann schwamm ich in Richtung Festland. Nicht gerade schnell. Bis ich was hörte. Motorengeräusch. Ein Boot von der Insel. Es kam direkt auf mich zu. Das gefiel mir nicht. Ich legte einen Zahn zu. Aber das Boot war schneller. Plötzlich noch ein Motorengeräusch. Ein zweites Boot. Vom Festland. Maschinenpistolen ratterten übers Wasser. Das Boot von der Insel drehte ab. Fuhr zurück. Das andere kam näher. Was ging hier vor?
Sam: Unzureichende Daten, Hochwürden. Insofern: Nix Genaues weiß man nicht.
Jonas: Unsere Rutschpartie durch den Schiet hast du offenbar gut überstanden.
Sam: Ja, Halle-halleluja. Dank dem Herrn Jonas, der in seiner unendlichen Güte seinem Sam einen absoluten undurchdringlichen Mikrofaser-Anzug spendiert und ihn sowohl wasser-, abwasser-, als auch wasserabwehrdicht gemacht hat. Was man von anderen Anwesenden nicht unbedingt behaupten kann.
Jonas: Du stinkst trotzdem.
Sam: Ja, auch Exzellenz stinken zum hohen Himmel, und was Durchlaucht da in den Haaren hängt, wuäh, igitt, pfui Teufel.
Basta: Hallo!
Pronto: Ahoi!
Basta: Kommen Sie ins Boot.
Pronto: Und halten Sie die Hände so, daß wir sie gut im Blick haben.
Sam: Ach du liebes Meingottchen, wie sehen die denn aus?
Jonas: Berechtigte Frage. Die beiden jungen Männer, die mich in ihr Boot zogen, trugen Anzüge, so schwarz wie ihre geölten Haare. Mit breiten weißen Streifen. Dazu Gamaschen. Schwarzweiße Schuhe. Weiße Krawatten zu schwarzen Hemden. Und antike Maschinenpistolen Typ Thompson. Ein historisches Outfit. Voll durchgestylt. Voriges Jahrhundert, 20er, 30er Jahre. Gangster. Chicago. Al Capone. Humphrey Bogart.
Jonas: Seid ihr aus einem Museum entsprungen? Oder wird hier ein Film gedreht?
Basta: Später.
Pronto: Die Nonna wird Ihnen alles erklären.
Jonas: Die Nonna? Ihre Frau Großmutter?
Basta: Sie will Sie sehen.
Pronto: Wir bringen Sie zu ihr.
Jonas: Die Großmutter der beiden Typen residierte offenbar auf dem Festland. Wir landeten in einer einsamen Bucht an der Westseite des Golfs von Castellamare. Vom Steg führte ein steiler Fußweg den Berg hoch. Oben stand ein Haus. Ein unschöner weißer Kasten. Mit einer gewaltigen Aussicht auf den Golf. Meine Begleiter schoben mich durch die Tür. Innen wartete eine alte Frau. Sehr alt. Weißhaarig. Nicht groß, aber breit. In einem schwarzen Taftkleid.
Nonna: Sehr gut, Basta. Sehr gut, Pronto. Wer ist der Mann?
Jonas: Ich kann selbst reden. Jonas ist der Name. Nur Jonas.
Nonna: Nur Jonas? Aus Babylon?
Jonas: Ja.
Nonna: Sie sind der letzte Detektiv!
Jonas: Haben Sie was dagegen?
Nonna: Keineswegs. Ich bin hocherfreut. Ihr Ruhm ist bis nach Sizilien gedrungen. Willkommen! Willkommen bei der Familie Malavita. Ich bin Donna Benedetta Malavita.
Basta: Die Nonna.
Pronto: Die Patin.
Nonna: Mein Gatte, Don Antonio Malavita. Meine Nichte Alessandra.
Jonas: Jetzt sah ich sie erst, in einer dunklen Ecke des Zimmers. Ein schlafender Greis im Rollstuhl. Auf dem Schoß eine Maschinenpistole. Daneben eine unscheinbare Frau unbestimmten Alters. Auch in schwarz.
Nonna: Alessandra kümmert sich um Don Toni. Seit er vor 30 Jahren bei Familienstreitigkeiten in New York schwer verletzt wurde, ist er an den Rollstuhl gefesselt. Er kann nicht mehr gehen.
Basta: Nicht mehr reden, nicht mehr hören, nicht mehr denken.
Pronto: Aber schießen kann er noch.
Nonna: Meine Urenkel kennen Sie bereits. Gianluca und Leoluca Malavita.
Basta: Genannt Basta und Pronto.
Pronto: Die tödlichen Twins.
Nonna: Geht wieder auf eure Posten!
Basta: Si, Nonna.
Pronto: Bene.
Jonas: Die beiden stellten sich ans Fenster. Und sahen hinaus. Auf den Golf. Wegen der schönen Aussicht? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
Nonna: Wir beobachten die Insel. Das Centro Venti Venti.
Jonas: Warum?
Nonna: Wir wissen, daß dort in wenigen Tagen der Eurogipfel stattfinden wird. Und wir wissen auch, daß die Russen das Zentrum übernommen haben. Weil sie einen großen Coup im Schilde führen.
Jonas: Die Russen-Mafia?
Nonna: Äh, wenn wir Freunde bleiben wollen, Jonas, dann nennen Sie die russische Kompania nicht Mafia. Niemals. Es gibt nur eine Mafia. Die echte, die wirkliche, die historische, die einzige. Die Cosa Nostra. Und das sind wir.
Basta: Das heißt, der Rest.
Pronto: Was von der Mafia noch übrig ist.
Nonna: Und das ist, wie Sie sehen, Jonas, nicht eben viel. Eine Familie. Sie haben uns dezimiert, die Russen, sie haben uns aus dem Geschäft gedrängt, unsere Firmen übernommen, uns aus Amerika vertrieben, und jetzt kommen sie auch noch hierher, nach Sizilien.
Basta: In unsere Heimat.
Pronto: Unseren eigenen Hinterhof.
Nonna: Das lassen wir uns nicht bieten. Wir behalten sie im Auge und, was immer sie vorhaben, wir werden einschreiten!
Basta: Wir werden ihnen die Suppe versalzen.
Pronto: Und kräftig reinspucken.
Jonas: Die Kompania im Centro, mit Jamaro, ich muß meine Auftraggeberin anrufen!
Jonas: Die Kompania hat den Tagungsort unterwandert, sagte ich Belinda. Der Gipfel ist gefährdet. Sie nahm die schlechte Nachricht ausgesprochen cool auf.
Belinda: Das kriegen wir schon hin. Wo steckst du, Jonas?
Jonas: Über dem Golf. In einem Bungalow in äh wie heißt das hier?
Nonna: Monte Speziale.
Jonas: Am Monte Speziale.
Belinda: Gut. Bleib da. Rühr dich nicht. Warte auf meinen Anruf. Ich werde das Nötige veranlassen. Bis dann.
Jonas: Arrivederci, Belinda. Ich hatte nicht vor, ihren Anweisungen zu folgen. Jamaro war im Centro. Gefangen. In Gefahr. Ich mußte zurück zur Insel. So schnell wie möglich. Vielleicht würden die Malavitas mir helfen. Ich wollte das mit der Nonna besprechen. Aber es kam was dazwischen.
Basta: Ein Helikopter, Nonna!
Pronto: Von der Insel!
Basta: Mit Raketen!
Pronto: Und MG!
Nonna: Die Russen. Sie greifen uns an.
Basta: Jetzt sind sie über uns!
Pronto: Sie wollen auf dem Dach landen!
Nonna: Wir setzen uns ab. Plan B. Mach die Klappe auf, Alessandra.
Allesandra: Si, Mama.
Nonna: Basta und Pronto, ihr tragt den Rollstuhl mit Don Toni.
Basta: Si.
Pronto: Bene.
Nonna: Kommen Sie, Jonas.
Jonas: Unter der Falltür im Boden führten Stufen nach unten. In einen Felsenkeller. Und da fing ein Gang an. In den Berg. Mit leichter Neigung nach unten. Das war unser Fluchtweg. Nach etwa 200 Metern hielten wir. Die Nonna öffnete eine in die Felswand eingelassene Stahltür. Hinter ihr war eine Monitor-Anlage. Die Nonna schaltete sie an. Auf dem Bildschirm erschien der Bungalow. Von außen. Der Helikopter war gerade auf dem flachen Dach gelandet. Bewaffnete steigen aus. Die Nonna nickte zufrieden. Und drückte auf einen roten Knopf.
Basta: Hurra!
Pronto: Eins zu null für uns!
Basta: Die Russen haben ihren Helikopter verloren!
Pronto: Und 10 Mann, mindestens!
Jonas: Ihr Haus ist aber auch draufgegangen.
Nonna: Das macht nichts. Es war häßlich. Und wir brauchen es nicht mehr. Die Feindseeligkeiten sind eröffnet. Weiter! Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Jonas: Etwa 5 Kilometer. Durch den Berg. Immer schräg nach unten. Und dann waren wir angekommen. In einem gutbestückten Weinkeller. Darüber lag ein weiter, heller Raum. Bunte Teppiche auf blauen Fliesen. M***ve Echtholzmöbel. An den Wänden Heiligenbilder in schreienden Farben. Und eine überlebensgroße Madonna aus bemaltem Gips. Direkt neben ihr hingen Waffen: Maschinenpistolen. Und Handgrananten. Es roch nach Wein und Weihrauch, nach Friedhof, Knoblauch und Olivenöl. Vor dem riesigen Fenster eine große Terrasse. Palmen in Tonkübeln. Und ein Automobil. Ein antiker Cadillac in schwarz und gelb.
Basta: Großonkel Als berühmte Panzerlimousine. 1928.
Pronto: Nonna hat sie aus Chicago mitgebracht.
Nonna: Sie befinden sich in der Villa Malavita, Jonas. Am Standrand von Castellamare. Stammsitz und Hauptquartier der Familie Malavita. Nun, was sagen Sie?
Jonas: Eindrucksvoll. Ich kann ihn spüren. Hier weht er.
Nonna: Wer?
Jonas: Der Wind der Geschichte.
Jamaro: Jonas! Hilf mir! Hast du mich vergessen?
Jonas: Nein, Jamaro. Signora Malavita, ich muß ins Centro!
Nonna: Nennen Sie mich Nonna, wie die anderen.
Jonas: Die Russen halten da eine Freundin von mir fest.
Nonna: Die wollen Sie rausholen. Und dazu brauchen Sie unsere Hilfe.
Jonas: Allein werde ich's kaum schaffen.
Nonna: Wir tun uns zusammen, Jonas, Sie helfen uns, wir helfen Ihnen. Was schlagen Sie vor?
Jonas: Ein Kommando-Unternehmen. Ein kleiner Stoßtrupp dringt ein. Holt Jamaro. Kommt mir ihr zurück.
Nonna: Basta und Pronto, ihr geht mit Jonas.
Basta: Aber sicher.
Pronto: Mit Vergnügen.
Jonas: Frage: Wie kommen wir ins Centro?
Nonna: Na, hat ihr schlauer kleiner Computer das Sicherheitssystem noch immer nicht geknackt?
Jonas: Sam?
Sam: Sam arbeitet dran.
Nonna: Also noch nicht.
Sam: Oma, du hast ja keine Ahnung. Das ist Elektronik, capisc'? Hochmoderne Technik. Schwerstarbeit. Da muß ein kleiner Computer mächtig transsibirien Korrektur transpirieren.
Jonas: Halt die Backen, Sam, knack weiter.
Sam: Ja.
Nonna: Also machen wir’s auf unsere Art. Wissen Sie, Jonas, hier, wo wir zuhause sind, hier sind wir noch wer. Wir werden respektiert, wir haben Einfluß und Verbindungen. Zu den hier ansässigen Firmen zum Beispiel, die das Centro Venti Venti beliefern.
Jonas: Am nächsten Morgen fuhr ein E-Laster über den Damm zur künstlichen Insel. Viveri stand dran, und Traffico all Ingrosso. In der Fahrerkabine saßen Basta und Pronto. In weißen Kitteln. Darunter Maschinenpistolen. Die Ladung bestand aus diversen Lebensmitteln. Aus Handgranaten. Dynamitstangen. Und aus Jonas. Der auch eine MP hatte. Auf der Höhe des Heliports, wo noch immer mein Helikopter wartete, führte eine Rampe nach rechts. Am Haupttor vorbei. Zum Lieferanteneingang. Basta winkte freundlich. Der Wächter drückte auf einen Knopf. Das Tor ging auf. Wir fuhren ein. In die Sicherheitsschleuse. Von hier ab mußten wir uns den Weg freisprengen. Und freischießen.
Basta: Das war der Wächter.
Pronto: Er ruhe in Frieden.
Jonas: Basta, Dynamit an die Innentür.
Basta: Si.
Jonas: Pronto, gib Feuerschutz.
Pronto: Berto.
Juri: Hallo, Jonas. Ich heiße Sie zum zweiten Mal im Centro Venti Venti willkommen. Wir sind auf Sie vorbereitet. Unsere parapsychologische Wunderwaffe, der Schamane aus Sibirien, hat Ihre Gedanken gelesen und uns gewarnt.
Jonas: Juri Samarkand. Nicht leibhaftig. Auf einem Bildschirm, der plötzlich hell geworden war. Seine elegante Erscheinung wurde durch einen Kopfverband erheblich beeinträchtigt. Was Jonas erfreute. Aber das war auch der einzige Grund zur Freude.
Juri: Ihr törichter Drang, die Indianerin zu befreien, macht Sie für uns zu einem immer m***veren Störfaktor, Jonas. Darum haben wir beschlossen, obwohl wir Jamaro gern an der Seite des Schamanen für unsere Ziele eingesetzt hätten, das Objekt Ihrer Begierde ein für allemal zu beseitigen. Utschym Schetan! Fang an!
Utschym: How.
Jonas: Juri trat zurück. Ich sah Jamaro. Sie lag auf der Pritsche. Anscheinend bewußtlos. Der schwarze Teufel tanzte wie ein tapsiger Bär um sie herum. Und trommelte. Jamaro fing an zu zittern. Zu zucken. Plötzlich öffnete sie die Augen. Sie sah mich an. Bäumte (Beugte) sich auf. Blut strömte ihr aus Mund und Nase. Sehr viel Blut. Sie fiel zurück. Und lag da. Ganz still. Mit offenen Augen.
Juri: Gut gemacht, Utschym Schetan.
Utschym: How.
Juri: Jamaro ist tot.
Jonas: Nein.
Juri: O doch. Tot wie ein Türnagel. Sie sehen, Jonas: Ihr weiterer Aufenthalt auf unserem Gelände ist zwecklos.
Jonas: Nein!
Jonas: Ich sah rot. Ich feuerte auf den Bildschirm. Auf Wände und Türen. Bis ich einen heftigen Schlag auf den Kopf kriegte. Von hinten. Und zusammenbrach. Ich wachte auf. In der Villa Malavita. Der Kopf tat mir weh. Aber das war nichts gegen den Schmerz tief innen.
Jonas: Jamaro ist tot. Sie haben sie umgebracht, der schwarze Teufel und Samarkand.
Basta: Sie sind ausgerastet, Jonas.
Pronto: Wir mußten Sie beruhigen.
Basta: Nichts für ungut.
Pronto: Das Unternehmen haben wir abgebrochen.
Jonas: Ich mußte ihnen recht geben. Trotz meiner Trauer. Und meiner Wut. Wir wären alle drei draufgegangen. Jetzt konnten wir das tun, was getan werden mußte. Ich dachte nicht an Belinda. Nicht an meinen Auftrag. Ich dachte nur an Rache. Rache an Jamaros Mördern. Die Malavitas waren einverstanden. Sie wollten die verhaßte russische Konkurrenz vernichten. Wir hielten Kriegsrat. Die Nonna. Jonas. Und Sam.
Sam: Ein Tusch, Herr Kapellmeister! Tatatatui. Meine Daumen und Hirn, es halt geschnackelt, System ist geknackelt, na Oma, wat sachste nu?
Nonna: Ihr Computer ist recht laut, Jonas.
Sam: Wat bin ich?
Jonas: Da sind Sie nicht die erste, die das feststellt. Und sensibel ist Sam, weiß Gott, auch nicht gerade.
Sam: Ja, aber schlau. Und gerissen. Und einmalig clever. Sozusagen genial. Und absolut und total ganz und gar unentbehrlich.
Jonas: Leider, aber wie auch immer, jetzt kommen wir rein. Ins Centro.
Nonna: Sie meinen, Frontalangriff? Durchs Tor und über die Mauer?
Jonas: Was denn sonst?
Nonna: Wir bleiben draußen und lassen die Russen kommen. Wir räuchern die Bande aus. Ihr Sam wird die Schutzkuppel aktivieren.
Sam: Wat werd’ ich?
Jonas: Deaktivieren, wollten Sie sagen.
Nonna: Na, er wird sie aktivieren. Und aufrechterhalten.
Sam: Na, Peanuts. Macht Sammy mit links.
Nonna: Oben in der Kuppel ist ein Loch.
Sam: Yes, für den Ausstoß von CO2. Kohlendioxid. Sehr ungesund. Nur 25 cm Durchmesser.
Nonna: Da wird Gas eingeleitet. Reizgas, Tränengas, Mace. Was die Polizei so hat.
Jonas: Die Polizei?
Nonna: Die brauchen wir natürlich. Aber das ist kein Problem. Wie es der Zufall will, ist Großneffe Salvatore Malavita Chef der Polizei von Palermo.
Sam: Ja ist es denn die Possibility?
Nonna: Wir warten ein paar Stunden. Dann gehen wir rein. Mit Gasmasken. Wir sammeln die hilflosen Russen ein und lassen sie verschwinden. D'accordo?
Sam: Akkordeon?
Jonas: Am frühen Nachmittag lief sie an. Die Operation Rattenjagd. Die Russen saßen auf der Insel. Und fühlten sich sicher. Unter der undurchdringlichen Kuppel. Bis der Polizei-Helikopter kam. Mit einem Schlauch. Und einer gigantischen Gasflasche. Als die leer war, wurde das Loch abgedichtet. Der Helikopter flog zurück nach Palermo. Um die Insel waren Boote postiert. Voll mit Carabinieri. Falls die Russen versuchten, durchs Abwasser zu fliehen. Wie Jonas. Vor dem Haupttor standen wir. Jonas. Und die Mafia: Die Nonna. Basta und Pronto. Nichte Allesandra, und Don Toni im Rollstuhl. Er schlief nicht, ausnahmsweise. Er streichelte seine MP. Und lachte. In freudiger Erwartung. Die Nonna sah auf die Uhr.
Nonna: Zwei Stunden. Das sollte reichen.
Jonas: Denk ich auch. Kuppel deaktivieren, Sam.
Sam: Zu Befehl. Piep. Kuppel ist deaktiviert.
Jonas: Dann sollten wir die Gasmasken, Moment. Was ist das?
Basta: Das Tor! Es geht auf!
Pronto: Und zwei kommen raus.
Jonas: Juri Samarkand, und der schwarze Schamane.
Juri Samarkand: Sie wundern sich, uns gesund und munter vor sich zu sehen, unbeeinträchtigt von ihrem hinterhältigen Gasangriff? Sehen Sie, mein Freund Utschym Schetan war so freundlich, uns beiden mit seinen speziellen Fähigkeiten die giftigen Schwaden vom Leib zu halten. Es war gar nicht leicht, und man sollte annehmen, er sei jetzt schwach und erschöpft. Aber ich kann ihnen versichern, das ist nicht der Fall. Ganz und gar nicht.
Utschym: How.
Nonna: Erschießt die beiden.
Sam: Jessesmaria.
Jonas: Es ging nicht. Die Maschinenpistolen versagten. Alle. Der Schamane hatte Macht über sie. Er trommelte. Juri grinste. Mir fiel was ein. Was Jamaro mir früher mal gesagt hatte. Im Regenwald von Costaguana.
Jonas: Messer! Über Messer hat er keine Macht. Basta! Pronto! Stecht zu!
Basta: Bene.
Pronto: Machen wir.
Jonas: Es stimmte. Der Schwarze hatte keine Macht über Messer. Aber er hatte Macht über Menschen. Basta und Pronto... wollten auf Juri und den Schamanen losgehen, aber sie konnten nicht, sie wendeten sich gegeneinander...
Juri Samarkand: Das kommt davon. Mein Beileid, verehrte Signora Malavita, ihre ohnehin winzigkleine Familie ist nun noch mehr zusammengeschrumpft. Seien Sie froh, wenn wir es dabei bewenden lassen. Leben Sie wohl. Ach, äh, Ihren zugelaufenen Detektiv, den überlassen Sie besser uns. Wir nehmen ihn mit, als Geisel und Schutzschild.
Jonas: Ob ich wollte oder nicht, ich mußte ihnen folgen. Zu meinem Leih-Helikopter auf dem Heliport. Sie fesselten mich. Und banden mich an ein kurzes Seil. Das machten sie am Helikopter fest. Sie stiegen ein. Juri setzte sich ans Steuer. Der Helikopter startete. Flog eine große Kurve über den Golf. Jonas hing unten dran. Drehte sich. Pendelte hin und her. Unter mir sah ich Bewegung. Der Bann des Schamanen war offenbar aufgehoben. Die Nonna beugte sich über ihre toten Urenkel. Don Toni im Rollstuhl sah dem Helikopter nach. Hob seine MP. Zielte kurz. Und drückte ab. Ein Ruck. Der Schuß hatte das Seil durchtrennt. Jonas fiel. Klatschte ins Wasser. Ging unter. Kam hoch. Ging wieder unter. Kam noch mal hoch. Bevor ich ganz ertrunken war, fischten mich die Carabinieri auf. Derweil verschwand der Helikopter mit Juri und dem Schamanen am nördlichen Horizont. Am Abend saßen wir in der Villa Malavita zusammen. Don Toni schlief wieder. Den Schlaf des Gerechten und Zielsicheren. Behütet von Alessandra. Die Nonna und ich, wir hatten nur einen Gedanken.
Nonna: Vendetta.
Jonas: Rache.
Nonna: Für Basta und Pronto.
Jonas: Für Jamaro.
Nonna: Wir werden sie töten, Samarkand und den Schwarzen.
Jonas: Das werden wir, Nonna. Aber dazu müssen wir sie erst haben.
Nonna: Wir werden sie finden.
Jonas: Sicher, bloß wo?
Sam: Hach, da sitzen sie und zermartern ihre mickrigen Gehirne. Menschen! Warum fragt ihr nicht Superhirn Samuel, Computer, extraordinaire?
Jonas: Willst du uns erzählen, du weißt, wo die beiden stecken, Sammy?
Sam: Nun, äh man hätte diesbezüglich, unter Umständen, gewissermaßen, sozusagen, irgendwie so eine Art Idee.
Jonas: Raus damit.
Sam: Leute, tretet rings heran, hört euch die Geschichte an, hört, was bald zu Babylon.
Jonas: Kurz, Sam, bitte, und in Prosa, für deine Gedichte oder was du dafür hältst hab ich im Moment keinen Nerv.
Sam: Banause. 8. April 2016 Eröffnung Themenhotel Metropole in Babylon. Betreiber ist Strohfirma für Kompania, munkelt man.
Nonna: Das ist mir bekannt. Man ist deshalb vor einiger Zeit an unsere Familie herangetreten. Wegen Onkel Als Panzer-Cadillac. Den wollte man gern für das neue Hotel kaufen.
Jonas: Warum denn das?
Sam: Metropole, Dummi. Themenhotel, Weichkeks. Das Thema ist Al Capone. Gangster, Mafia, Chicago, Prohibition, Roaring Twenties. Und wo hatte Omas berühmter Onkel Alphonse sein Hauptquartier? Na? Hotel Metropole, Chicago, Michigan Avenue.
Nonna: Wir haben den Wagen natürlich nicht hergegeben.
Sam: Wenn also die Kompania hinter dem neuen Hotel in Babylon steckt und wenn Gospodin Juri Samarkand sowas wie der Hotelier der Kompania ist, dann, allerwertester Jonas, herzliebste Omama.
Jonas: Dann eröffnen sich uns gewisse Möglichkeiten.
Sam: Na bitte.
Jonas: Eine Woche später. Babylon. Markgrafenboulevard. Das neue Themenhotel Metropole wurde festlich eröffnet. Der übliche Auftrieb. Nur geladene Gäste. Nur sogenannte Prominenz. Die Bürgermeisterin natürlich. Holo-Stars. Der Serienmörder der Woche. Superbosse. Bischöfin und Erzdruide. Angesagte Drogen-Designer. Der Hochadel. Und Jonas. Sam hatte mir eine Einladung besorgt. Wie? Das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Computer haben ihre kleinen Geheimnisse. Ich war also da. Wanderte herum. Es gab Echtwhisky. Stilecht aus Teetassen. Cocktails aller Art. Echtchampagner. Das echtmenschliche Personal machte auf Gangster und Charleston-Girls. Echtmusiker spielten Uraltjazz. Nostalgiker Jonas fühlte sich gut. Und vergaß fast, weshalb er gekommen war. Bis er Belinda traf.
Belinda: Jonas, was machst du denn hier?
Sam: Jonas, was machst du denn hier?
Belinda: Oh, der alte Sam.
Jonas: Ich trinke. Echten Scotch. Sowas kann ich mir zuhause nicht leisten. Dein Wohl, Darling Belinda.
Belinda: Du bist eingeladen?
Jonas: Nein. Aber du natürlich. Du bist sogar ein ganz spezieller Ehrengast, nehm ich an.
Belinda: Meinst du? Warum?
Jonas: Weil das Hotel der Kompania gehört. Und du gehörst auch der Kompania.
Belinda: Haha, ich? Wie kommst du denn auf die Idee?
Jonas: Drei Gründe. Erstens. Gleich nachdem ich dich angerufen und dir gesagt hatte, wo ich stecke, haben die Russen den Bungalow der Malavitas angegriffen. Zweitens. Die Kompania hat das Centro Venti Venti unterwandert, hatte ich dir gesagt. Du hast nichts unternommen. Der Gipfel wurde nicht abgesagt. Warum hast du die Warnung nicht weitergegeben?
Belinda: Das muß ich glatt vergessen haben. Und drittens?
Jonas: Es gab gar keinen Auftrag für dich, die Sicherheitsvorkehrungen in Sizilien zu checken. Sam hat sich mal in deinen Daten umgesehen.
Sam: Ja grüß Gott, gnädige Frau, wie geht's, wie steht's, wie schauts, kiß die Hand, bussi bussi.
Belinda: Du mich auch, Sam. Kreuzweise.
Sam: Jawohl.
Jonas: Warum hast du mich nach Sizilien geschickt, Belinda?
Belinda: Wegen dieser Indianerin.
Jonas: Jamaro?
Belinda: Wir wußten, daß sie mit dir in Verbindung stand. Telepatisch. Unser Schamane hat ihre Hilferufe abgehört. Wir machten uns Sorgen, du könntest durch Jamaro zuviel erfahren, womöglich überraschend eingreifen und unseren großen Coup stören. Wir wollten dich vorher aus dem Verkehr ziehen. Zu unseren Bedingungen. In aller Gemütsruhe.
Jonas: Darum hast du mich Juri Samarkand auf dem Tablett serviert. Mich ans Messer geliefert.
Belinda: Gott, wenn du es so melodramatisch ausdrücken willst.
Jonas: Der große Coup worum ging's da eigentlich, Kidnapping der Gipfelteilnehmer.
Belinda: Ah, nicht doch. Das ist Altmafia-Stil. Überholt. Uninteressant. Die Gipfelteilnehmer sollten abgehört werden.
Jonas: Wanzen?
Belinda: Ach was. Jeder Gipfelmensch hätte seine Sicherheit***perten mitgebracht, und die hätten jede Wanze gefunden.
Jonas: Also mental. Telepatisch. Durch den Schwarzen Schamanen. Und Jamaro sollte auch dazu gezwungen werden.
Belinda: Genau, Jonas. Und da bist du ganz allein draufgekommen? Ohne Sam?
Sam: Oh da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, doch wie spricht Volkes Stimme, pock, pock, pock, pock, auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn, hick.
Jonas: Sam, halt die Klappe. Ich verstehe, Belinda. Wenn die Kompania weiß, welche Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden, kann sie die richtigen Aktien kaufen, die richtigen Immobilien, in die richtigen Branchen investieren.
Belinda: Und so weiter. Elegant, nicht wahr? Und viel einträglicher als Kidnapping. Komm mit, Jonas. Ich will dir was zeigen.
Sam: Nana.
Jonas: Belinda ging voraus. Zu einem Lift, der nur mit Sonder-Paßscheibe funktionierte. Belinda hatte eine. Wir fuhren nach unten.
Jonas: Aus eurem großen Coup ist ja nun nichts geworden, Belinda.
Belinda: Das verdanken wir dir, Jonas, und diesen sizilianischen Dorftrotteln. Mit denen rechnen wir später ab. Was dich betrifft, Jonas.
Juri Samarkand: Willkommen im Metropole, Jonas. Ich bin der Manager, Juri Samar... was rede ich da, äh das wissen Sie doch. Es scheint mein Schicksal zu sein, Sie immer wieder willkommen heißen zu müssen. Äh, treten Sie nur näher. Meinen Freund Utschym Schetan kennen Sie ja bereits.
Jonas: Sam. Gehirnblockade.
Sam: Wüßte nicht, was es da viel zu blockieren gäbe, Kumpel. Piep. Okay. Blockade steht.
Jonas: Om mani padme hum.
Sam: Om mani padme hum.
Jonas: Samarkand. Ein bewaffneter Bodyguard. Und der Schamane. Sie saßen hinten. An der Wand der großen Halle. Offensichtlich eine Garage. Vor einer anderen Wand standen drei antike LKW. Alte Autoteile lagen herum. Es roch nach Öl und Benzin.
Belinda: Ein historisch getreuer Nachbau der Garage in der North Clark Street, Chicago. Wo das berühmte Massaker am St. Valentinstag stattfand.
Juri Samarkand: 1929, am 14. Februar. Al Capone - Ihnen ist das zweifellos bekannt, Jonas - Capone hat sich damals seiner schärfsten Konkurrenten entledigt.
Jonas: Om mani padme hum, Om mani padme hum.
Sam: Om mani padme-he, Om mani padme-he.
Jonas: Immer wieder sagte ich leise das buddhistische Mantra auf. Vorsichtshalber. Falls Sams Blockade meiner Hirnfrequenzen nicht 100prozentig wirkte. Und der Schamane doch den einen oder anderen meiner Gedanken lesen konnte. Danach sah es allerdings nicht aus. Utschym Schetan wirkte verunsichert. Er schüttelte den Kopf. Rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Schließlich griff er sich die Trommel. Und klopfte ein bißchen darauf herum.
Juri Samarkand: Das wird der Höhepunkt unserer Einweihungsfeierlichkeiten, Jonas. Eine szenische Darstellung des Massakers. Dafür hätten wir gerne Al Capones Original-Automobil benutzt, aber da die Besitzer sich nicht davon trennen wollten, haben wir’s nachbauen lassen. Besetzt wird es von ein paar schauspielerisch begabten Exekutivorganen in unseren Diensten. Wir erhoffen uns eine umwerfende Performance, einen grandiosen Event.
Belinda: Und daran, finde ich, sollten wir Jonas teilhaben lassen.
Juri Samarkand: Jonas teil... ahaha, als Opfer, ausgezeichnete Idee, meine Liebe. Aber nicht bei der eigentlichen Vorführung. Wenn unsere prominenten Gäste hier sein werden, um die Show mitzuerleben. Das könnte zu Problemen führen. Zu unwillkommenen Fragen.
Belinda: Bei der Generalprobe. Jetzt gleich. Da sind wir ganz unter uns. Deshalb habe ich ihn doch hergebracht.
Juri Samarkand: Sehr gut. Boris, gehen Sie raus auf den Hof, wo der Cadillac steht. Bei der Probe sollen unsere Gangster ihre Tommyguns mit scharfer Munition laden. Eigens für Jonas.
Boris: Si Commodore.
Jonas: Bodyguard Boris entschwand nach hinten. Wo eine Rampe nach oben führte. Inzwischen wurde der Schamane immer unruhiger. Er ahnte, daß gleich was schlimmes p***eren würde. Jonas wurde an die gegenüberliegende Garagenwand gestellt. Juri grinste. Belinda lächelte. Ich stand da. Om mani padme hum. Eine Minute verging. Eine sehr lange Minute. Dann drückte Juri auf einen Schalter an der Wand. Über der Rampe leuchtete ein grünes Licht auf. Onkel Als Panzer-Cadillac rollte die Rampe herunter. Blieb stehen. Die Türen öffneten sich.
Juri Samarkand: Da! Da steht Jonas! Erschießt ihn!
Jonas: Zwei Gestalten waren aus dem Wagen gestiegen. Zwei Frauen in schwarz. Die Nonna. Und Nichte Alessandra. Ihre Maschinenpistolen richteten sie nicht auf Jonas. Sondern auf Juri. Auf Belinda. Und auf den Schamanen.
Juri Samarkand: Idioten! Nicht hier! Da drüben! nein, ah...
Belinda: Ah, ah...
Jonas: Sie feuerten. Bis die Magazine leer waren. Don Toni im Cadillac ballerte begeistert mit. Juri und Belinda lagen auf dem Betonfußboden. Wie zwei Haufen blutiger Lumpen. Utschym Schetan nicht. Er stand noch. Irritiert. Verwirrt. Aber unverletzt.
Nonna: Der Kerl ist kugelfest!
Jonas: Sowas hatte ich mir gedacht. Und ein Messer eingesteckt. Ich ging durch die Halle. Vorbei am Cadillac. An den Malavitas. Zum Schamanen. Ich sah in seine bösen schwarzen Augen. Ich dachte an Jamaro... Ich ging über die Rampe. Durch den Hof. Im Schatten lagen Leichen in Gangsteranzügen. Männer der Kompania. Die Malavitas hatten sie getötet, um ihre Rollen zu übernehmen. Ich ging weiter. Durch eine Unterführung. Eine dunkle Gasse. Und stand plötzlich auf dem Markgrafenboulevard. Hell. Laut. Bunt. Voller Menschen. Voller Leben.
Jonas: Om mani padme hum. Das war’s, Sammy.
Sam: Jaja, dideldum, gut gelaufen, Chef. Wie geplant und berechnet. Die Bösen sind tot. Wir haben überlebt, jajaha, alles bestens.
Jonas: Happy End, Sammy, hm, trotzdem fühle ich mich mies. Wegen Jamaro? Wegen Belinda? Oder weshalb?
Sam: Ja, das ist der Blues, Alter.
Jonas: Und was tut man dagegen?
Sam: Ja, was tut man dagegen. Pillen. Schnaps. Drugs. Durchdrehen. Schlafen. Den Löffel abgeben. Puhu, huhuhu huhuhuhu huhuhuhu, huhuhuhu...äh
Jonas: Jonas schaltete Sam ab. Und ging nach Hause.
Das war Mafia. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Kornelia Boje, Nils Clausnitzer, Jens Holger Kretschmer, Doris Schade, Mark Oliver Schulze und andere (Irina Wanka, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:35
Wildwest
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Wildwest
Holo: Als das in Babylon erfolgreichste und beliebteste Holoformat des vergangenen Jahres hat sich noch vor Schwarze Dahlie, der Serienmörder der Woche die von Supermedia produzierte Kain-und-Abel-Show erwiesen. Eine schlichte Grundidee: fünf Freiwillige werden zusammengesperrt und eliminieren sich gegenseitig, bis nur noch eine Person übrig bleibt, und eine aufwendige Produktion in wechselnden Szenarien, erwähnt seien hier nur die römischen Gladiatorenspiele im Amphitheater, der Wüstenplanet oder die Schlacht von Stalingrad. Diese Mischung kam offenbar an. Damit hat wieder einmal Supermedia den begehrten Big Brother gewonnen.
Waldorf: Glückwunsch, Beringer, das war doch Ihre Idee, die Kain-und-Abel-Show. Beringer!
Beringer: Äh, was?
Waldorf: Sie hören mir nicht zu.
Beringer: Verzeihen Sie, teuerste Waldorf, ich war in Gedanken.
Waldorf: Und woran dachten Sie so intensiv?
Beringer: An Jonas.
Waldorf: Den letzten Detektiv?
Beringer: Ich denke oft an Jonas, sehr oft, ich hasse ihn, er hat mich reingelegt, er hat mich blamiert, gedemütigt.
Waldorf: Mich etwa nicht? Diese Weltkriegsgeschichte zum Beispiel. Wann war das? 2013?
Beringer: Im Oktober 2012. Vor drei Jahren und vier Monaten.
Waldorf: Wie würde Jonas sich wohl in der Kain-und-Abel-Show machen. Gut, nehme ich an.
Beringer: Würden Sie auf ihn wetten, Waldorf?
Waldorf: Auf seinen Sieg? Warum nicht. 10 Millionen Euros?
Beringer: 20.
Waldorf: Auch gut. Jonas wird sich allerdings kaum freiwillig für die Show melden.
Beringer: Das lassen Sie meine Sorge sein. Immerhin bin ich der Produzent der Show.
Holo: O großer Adolf Beringer von Supermedia. Exzellent. Eminenz. Durchlaucht.
Beringer: Schon gut. Stell fest, wo Jonas sich zur Zeit aufhält. Jonas, nur Jonas, der sogenannte letzte Detektiv.
Jonas: Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv, hielt sich an diesem 12. Februar 2016 in der Luft auf. Hoch über dem Atlantik, im Flieger nach Babylon, mit Sam, seinem redegewandten ratspendenden Supertaschencomputer.
Jonas: Good by, America.
Sam: Und tschüs, Traumschiff und Totentanz. Nie mehr Parapsychologie, nie mehr Schamanin.
Jonas: Adios, Jamaro.
Sam: Astalavista baby. Vergiß sie, du Traumtänzer, kuck nach vorn. Babypsilon, wir kommen. O Babylon, City of light, city of magic.
Jonas: Ansichtssache, Sammy. Auf jeden Fall wird das Leben etwas ruhiger werden, vorhersehbarer, normaler.
Sam: Glaubste?
Jonas: Ein gewaltiger Irrtum. Aber ich hatte ja keine Ahnung von der Kain-und-Abel-Show und von dem, was Beringer und Waldorf ausgeheckt hatten. Deshalb schwante mir auch nichts böses, als mich die junge Frau ansprach im Aerodrom von Babylon. Ansprach ist nicht ganz richtig, weil sie Jonas anrempelte.
Jespersen: O, tut mir leid.
Jonas: Und dann anhimmelte.
Jespersen: Aber, das, das kann doch nicht wahr sein, Sie sind Jonas, der letzte Detektiv, unverkennbar. Ich hab Sie im Holo gesehen und dabei hab ich mir gedacht, den würdest du gern mal kennenlernen und jetzt fall ich über Sie.
Jonas: Was wollen Sie, ein Autogramm?
Jespersen: Am liebsten würde ich mich mit Ihnen hinsetzen, was trinken, reden, leider habe ich überhaupt keine Zeit, ein dringender Termin. Wissen Sie was, Sie wohnen doch irgendwo im Osten.
Jonas: Ost-Zentral.
Jerspersen: Wunderbar. Ich nehm Sie mit und bring Sie nach Hause in meinem Helikopter. Da können wir uns unterhalten.
Jonas: Der Helikopter gehörte Supermedia, der großen Holoproduktion, so stand’s dran.
Jespersen: Ja, ich bin im Hologeschäft. Produktions***stentin. Meine Karte.
Jonas: Jytte Jespersen. Zweimal J. Sehr gut.
Jespersen: Sagen Sie Jytte zu mir. Ein Whisky? Kein Synth, echter Scotch.
Jonas: Oh.
Jespersen: Gingin, auf unsere Bekanntschaft, Jonas. Und auf Ihr Wohl.
Jonas: Danke.
Jespersen: Ich bin gerade unterwegs zu unseren Studios, den neuen, in der Wildnis, östlich von Babylon, wo wir alle unsere Shows drehen. Noch ein Whisky?
Jonas: Ich, ich weiß nicht, was ist los mit mir, im Whisky, was war im Whisky?
Jespersen: Machen Sie sich keine Gedanken, alles ist in Ordnung, ja, ja, so ist’s recht. Legen Sie sich hin und schlafen Sie ein bißchen.
Jonas: Nein, will nicht schlafen.
Jespersen: Tun Sie’s für mich. Schlafe mein Jonas, schlaf ein.
Jonas: Ich war wieder in Costaguana. Im Regenwald. Es war dunkel, kein Lichtstrahl drang durch die dichten Baumkronen. Ich konnte nichts sehen, aber hören konnte ich. Der schwarze Schamane trommelte wie besessen, immer lauter. Plötzlich brach er ab und ebenso plötzlich verschwand der Dschungel. Es wurde hell. So hell, daß ich die Augen zukneifen mußte.
Earp: Da! Da ist er, der Pferdedieb.
Sam: Sicher Marshall?
Earp: Ja sicher bin ich sicher. Ich kenn doch meinen Gaul.
Jonas: Ich hörte Stimmen. Eine davon kam mir sehr bekannt vor.
Earp: Steh auf, du Bastard.
Sam: Immer mit der Ruhe, Marshall, Sie brechen sich die Zehen.
Jonas: Ich lag auf Sand. Im Kreis um mich ein paar Männer auf Pferden. Pferde? Es gab keine Pferde mehr. Die Männer kamen vom Kostümfest. Alle im Wildwest-Outfit. Auch die zwei, die offenbar abgestiegen waren und neben mir standen. Der eine hielt mir einen riesigen Revolver vors Gesicht und trat mir mit seinen schweren Stiefeln in die Rippen. Das gefiel mir nicht. Der Kerl selbst auch nicht. Knicknase, Schnauzbart, roter Cowboyhut, Marshallstern am Flanellhemd. Der andere trug schwarz, vom Hut bis zu den Schuhen. Nach allen Regeln war er der Böse und der Marshall natürlich der Gute, aber das glaubte ich nicht.
Earp: Machen wir kurzen Prozeß, Männer, hängen wir ihn auf, gleich hier.
Sam: Aufhängen? OK, Marshall, und wo hatten Sie gedacht?
Earp: Am nächsten Baum natürlich.
Sam: Natürlich. Und wo sehen Sie hier mitten in der Wüste einen Baum?
Jonas: Das hatte ich noch nicht erzählt. Wir waren in der Wüste. Die Sonne brannte. Um uns nur Sand und Felsen, kein Strauch, erst recht kein Baum, ein paar grau-grüne Kakteen. Die Stimme des Schwarzen ließ mir keine Ruhe. Ich kannte sie, ich kannte sie sehr gut.
Earp: Ja, was machen wir denn da? Sollen wir ihn erschießen?
Sam: Erschießen? Ach du meine Güte, kommt gar nicht in die Tüte. Pferdediebe werden aufgehängt, allso dekretiertes ehernes Gesetz des Westens. Ich sag Ihnen was, Marshall.
Earp: Ja?
Sam: Wir fesseln ihn und nehmen ihn mit. Vielleicht finden wir ja unterwegs einen Baum.
Earp: Ja, gute Idee.
Sam: Und wenn nicht, hängen wir ihn in der Stadt. Das macht auch mehr Spaß, hehehe. Viel mehr Zuschauer.
Earp: OK, Doc.
Jonas: Hab ich schon gesagt, daß ich genauso aussah wie die Typen vor mir. Buntkariertes Hemd, Jeans, Stiefel, Stetson, rot, und ein Gürtel mit zwei Revolvern, aber den nahmen sie mir weg, bevor ich damit was unternehmen konnte. Dann fesselten sie mir Arme und Beine und legten mich quer über einen Gaul vor den Sattel. Das Pferd gehörte dem Schwarzen, Doc Holiday. Er stieg auf.
Earp: Männer, ihr habt gehört, was Doc Holiday gesagt hat, zurück nach Tombstone.
Jonas: Es ging los, durch die Wüste. Ich versuchte mir über meine Situation Gedanken zu machen. Unmöglich. Der Gaul wackelte, mein Kopf hing nach unten, und kein guter Rat von Sam, statt dessen plötzlich eine Stimme im Ohr, genauer im kleinen Knopf, den ich im rechten Ohr trug.
Waldorf: Hallo Jonas, willkommen im Wilden Westen.
Jonas: Wer sind Sie?
Waldorf: Wir kennen uns. Waldorf. Astoria Waldorf.
Jonas: Die Chefin von Multipharm.
Waldorf: Sie erinnern sich, das freut mich.
Jonas: Ich erinnerte mich an die Fälle Spielwiese und Westfront, vor fünf und vor dreieinhalb Jahren. So wie es damals gelaufen war, konnte die Dame Waldorf nicht gerade viel für Jonas übrig haben.
Waldorf: Wo denken Sie hin, Jonas, im Gegenteil. Sie sind mein Champion. Ich habe auf Sie gewettet, eine Menge Euros. Lassen Sie mich nicht im Stich.
Jonas: Gewettet? Mit wem?
Waldorf: Mit Adolf Beringer natürlich, mit dem wette ich am liebsten, das wissen Sie doch.
Jonas: Ist das wieder so ein Spiel wie damals bei Westfront, nur daß Sie sich diesmal den Wilden Westen ausgesucht haben?
Waldorf: Nicht ganz, heute agieren Sie in der Öffentlichkeit. Ganz Babylon schaut Ihnen zu, na jedenfalls 20 Prozent. Halten Sie sich fest, Jonas, Sie sind auf Sendung, Sie sind in der Kain-und-Abel-Show.
Jonas: Daher die vielen kleinen schwarzen Punkte, die wie Hummeln in der Luft herumschwirrten. Microcams. Mir fiel was ein. Jonas ist kein Holofan, aber das wußte er, in der Kain-und-Abel-Show treten nur Freiwillige auf.
Waldorf: Sehr richtig, Jonas, und Sie haben sich freiwillig gemeldet, laut Beringer.
Jonas: Das ist mir neu. Wenn ich jetzt laut um Hilfe rufe und erkläre, daß man mich gegen meinen Willen in die Show gebracht hat.
Waldorf: Schaltet die Regie sofort um, auf einen anderen Schauplatz, dafür hat Beringer gesorgt. Die interaktive Verbindung zwischen Ihnen und dem Publikum ist eingeschränkt. Nur ich kann mit Ihnen reden, und Beringer, wenn er nicht gerade wie jetzt ein Nickerchen macht, er ist nicht mehr der jüngste, das wissen Sie ja, und darum hat er keine Ahnung, daß ich Ihren Computer Sam ins Spiel eingebracht habe.
Jonas: Sam. Aber natürlich, die bekannte Stimme, Doc Holiday.
Waldorf: Ist ein Android, und Sam ist in sein Programm eingestiegen.
Sam: Ah, da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.
Jonas: Sammy, du als Revolverheld Doc Holiday.
Sam: Na und, steht mir doch prächtig, der Typ, mysteriös, gefährlich, und extrem gut aussehend. OK, keine Zeit zum Plauschen, Genosse, der Grimmepreis, Korrektur, der grimme Greis wird in Bälde erwachen. Also dann paß mal auf. In der Kain-und-Abel-Show gibt’s fünf Menschen, ne, fünf Konkurrenten bzw. Kandidaten, von denen am Schlunz nur noch ein einziger übrig bleiben wird, ja, was ansonsten hier so kreucht und fleucht, Cowboys, Pferde und so weiter, alles Statisten, Androiden oder Biomaschinen, die kannste vergessen, weil die können dir nicht gefährlich werden.
Jonas: Nur die vier Menschen, verstanden, aber woher weiß ich, wer Mensch ist und wer Android?
Sam: Pst. Siehe da, ich verrate dir ein großes Geheimnis. Nur Menschen tragen rot auf ihren Häuptern.
Jonas: Rote Hüte, wie Jonas. Und der Marshall.
Sam: Marshall Wyett Earp, yes indeed, ein Mensch, und in sofern ein Feind meines geliebten Jonasses.
Jonas: Darum war er so scharf drauf, mich aufzuhängen.
Sam: Darauf ist er immer noch scharf, und er wird’s auch tun, sofern mein Herr und Meister nichts dawider unternimmet.
Jonas: Was denn? Ich bin gefesselt, auf deinen Vorschlag, wenn du dich erinnerst.
Sam: Wenn keine Microcam in der Nähe ist, steck ich dir ein Messer zu, schneid die Fesseln durch, zieh meinen Revolver aus dem Halfter, schmeiß mich vom Pferd.
Jonas: Mit Vergnügen, vor allem letzteres, und dann?
Sam: Erschießt du Wyett Earp.
Jonas: Einfach so.
Sam: Einfach so. Bum, und er fällt um.
Jonas: Nein, Sam, das tu ich nicht, nur in Notwehr.
Sam: Ach du liebes Meingottchen, weich ist das Herz, schwach der Verstand, so ist mein Jonas weithin bekannt. Willst du denn nicht siegen?
Jonas: Ich will am Leben bleiben Sammy.
Sam: Jaja, haha, da sehe ich schwarz, wenn du so pingelig bist. OK Partner, dann galoppiere hinfort, so schnell es denn geht. Na, das wirst du doch wohl noch hinkriegen, oder?
Jonas: Aber sicher. Ich galoppierte hinfort. Earp und seine Kumpane ballerten hinter mir her und ritten mir ein Stück weit nach, beides brachte ihnen nichts, eine halbe Stunde später war Jonas allein und zuckelte auf Holidays Gaul mehr oder weniger gemütlich durch die Landschaft, bis er jäh aufgeschreckt wurde.
Sam: Alarm, Alarm, hojejeto.
Jonas: Sam?
Sam: Ja wer denn sonst, der Weihnachtsmann?
Jonas: Wo steckst du, ich seh dich nicht.
Sam: Du siehst mich wohl, allein dir fehlt Verständnis, denn wahrlich, Sam hat sie zeitweilig verlassen die Androidenhülle des Dr. med. Holiday, um sich, igitt, pfui Teufel, in einem Rosse niederzulisten, ich meine einzunisten, was tut ein treuer Computer nicht alles für seinen Gebieter.
Jonas: Oh, als Gaul gefällst du mir richtig gut, Sammy, da kann ich dir doch mal ordentlich die Sporen geben.
Sam: Aua, was im Augenblick auch durchaus eigentlich angebracht, wenn nicht gar ratsam wäre, wieher, richte den Blick nach links, Falkenauge.
Jonas: Diese Figuren auf dem Höhenzug.
Sam: Ja, sind mitnichten Präriehunde, auch nicht Kojoten oder Stinktiere, vielmehr.
Jonas: Indianer?
Sam: Apuchen, Apachen, die wildesten und blutdürstigen der roten Männer. Wieher. Ihre Gefangenen pflegen sie stundenlang über kleinem Feuer zu rösten, eine ausgesprochen unsoziale Angewohnheit.
Jonas: Los, Sammy, schneller, noch schneller.
Sam: Wenn es denn ginge, faul ist der Gaul, vielmehr arbeitsam, doch leider.
Jonas: Mach, mach.
Sam: Ich kann nicht... mehr.
Jonas: Halt durch, Sammy, nur noch ein paar Meter, bis zu den Felsen da vorn.
Jonas: Die Indianer kamen immer näher, vorne weg der Häuptling mit rotem Stirnband und roter Feder, sie heulten wie die armen Seelen im Fegefeuer und sie schossen mit Flitzbogen, mich trafen sie nicht, aber der arme Gaul sah bald aus wie ein Stachelschwein. Am Fuß der Felsen brach er zusammen, Jonas ging hinter ihm in Deckung, die Indianer hielten, etwa 100 Meter entfernt.
Sam: Es geht nicht mehr, Partner.
Jonas: Sam.
Sam: So long, und vergiß mich nicht.
Jonas: Sammy.
Sam: Es hängt ein Pferd zur Hälfte an der Wand.
Jonas: Wunderbar. Ich werde gleich massakriert, und du singst in aller Gemütsruhe Schlager schlecht daher, sag mir lieber, was ich tun soll.
Sam: Na was, schießen du Depp, du hast doch einen Colt.
Jonas: Mit sechs Patronen, für einen ganzen Indianerstamm, großartiger Rat. Die Kavallerie!
Sam: Ja das wurde auch Zeit.
Jonas: In einer Staubwolke kamen sie angeprescht, gut 20 Reiter in blauen Uniformen, angeführt von einem Kapitän, der trug gegen jede Armeevorschrift eine knallrote Baseballkappe. Mit seinem Karabiner feuerte er sofort auf den Häuptling der Apachen, was dem nicht gut bekam, er fiel um, aber im Fallen ließ er noch einen letzten Pfeil fliegen. Sein Stamm ergriff die Flucht, verfolgt von der Kavallerie. Indianer und Soldaten verschwanden am Horizont. Zurück blieben ein toter Häuptling, ein toter Kapitän mit einem Pfeil in der Brust, ein toter Gaul, und ein lebendiger Jonas. Ganz allein auf weiter Flur.
Waldorf: Sie irren, Jonas, ich bin doch bei Ihnen, mein Champion. Bisher bin ich sehr zufrieden, zwei ihrer Konkurrenten, Häuptling und Kapitän sind erledigt.
Jonas: Nicht von mir, Frau Waldorf.
Waldorf: Das spielt doch keine Rolle. Jetzt noch mal zwei und Sie sind der Sieger. Weiter so.
Jonas: Das sagt sich leicht, wenn man zuhause sitzt und sich den Wilden Westen auf dem Monitor ansieht, Jonas mußte laufen, über Stock und Stein, durch Sand und Geröll, ein verwitterter Wegweiser tauchte auf. Tumbstone, 3 Meilen. Die Sonne stand noch immer hoch, als ich in Tumbstone ankam, im Holoszenario war es ständig zwölf Uhr mittags, High Noon. Jonas hielt Ausschau nach roten Hüten, weit und breit keiner zu sehen, gut so. Ich steuerte einen Salon an, Crystal Palace, nannte er sich großspurig. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Kronleuchter, Spiegel, und nackte Frauen in Öl, betrunkene Cowboys, Spieler, ein elektrisches Piano, und eine Schwadron von Tanzmäusen, die ihre Beine zeigten und sich in den Pausen an die Gäste ranmachten.
Kate: Hey, gibst du mir einen aus, Fremder?
Jonas: Wenn du mir eine Flasche Whisky von der Bar holst, kannst du mittrinken.
Kate: Oh, gleich ne ganze Flasche, hast du denn soviel Geld, Fremder?
Jonas: Gute Frage. Jonas suchte und fand in der Hosentasche ein Bündel Dollarnoten. Alles klar. Die Flasche kam, mit zwei Gläsern, und es kam noch was, noch wer.
Kate: Doc? Doc Holiday? Ich dachte, du bist in Dodge City?
Sam: Denk nicht so viel, Kate Darling, sonst wird deine Nase noch länger, hahaha.
Kate: Oh.
Sam: Ich bin deinetwegen zurückgekommen, Jonas, Partner, alter Junge, um dich zu warnen, Marshall Wyett Earp ist draußen und wartet auf dich, am OK Corell.
Kate: Eye, ihr zwei kennt euch?
Jonas: Klar kenn ich ihn, schon lange. Doktor Samuel Holiday.
Kate: Samuel? Du heißt Samuel, Doc?
Sam: Haha, manchmal Kate. Hör zu Jonas, wenn du die Sache mit Earp jetzt ausfechten willst, dann komm ich mit, OK.
Jonas: Langsam Sammy, immer mit der Ruhe, erst austrinken und dann...
Sam: Da an der Tür, Billy the Kid, geht in Deckung Leute, mit dem hab ich noch ne Rechnung offen.
Jonas: Die flotte Kate tauchte unter den Tisch, in Windeseile, Jonas auch, oben knallte es, an der Tür brach einer zusammen. Wir kamen wieder hoch, langsam und vorsichtig.
Sam: Auf dein Wohl, Billy. Mögest du in Frieden ruhen.
Jonas: Prost.
Kate: Ging Ging. Hust Hust. Ah...
Sam: Jaja, auf dein Wohl Kate, mögest auch du in Frieden etcetera pp.
Jonas: Die Frau ist tot.
Sam: Na klar mein Alter. Hat ja auch deinen Whisky getrunken, will sagen, den Whisky aus deinem Glas.
Jonas: Aus meinen Glas, aber wieso?
Sam: Ich hab die Gläser vertauscht, sie hat nichts gemerkt, weil sie sich den Tisch von unten angekuckt hat.
Jonas: Vertauscht, warum?
Sam: Wirf doch mal einen scharfen Blick auf sie, du scheelsichtige Blindschleiche, was, so frage ich, trägt sie auf ihrem wenig schönen Haupt, Fragezeichen.
Jonas: Nichts.
Sam: Haare. Rote Haare. Na?
Jonas: Ach so.
Sam: Ja, ist es endlich gefallen das 10-Cent-Stück. Merke, wer anderen Gift in den Whisky tut, kommt selbst drin um. Poetische Gerechtigkeit nennt man dieses, also Nummer drei geschafft, bleibt nur noch Wyett Earp, und diesmal bitte keine Skrupel, du Weichei, wenn du ihn nicht erledigst, erledigt er dich, hm, Hauruck, Sam hat gesprochen.
Jonas: Gemessen schritten wir die Hauptstraße von Tumbstone entlang, Richtung OK Corell, Jonas und Doc Holiday, alias Computer Sam.
Jonas: Das stimmt hinten und vorne nicht, Sammy.
Sam: Was belieben euer Gnaden zu meinen?
Jonas: Beim berühmten Gunfight am OK Corell war Doc Holiday an der Seite seiner Freundes Wyett Earp, das weiß jedes Kind, wenn es schon mal einen Western gesehen hat.
Sam: Naja, künstlerische Freiheit, Herr Bettmesser, wir kleben nicht am Stoff, wir erheben uns leicht und locker über ihn. Ist es nicht zu und zu schön, Victor Mature war Doc Holiday.
Jonas: Wer?
Sam: Na sogenannter Filmstar, Mitte 20. Jahrhundert. Kirk Douglas war Doc Holiday, und jetzt ist Sam Doc Holiday, voll kraß Wahnsinn, wa?
Jonas: Wir sind da Sam, am OK Corell. Wer nicht da, ist Wyett Earp, oder?
Sam: Hinter dir, auf dem Dach.
Jonas: Ich drehte mich um, schoß, ein Reflex, vom Dach des Schuppen stürzte ein Mann zur Erde, blieb liegen, regungslos, Blut floß in den Staub, Blut, so rot wie der Hut des Toten.
Holo: Und damit ist Sie für heute zu Ende, unsere Kain-und-Abel-Show, meine Damen und Herren, liebe Kinder, schalten Sie nicht weg, schalten Sie nicht ab, nach einer ganz kurzen Werbepause bringt Supermedia Ihnen Sexytrends, die tolle Erotikshow, also dranbleiben, wir sehen uns bei Supermedia.
Jonas: Hallo? Wie geht’s weiter? Was wird aus mir? Hey, holt mich hier raus!
Jonas: Im Wilden Westen herrschte absolute Stille, die Microcams waren verschwunden, Doc Holiday stand neben mir, steif und leblos wie eine Schaufensterpuppe. Supermedia hatte uns den Saft abgedreht, die Show war vorbei. Jonas hatte gewonnen, aber das schien keinen zu interessieren.
Beringer: Nicht doch, mein Allerwertester, the show will go on, the show must go on.
Jonas: Beringer.
Beringer: Beringer.
Jonas: Ihre Wette mit Waldorf haben Sie verloren, Beringer.
Beringer: Wenn Sie wüßten, wie egal mir das ist, mein lieber, die paar jämmerlichen Millionen habe ich gern investiert, denn nicht wahr, die Hauptsache ist doch, ich habe Sie in der Hand, mein Bester. Und jetzt geht die Show erst richtig los.
Waldorf: Achtung, Jonas, gehen Sie in Deckung.
Jonas: Das ist gegen die Regeln, Beringer, Helikopter und MGs haben im wilden Westen nichts zu suchen.
Beringer: Jetzt spielen wir nach neuen Regeln, Jonas, nach meinen Regeln, und dieses Spiel werden Sie nicht gewinnen. Sie sind ein toter Mann.
Waldorf: Nicht aufgeben, Jonas, wehren Sie sich, kämpfen Sie, Sie sind doch mein Champion. Die Wette gilt nämlich immer noch, meine gewonnenen 20 Millionen gegen 200 Millionen von Beringer, enttäuschen Sie mich nicht, es geht um mein Geld, und um ihr Leben.
Jonas: Das weiß ich selbst, Frau Waldorf, wenn Sie Ihre Wette gewinnen wollen, helfen Sie mir, sagen Sie mir, wo’s rausgeht aus dem Wildwestszenario.
Waldorf: Aber gern. Sehen Sie das Bestattungsinstitut rechts an der Straße? Da gehen Sie rein und durch die Hintertür wieder raus.
Jonas: Wenn’s sein muß, kann Jonas sehr schnell sein, wenn ein MG aus einem Helikopter auf ihn schießt, zum Beispiel, in Sekunden war ich drin, im Bestattungsinstitut, ein kurzer Blick auf die dort versammelten Särge, hoffentlich kein schlechtes Vorzeichen, dann war ich an der Hintertür, ich machte sie auf, trat durch, machte sie hinter mir zu. Es war dunkel und es war laut. Ich war im Krieg. Schwere Artillerie krachte, Raketen jaulten, Panzerketten dröhnten, MGs knatterten, im Schein der Brände, im Mündungsfeuer der Haubitzen eine bizarre Ruinenlandschaft, hier gefiel’s Jonas nicht, er wollte zurück in den Wilden Westen, aber die Hintertür war nicht mehr da.
Beringer: Stalingrad. Sie sind in Stalingrad, mein Teurer, irgendwann im Winter 1942/43.
Waldorf: Präziser, Sie sind im Szenario der Kain-und-Abel-Show von 2015.
Beringer: Ich hab es wieder anwerfen lassen, eigens für Sie, Jonas, gefällt es Ihnen?
Jonas: Nein.
Beringer: Wollen Sie etwa wieder raus?
Jonas: Ja.
Beringer: Ihr Wunsch, mein Hochgeschätzter, ist mir Befehl. Sehen Sie die Wand mit dem zerfetzten Stalintransparent, etwa 300 Meter vor Ihnen?
Jonas: Ich sehe sie.
Beringer. Davor der Geröllhaufen, und links vom Geröll ist ein Loch, eine Kellerluke, das ist der Ausgang.
Jonas: Und wie soll ich da hinkommen, mitten durch die Kampfzone?
Beringer: Ihre Sache, mein Freund, lassen Sie sich was einfallen. Viel Glück.
Waldorf: Ich habe dafür gesorgt, daß Sie Hilfe kriegen, Jonas, da ist sie schon.
Jonas: Neben mir stoppte ein Panzer.
Sam: Steig auf, dawarisch, dawei, dawei.
Jonas: Den Rotarmisten in verdreckter blutiger Uniform, der mich durch die Turmluke zog, kannte ich nicht, wohl aber seine Stimme.
Sam: Notawarisch, Leben noch frisch?
Jonas: Weißt du, woran ich denke, Sammy?
Sam: Woher soll ich wissen? Zwar weiß ich viel, doch alles weiß ich nicht.
Jonas: So bescheiden kenn ich dich gar nicht. Ich denke an Generalissimus Stalin und seine Nomadenhorde im Niemandsland.
Sam: Haha, Fall Invasion vor 9 Monaten. Aber da war’s ein T54, und jetzt sitzen wir in einem T34. Ein kleiner feiner Unterschied, gelle.
Jonas: Von mir aus, Sammy, halt, hier steig ich aus.
Sam: Do Swidanija, dawarisch Jonas, wie sehen uns.
Jonas: Hoffentlich bald. Erst mal hieß es für Jonas rein ins Kellerloch. Ein paar Meter unterirdischer Stollen, rechts um die Ecke, und Jonas stand plötzlich im Hellen. Ich stand wieder auf Sand, aber diesmal nicht in der amerikanischen Wüste, in einer Art Zirkus, nur daß die Manege nicht rund war, sondern oval. Um das Oval saßen tausende von Zuschauern in mehreren Etagen, in der Manege Artisten, nur Männer, ohne Hosen, statt dessen Röckchen, ansonsten Brustpanzer, Helme, Schilde, Arm- und Beinschienen und Waffen, Schwerter, Dolche, Spieße, damit hackten sie aufeinander ein, das kam mir bekannt vor, vor Jahren war ich mal im Colloseum von Babylon gewesen.
Jonas: Gladiatoren, das sind Gladiatoren.
Beringer: Sehr gut, Jonas, sehr gut. Sie befinden sich in einem altrömischen Amphitheater.
Jonas: Kain-und-Abel-Szenario vor 2 Jahren.
Waldorf: Korrekt. Vorsicht!
Jonas: Die Warnung kam zu spät. Ich lag im Sand, in ein Netz eingewickelt, ein unangenehmer Typ hatte es mir übergeworfen, jetzt kam er näher, mit geschwungen-em Dreizack, die Spitzen glitzerten in der Sonne. Das sah nicht gut aus.
Sam: Nicht verzagen, Sammy fragen. Leg ihn um den Retiarius, streck ihn danieder.
Jonas: Und womit? Mir haben sie keinen Dreizack gegeben.
Sam: Du brauchst ihn nicht, o Jonas mein, hast du doch deinen Colt, zieh, Jesse James, und ziele gut.
Jonas: Sam war diesmal ein Sklave, ein kleiner krummer alter Sklave, der mit einem Besen Sand über die Blutlachen fegte, er sah aus wie ein Idiot, aber sein Rat war gut. Ich zog und schoß, der Dreizacktyp fiel um, mit meinem Boie-Knife schnitt ich mich aus dem Netz.
Jonas: So, wenn mir jetzt mal jemand bitte den Ausgang zeigen würde.
Waldorf: Mit Vergnügen, Jonas, durchqueren Sie die Arena, drüben auf der anderen Seite sehen Sie die Kaiserloge, ziehen Sie sich an der Brüstung hoch und...
Jonas: Hallo? Hallo Frau Waldorf!
Sam: Die Verbindung ist unterbrochen, durch Sir Samuel, alsquier und hochwohlgeboren.
Jonas: Bist du verrückt, Sammy, sie steht auf meiner Seite.
Sam: Ja, das glaubst du, treuherziger Trottel.
Jonas: Aber sie hat doch auf Jonas gewettet.
Sam: Indeed, Sir, und sie will auch gewinnen, doch in allererster Linie will sie was fürs Auge und fürs Herz. Viermal S. Sport, Spiel, Spaß, Spannung. Sie hätte dich cool ins nächste Szenario geschickt. Starwars. Würde mein hochgemut, doch eher niedrigbegabter Jonas sich gerne mit Darth Vader anlegen?
Jonas: Muß nicht sein, Sammy.
Sam: Siehste, na also. Hör auf Sam, der bringt dich raus, raus aus den Holostudios von Supermedia, zurück in die wirkliche Welt. Die kleine Holztür hinter dir.
Jonas: Vor der die wandelnde Eisenwarenmesse steht.
Sam: Der Murmillo, den wirst du totschießen.
Jonas: Werd’ ich?
Sam: Stell dich nicht an, ist nur ein Android.
Jonas: OK, oder bene, wie die alten Römer sagen. Hinter der Tür war ein Fahrstuhl, kein bißchen antik, babylonische Postmoderne. Ich fuhr nach unten, Sam blieb bei mir, nicht als Sklave, das wäre ein Stilbruch gewesen, jetzt war er nur eine Stimme in meinem Ohrkopfhörer. Nicht die einzige.
Beringer: Laufen Sie nur, mein Guter, laufen Sie nur weg, ich krieg Sie.
Jonas: Stell ihn ab, Sam, er macht mich nervös.
Sam: Untergeschoß. Versorgungstrakt. Alles aussteigen, Weiterfahrt per E-Vespa.
Jonas: Drei E-Vespas standen am Fahrstuhl, eine griff ich mir, vor mir öffneten sich zwei Gänge, sauber, indirekt beleuchtet, abgestandene Luft, Sam schickte mich nach links, Richtung Babylon, und Jonas ritt munter fürbaß. Ein Cowboy auf einer Vespa, wenn das kein Stilbruch war. Nach ein paar Kilometern hörte ich was, hinter mir, Verfolger, Beringers Leute vermutlich, ganz allmählich kamen sie näher, ich fuhr rechts ab in einen Seitengang, bis es nicht mehr weiterging, jedenfalls nicht horizontal. Ein enger Schacht führte nach oben, in die Wand waren Stahlklammern eingelassen. Die Verfolger waren nicht mehr weit. Jonas kletterte. Wohin?
Sam: Zu eben jenem Ort, welcher meinem Jonas vorerst ein gewisses Maß an Sicherheit zu offerieren vermag. In den Keller von Holonetwork.
Jonas: Der schärfsten Konkurrenz von Supermedia, keine schlechte Idee, Sammy. Die Frage ist nur, werden Sie Jonas aufnehmen.
Sam: Sie werden, o www Punkt wonnig wuchernde Warze des Weltalls, schon um Beringer eins auszuwischen. Mach die Klappe auf.
Wächter: Halt! Sie betreten das Territorium von Holonetwork. Wer sind Sie? Was wollen Sie?
Jonas: Ich beantrage Asyl. Supermedia ist hinter mir her.
Wächter: Kommen Sie rein.
Jonas: Sie hörte sich an, was Jonas zu berichten hatte. Eine noch junge Frau, modisch kahlgeschoren, mit eleganten goldenen Lacksträhnen auf der nackten Kopfhaut. Jana Jarmilova, Vizepräsidentin von Holonetwork.
Jana: Verantwortlich für Sicherheitsfragen, defensives Marketing und Ranking.
Jonas: Also für den Kampf mit der Konkurrenz.
Jana: Ein vulgärer Ausdruck, wir benutzen ihn niemals. Was Sie mir da schildern, Herr Jonas, klingt nicht uninteressant. Adolf Beringer soll versucht haben, die von seiner Firma produzierte Kain-und-Abel-Show zur Verfolgung eindeutig privat motivierter Ziele zu nützen. Das wäre ein m***ver Verstoß gegen § 17 Absatz 4 der Allgemeinen Wirtschaftsordnung von Babylon. Haben Sie Beweise, Herr Jonas?
Jonas: Ich bin der Beweis.
Jana: Sie können mir viel erzählen. Um gegen Beringer vorgehen zu können, brauchen wir objektives Material. Holobilder, wenn möglich, können Sie die beschaffen?
Jonas: Dazu müßte ich zurück zu Supermedia, zu Beringer und seinen Spielchen, das kommt nicht in Frage, Beringer will mich unbedingt umbringen.
Jana: Ihre Sache, Herr Jonas, Ihr Risiko. Wenn Sie uns wasserdichte, juristisch stichhaltige Beweise liefern, zahlen wir Ihnen 10.000 Euros.
Jonas: Nein.
Jana: Wie Sie wollen, Herr Jonas, Ihr Asylantrag ist abgelehnt. Raus.
Jonas: Moment. 10.000 Euros?
Jana: 12.000.
Jonas: Das muß ich mir überlegen.
Jana: Tun Sie das, Herr Jonas, Sie haben eine halbe Stunde Bedenkzeit.
Jonas: Sehr freundlich. Was sollte ich tun? Eine schwierige Entscheidung, aber sie wurde mir leichter gemacht, durch Adolf Beringer persönlich. Er nahm wieder Kontakt zu Jonas auf, Sam ließ ihn durch, das war gut so.
Beringer: Was soll das sein, mein Bester. Sich bei der Konkurrenz verkriechen, wie jämmerlich, hahaha, und es nutzt Ihnen nichts, nicht das mindeste. Sie kommen doch zu mir zurück und bringen die Sache zu Ende.
Jonas: Ich lasse mich umbringen, meinen Sie.
Beringer: Das will ich doch stark hoffen, mein Guter.
Jonas: Mein Bester, darauf können Sie lange warten.
Beringer: Das glaube ich nicht. Drei Stunden, höchstens, wenn Sie nach Ablauf dieser Frist nicht in den Supermedia-Studios auftauchen, mein Teurer, dann...
Jonas: Was dann?
Beringer: Dann stirbt Chefinspektor Brock eines jähen und unangenehmen Todes.
Jonas: Brock?
Beringer: Brock. Ich habe den Guten in meine Gewalt gebracht, Verehrtester, um Sie zum Kommen zu überreden.
Jonas: Ja sind Sie denn jetzt total ausgerastet, Beringer. Sie kidnappen einen Kripobeamten und drohen ihn zu töten.
Beringer: Der Zweck heiligt die Mittel. Und außerdem, was ist schon so ein mickriger Schreibtischfurzer gegen Ausnahmemenschen wie Beringer oder Jonas.
Jonas: Danke für die Blumen.
Beringer: Keine Ursache. Für Sie, mein Lieber, tue ich alles. Dreimal haben Sie Beringer schlecht aussehen lassen, ein viertes Mal wird es nicht geben, weil es sehr bald Jonas nicht mehr geben wird. Das ist mein Ziel, mein großes Ziel, mein Lebensziel.
Jonas: Sie sind verrückt, Beringer, verrückt wie.
Sam: Wie hundert Hutmacher, wie tausend Märzhasen.
Jonas: Mindestens. Machen Sie mit Brock, was Sie wollen, Beringer, das ist mir völlig egal, schalt ihn ab, Sam.
Sam: Völlig egal, wirklich und wahrhaftiglich? Geh in dich, o Mensch.
Jonas: Was bedeutete mir Chefinspektor Brock. Mein Freund war er nicht, mein Feind auch nicht, er war mein Freundfeind, Feindfreund, immer wieder hatte er Jonas Knüppel zwischen die Beine geschmissen, immer wieder hatte er Jonas geholfen, zuletzt im Fall Invasion, da hatte er mir das Leben gerettet. Ich wollte nicht, aber ich hatte das Gefühl, ich mußte. Beringer war entzückt.
Beringer: Sehr gut, mein Schöner, äh, wollte sagen, sehr schön, mein Guter. Genau das hatte ich erwartet. Wissen Sie, ich habe von meinen zahmen Firmenpsychologen Ihr Persönlichkeitsprofil erstellen lassen, und demnach ist ihr wesentlicher, ihr entscheidender Charakterzug Loyalität. Kommen Sie, mein loyaler Jonas, kommen Sie schnell, der Wilde Westen wartet.
Jonas: Keine Helikopter, Beringer.
Beringer: Niemals.
Jonas: Keine MG’s.
Beringer: Auf keinen Fall.
Jonas: Nur kl***scher Wilder Westen.
Beringer: Nichts anderes.
Jonas: Und Brock lassen Sie laufen.
Beringer: Versprochen. Mein großes Ehrenwort.
Sam: Nana.
Jonas: Wieder war Jonas im Wilden Westen, im Szenario der Kain-und-Abel-Show, diesmal sah ich es anders als vorhin. Klarer. Präziser. Jetzt wußte ich Bescheid. Die Holzhäuser waren aus Plastik. Die Cowboys und die Bürger am Straßenrand waren Androiden, nur Jonas war echt. Er stand mitten auf der Hauptstraße von Tombstone, einen Colt in der Hand und wartete. Ganz hinten, wo die Stadt zu Ende war, tauchte eine Figur auf, kam langsam näher, nicht sehr groß, nicht sehr schlank, der Mann kam mir bekannt vor.
Jonas: Brock.
Sam: Kotzbrock.
Jonas: Das ist Brock.
Beringer: Gut beobachtet, Jonas.
Jonas: Sie haben mir versprochen, ihn freizulassen, Beringer.
Beringer: Ich hab's mir anders überlegt.
Jonas: Ihr Ehrenwort haben Sie mir gegeben.
Beringer: Ach wissen Sie, man muß flexibel sein. Ein Duell Jonas gegen Brock, ist das nicht eine Wahnsinnsidee? Jeder hat einen Revolver, in jedem Revolver steckt eine Patrone, ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann.
Jonas: Und wenn’s keinen Kampf gibt, weil Jonas nicht mitmacht?
Beringer. Dann lasse ich sämtliche Androiden im Szenario auf Sie feuern, mit scharfer Munition, wie ein Sieb werden Sie aussehen, mein Hochgeschätzter.
Sam: Siehste.
Jonas: Und wenn ich Brock umlege, kann ich dann gehen?
Beringer: Wenn Sie mich so direkt fragen, Jonas, das wäre keine wirklich gute Lösung.
Jonas: Ich verstehe.
Waldorf: Bitte nicht kneifen, Jonas, seien Sie ein Sportsmann, tun Sie Ihr Bestes. Ich will meine Wette gewinnen.
Jonas: Und was danach mit mir p***ert, Frau Waldorf.
Waldorf: Geht mich nichts an. Machen Sie das mit Beringer aus.
Jonas: Es sah schlecht aus für Jonas, aber ich hatte ja noch einen Trumpf im Ärmel. Holonetwork. Sam blockte Beringer und Waldorf ab und verband mich mit Jana Jarmilova.
Jonas: Sie haben zugehört, Frau Jarmilova.
Jana: Und zugeschaut, dank der Microcam, die Sie ins Szenario eingeschmuggelt haben, Jonas.
Jonas: Dann haben Sie jetzt genug Material gegen Beringer. Greifen Sie ein, ich will raus. Das hier macht mir schon lange keinen Spaß mehr.
Jana: Durchaus verständlich, Herr Jonas, doch ein Eingriffen unsererseits wäre zu diesem Zeitpunkt inopportun.
Jonas: Was soll das heißen?
Jana: Wir halten es für effektiver, noch ein wenig abzuwarten, bis jemand tatsächlich zu Tode kommt.
Jonas: Jemand?
Jana: Sie oder der Chefinspektor. Am Besten natürlich beide, dann haben wir wirklich was gegen Beringer in der Hand.
Jonas: Sie wollen Brock und mich draufgehen lassen.
Jana: So leid es mir tut. Natürlich sind wir Ihnen dankbar, Herr Jonas, Sie waren uns eine große Hilfe, aber.
Jonas: Der Zweck heiligt die Mittel.
Jana: Sie sagen es. Machen Sie’s gut.
Jonas: Der Trumpf im Ärmel hatte nicht gestochen. Was nun. Jonas brauchte Hilfe. Dringend. Und es gab schließlich noch jemand, an den ich mich wenden konnte, der für Rat und Hilfe zuständig war, und seinem Herrn aufs Wort gehorchte. Immer und überall.
Jonas: Sammy. Sam!
Sam: Hier! Hier bin ich, Majestät, und steh zu Diensten. Wenn alle dich verlassen, Sam bleibt dir ewig treu.
Jonas: Wo hast du gesteckt?
Sam: Mein Gott, die Arbeit, der Streß.
Jonas: Streß? Hast du vielleicht auch Migräne? Verdammt noch mal, die hauen mich hier in die Pfanne und du machst einen Bummel durchs Netz.
Sam: O also das tut weh. Bummel. Migräne. Undankbarkeit, dein Name ist Jonas. Hat Sam ihn nicht geschindet und geschuftet wie ein Berserker, um seinem Herrn eine Überlebenschance zu ermöglichen.
Jonas: Ach wirklich, und was hast du anzubieten?
Sam: Ein Persönlichkeitsprofil, zwei Persönlichkeitsprofile der Herrschaften Beringer und Waldorf. Und was mögen besagte Profile uns wohl verraten, Herr Nachbar.
Jonas: Vielleicht verrätst du’s mir, Sammy.
Sam: Sie sind hier.
Jonas: Beringer und Waldorf?
Sam: Yes, eben dieselben, hier im Wildwestszenario, höchstpersönlich, alldieweil sie den dramatischen Höhepunkt nicht am Monitor erleben wollen, aus zweiter Hand sozusagen, sondern echt, wirklich und real.
Jonas: Da könntest du recht haben, Sammy.
Sam: Könnte? Erlauben Sie mal, Gnädigste.
Jonas: Und wo genau stecken die beiden? Hast du das rausgekriegt?
Sam: Jaja, es war nicht leicht, ich sag es frei heraus, viel Schwitzen und Schwielen hat es mich gekostet, viel Müh und Plag.
Jonas: Jajajajajajajajajaja. Wo stecken sie, Sam?
Sam: Ganz ganz ganz ganz ganz ganz nah, in der ersten Reihe, symbolelisch gesprochen.
Jonas: Wo?
Sam: In der Postkutsche.
Jonas: Jonas stand direkt vor der Wells Fargo Station. Neben der Postkutsche, die vor einer Stunde aus Dodge City gekommen war. In der Kutsche saßen zwei Passagiere. Ein Mann mit Vollbart und dunkler Brille, eine Frau mit großem Schleierhut, Beringer und Waldorf, falls Sam sich nicht irrte, und wie man weiß, irrt sich Sam nur sehr selten. Brock war nicht mehr weit entfernt. Er blieb stehen, wir sahen uns an. In seinen Augen stand: Wirst du schießen, Jonas. Meine Augen fragten zurück: Wirst du schießen, Brock. Jonas hob die rechte mit dem Colt, machte eine Drehung von 90 Grad und war mit zwei schnellen Sätzen an der Postkutsche. Durchs Fenster zielte ich auf den Vollbart.
Jonas: Hände hoch, Beringer. Sie auch, Waldorf. Kommen Sie, Brock, helfen Sie mir, die beiden in Schach zu halten. So, in jeder Waffe ist eine Patrone. Das reicht für Sie beide.
Waldorf: Meinetwegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Jonas, ich stehe auf Ihrer Seite, das wissen Sie doch.
Jonas: Ach ja.
Beringer: Was wollen Sie, Jonas?
Jonas: Raus, mein Guter. Stellen Sie das Szenario ab. Los.
Beringer: Wenn Sie darauf bestehen. Abschalten! Aber das bringt Sie nicht weiter, Jonas, und raus schon gar nicht. Das Studio ist umstellt von Supermedia-Sicherheitskräften.
Jonas: Und Sie Verehrtester, sind umstellt von Jonas und Brock. Ihre Sicherheitskräfte sind neutralisiert.
Beringer: Sie aber auch. Wie geht’s jetzt weiter?
Waldorf: Wie auch immer. Eins steht auf jeden Fall fest. Jonas hat sich durchgesetzt. Das heißt, ich habe unsere Wette gewonnen, Beringer.
Beringer: Wie kommen Sie denn auf die hirnverbrannte Idee, Waldorf? Jonas hat sich vor dem Kampf gedrückt, mit unfairen Methoden. Sie haben verloren, Waldorf.
Waldorf: Die Methoden stehen nicht zur Debatte. Das Ergebnis ist eindeutig. Sie müssen zahlen, Beringer, 200 Millionen, wenn ich bitten darf.
Beringer: Ich denke nicht daran.
Waldorf: Was sind Sie doch für ein widerliches Arschloch.
Beringer: Blöde Kuh!
Waldorf: Seniler Sack!
Beringer: Hysterische Gewitterziege!
Waldorf: Ha!
Jonas: Das war zu viel. Astoria Waldorf holte aus und verpaßte ihrem Wettgenossen ein paar gewaltige Maulschellen, gefolgt von einem rechten Aufwärtshaken. Beringer ging zu Boden, Waldorf trat zu, mehrmals, heftig, Beringer verlor Bart und Brille.
Beringer: Aufhören. Jonas, helfen Sie mir, ich bin ein alter Mann, ich bin krank.
Waldorf: Ein gemeiner *** sind Sie, Beringer, ein Gauner, ein mieses Schwein!
Sam: Wie die letzten Volkrentner im Dipsomaten.
Waldorf: Schuft! Scheißkerl!
Beringer: Ich bin verletzt, ich blute, Hilfe! Der große Adolf Beringer von Supermedia verliert Blut. Ein Arzt. Ambulanz!
Sam: Sehr schön, Herr Beringer, weiter so. Sie haben ein großes Publikum, ein sehr großes. Wir sind nämlich auf Sendung.
Jonas: Was?
Sam: Ja, bereits vor etlichen Minuten hat Sam sich erlaubt, die Microcams zu reaktivieren und ihre Bilder an alle Monitore in Babylon zu schicken. Millionen sehen uns zu, Damen und Herren, Millionen bilden sich eine Meinung.
Stimme: Achtung, Achtung, eine Eil- und Sondermeldung für alle Mitarbeiter von Supermedia. Mit sofortiger Wirkung entbindet der Aufsichtsrat von Supermedia Herrn Adolf Beringer von seinen Aufgaben als Präsident der Firma. Seine Anordnungen sind unwirksam, ihnen ist keinesfalls Folge zu leisten.
Waldorf: Haben Sie gehört, Beringer? Sie sind gefeuert. Supermedia läßt Sie fallen. Sie sind schlecht fürs Image.
Jonas: Damit war die Show vorbei, endgültig. Die Sicherheitskräfte zogen sich zurück. Jonas war frei. Brock wollte Beringer festnehmen, aber Waldorf hatte eine ganz andere Idee.
Beringer: Ich blute, ich bin schwer verwundet.
Waldorf: So ist es, Beringer. Sie sind kampfunfähig. Und nach den Regeln Ihrer Kain-und-Abel-Show stimmt das Publikum über kampfunfähige Mitspieler ab, ob sie endgültig erledigt werden sollen oder weiterleben dürfen. Fragen wir doch die Zuschauer, was wir mit Ihnen machen sollen, Beringer.
Beringer: Nein.
Waldorf: Was meinen Sie, Jonas.
Jonas: Ich gehe, machen Sie das unter sich aus.
Jonas: Wie die Sache ausging, weiß ich nicht. Ich sah zu, daß ich rauskam, raus aus dem Wildwestszenario. Raus aus den Studios von Supermedia. Raus aus der virtuellen Holowelt. Zurück nach Babylon, ins echte grimmige Leben.
Sam: Wenn Sie denn wirklich echt ist, die sogenannte Wirklichkeit. Stellt nicht vielleicht Babylon auch nichts anderes dar, als ein gigantisches Holostudio, in welchem an jedem Tag und in jeder Nacht Millionen von Liveshows ablaufen.
Jonas: Für wen, Sammy? Wo ist das Publikum?
Sam: Ja, irgendwo da oben?
Jonas: Eher ganz unten würde ich sagen.
Sam: Ja, oder vielleicht hinten?
Jonas: Vorne, rechts, links?
Sam: Salomo der Weise spricht: Nichts genaues weeß man nicht.
Das war Wildwest. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Carolin Fink, Achim Höppner, Horst Sachtleben, Katja Schild, Ingeborg Solbrig und andere (Holger Buck, Rena Zednikova, Peter Lersch, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:35
Totentanz
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Totentanz
Wirt: Noch ein Bier, Gringo?
Jonas: Immer mit der Ruhe. Ich hab ja noch was.
Wirt: Hör zu, Gringo, du sitzt jetzt schon zwei Stunden vor einem Bier. Bei solchen Gästen geh ich Pleite. Hau ab, Gringo, verpiß dich.
Jonas: Der Wirt erinnerte mich sehr an seinen Kollegen Jakob vom Casablanca. Genauso umgänglich. Genauso liebenswürdig. Erstaunlich, wo die beiden doch viele tausend Kilometer auseinander waren. Die Cantina saluti pesetas stand nicht in Babylon, sondern in Puerto Porco, im freundlichen Ländchen Costaguana in Südamerika. Sam sagte Costamerda, er war nämlich der Landessprache mächtig und fand es hier genauso schön wie sein Herr.
Sam: Sammy will nach Hause.
Jonas: Jonas auch, Sam. Ich werd’ dich wohl verkaufen müssen.
Sam: Verkaufen? Hör ich recht, wirklich und wahrhaftiglich? Nein, das kann nicht sein, sag, daß es nicht wahr ist, o du mein Jonas.
Jonas: Für meinen Rückflug nach Babylon brauch ich Kohle.
Sam: Nur über meine verkohlte Leiche.
Jonas: Was soll ich denn sonst tun, Sammy, morgen oder übermorgen ist das Geld alle.
Sam: Na und?
Jonas: Als ich Ende September in Costaguana an Land gespült wurde, hatte ich nur ein paar Euros in der Tasche, und die brauchte ich, weil ich mein Jonas-Gesicht wiederhaben wollte. Vorher war ich Jarmomir Jodokus gewesen, 96 Jahre und häßlich wie die Nacht, dank Plastiface. Jetzt hatten wir Oktober. Fall abgeschlossen. Traumschiff Kalispera abgesoffen. Und Jonas hing in Puerto Porco herum, mit seinem vertrauten Gesicht, aber ansonsten am Ende. Der letzte Detektiv pfiff auf dem letzten Loch.
Jonas: Morgen setze ich eine Annonce in das schmutzige Stück Klopapier, das sich hier Zeitung nennt. Gelegenheit. Verbaler Taschencomputer. Nicht mehr ganz neu, aber voll in Schuß. Selbständig und eigensinnig, äh eigenwillig, oder eigenartig, war meinst du, Sam? Was ist besser?
Sam: Sam tritt in den Streik. Kein einziges Wort sag ich mehr, von nun an bis in Ewigkeit. A-me-hen.
Jonas: Wer’s glaubt, Sammy.
Sam: Nein, nicht verkaufen, bitte bitte, heul kreisch schluchzt, was soll Sammy denn tun ohne seinen innigst geliebten Jonas, ein armes Waisencomputerlein wird er werden, einsam in der bösen Welt herumirren wird er, huhuhuhu.
Jonas: Krieg dich wieder ein, Sammy. Ich werd drüber nachdenken.
Sam: OK.
Jonas: Und darüber schlafen, in meinem Zimmer, nicht weit, nur die Treppe hoch. Die Cantina war nämlich auch das Grand-Hotel von Puerto Porco, nettes Zimmer, nicht groß, nicht sauber, bewohnt von Jonas und von vielen kleinen Tieren, munter und bissig. Ich schlief trotzdem ein und hatte einen merkwürdigen Traum. Ich lag im Zimmer, im Bett und schlief. Das war nicht weiter merkwürdig, doch dann flog durchs offene Fenster ein großer bunter Vogel. Mit wunderschönen glänzenden Federn, grün, rot, schwarz. Und als er im Zimmer war, verwandelte er sich in einen Menschen, eine junge Indio-Frau. Lange schwarze Haare. Rotbraune Haut, viel Haut. Bekleidet war sie nur mit ein paar grünen Federn, ein schöner Traum, dachte ich. Ich wachte auf. Sie war immer noch da. Und lächelte mich an.
Jamaro: So siehst du also aus, Jonas.
Jonas: Woher kennen Sie meinen Namen?
Jamaro: Du hast eine gute Aura, Jonas.
Jonas: Ich hätte mir gestern abend doch die Füße waschen sollen.
Jamaro: Deshalb bin ich zu dir gekommen, Jonas. Du wirst uns helfen, das weiß ich.
Jonas: Sie hieß Jamaro, sagte sie und lebte mit ihrem Stamm im Urwald am Fuß des heiligen Berges Juckamanie in Pueblo Mocoron. Ihr Vater war der Kazike. Der Häuptling. Und sie selbst war die Medizinfrau des Stammes, die Schamanin.
Jamaro: Dschilam, sagen wir, das heißt Wahrsagerin, und Tochmen, Heilerin.
Jonas: Sehr erfreut. Jonas, nur Jonas, aber das weißt du ja schon. Privatdetektiv meines Zeichens, der sogenannte letzte, in Babylon, Europa. Zur Zeit gestrandet und weit weg vom Fenster.
Jamaro: Das weiß ich. Du wirst uns helfen. Wir werden dir helfen.
Jonas: Ich kann aber nicht heilen, und wahrsagen schon gar nicht.
Jamaro: Das ist auch nicht nötig. Ich brauche einen Helfer, der tatkräftig ist und entschlossen, der keine Angst hat, einen wie dich, Jonas.
Jonas: Wenn du meinst, Jamaro. Worum geht’s denn?
Jamaro: Wir haben große Probleme mit Bio Global.
Jonas: Aha. Bio Global. Ein Wel***rnehmen. Chemie, Öl, Rohstoffe. Die südamerikanische Filiale saß in Puerto Porco in einem gewaltigen Komplex am Stadtrand, geschützt und gesichert. Jonas kannte Bio Global, mit der Filiale in Babylon war ich mal unschön zusammenger***t. Januar 2012. Vor dreieinhalb Jahren. Das sprach für Jamaro.
Jamaro: Bio Global hat unser Land gekauft, nicht von uns, von der korrupten Regierung in El Dorado, Bio will unsere Bäume abholzen, nach Öl bohren, unsere Erde nach Smaragden durchwühlen. Wir sollen verschwinden, unser Dorf aufgeben, unsere Maisfelder, unseren Wald, unseren heiligen Berg. Mein Vater, der Häuptling, ist nach Puerto Porco gekommen, Bio Global hatte ihn eingeladen, um mit ihm zu verhandelt, aber das war eine Lüge, Bio hält ihn fest und droht ihn umzubringen, wenn wir unser Land nicht aufgeben.
Jonas: Typisch.
Jamaro: Ich bin gekommen, um meinen Vater zu befreien, und dazu brauche ich deine Hilfe, Jonas. In der Stadt ist meine Magie nicht stark genug, zu viel Steine, zu viel Technik, du kennst dich damit aus und du besitzt ein Werkzeug, das künstliche Labyrinthe überwindet und stärkste Barrieren durchbricht.
Jonas: Werkzeug? Ach du meinst meinen Computer. Stell dich vor, Sammy.
Sam: Samuel. Für wilde Weiber, die nur drei Federn am Hintern tragen, Herr Samuel. Sir. Von und zu. Und ein Werkzeug, Verkehrteste, ist man schon gar nicht, man ist ein Hirn, ein Superhirn, es ist der schiere Intellekt, der in dem kleinen Sammy steckt, der pure Geist, der alles weiß, auch jeden Scheiß.
Jonas: Nimm ihn nicht wörtlich, Jamaro. Sam redet gern und viel. Zu viel Sprachprogramme. Aber was Codes angeht und elektronische Sperren, da ist er wirklich ein Ass.
Sam: Man dankt gnädigst.
Jamaro: Komm Jonas, es wird bald morgen.
Jonas: Ich hatte mal eine Hexe gekannt in Babylon, Megan hieß sie, das war keine gute Erfahrung, aber Jamaro gefiel mir. Ihre Art. Ihr knappes Gefieder. Ihr Anliegen. Es ging gegen Bio. Jonas kam mit. – Der Mond schien auf den Bio-Komplex, der Mond und zahllose Scheinwerfer auf hohen Masten. Sie standen rund um einen gewaltigen Betonquader, 50 Meter hoch, mindestens. Keine Fenster, statt dessen Malereien in freundlichen Pastellfarben, putzige Tiere, bunte Blumen. Das war Bios Masche. Vorn sorgte Bio sich um die Umwelt, die sie hinten tatkräftig ausrottete. Eine einzige Tür, davor ein Wächter mit Laserstrahler. Jamaro und Jonas hockten hinter einem Busch und überlegten.
Sam: Abschießen, den Typ. Umnieten. Kaltmachen.
Jamaro: Es ist blutdürstig, das kleine Hirn.
Jonas: Ach was, Sam bläst sich nur auf. Wie meistens.
Sam: Was?
Jonas: Der Mann macht doch bloß seinen Job, Sammy. Auch wenn ich ihn umbringen wollte, womit denn? Hab ich einen Laser, hab ich einen Revolver?
Sam: Ne.
Jamaro: Überlaß ihn mir, Jonas. Er ist ein Indio.
Jonas: Jamaro ging auf den Wächter zu. Er starrte sie an, sie machte eine Bewegung mit der linken Hand, er ließ den Laser fallen, eine zweite Handbewegung, er fiel um und blieb liegen mit offenen Augen.
Jamaro: In zwei Stunden wird er aus seiner Starre erwachen.
Jonas: Das sollte reichen. Jetzt die Tür. Sam?
Sam: Ja?
Jonas: Du bist dran. Beeil dich.
Sam: Hahaha, leicht dahingesagt, euer Klugschwätzen, doch nicht so leicht vollbracht, wer muß sie denn machen die Knochenarbeit, hm, der Knackerei, nicht der kommandiere Herr Chefdetektiv, nicht die wilde Indianerin mit ihrem Hokus-Pokokus, nein, der arme Computer, wer sonst. Das Werkzeug soll sich schinden, o weh, o jäh, das Leben ist hart und zäh.
Jonas: Zu schwer für dich, Sammy?
Sam: Na.
Jonas: Das läßt ein stolzer Computer sich nicht zweimal sagen. Die Tür sprang auf, dahinter ein Foyer, überall Holocams, Standardsicherheitssystem, von Sam sofort infiltriert, wer immer wo immer auf die Monitore glotzte, sah das übliche, leere Räume, Standbilder. Jamaro ging voran, sie wußte, wo ihr Vater steckte, obwohl sie nie hiergewesen war, sie spürte es, irgendwie. Wir fuhren im Lift nach unten, bewegten uns vorsichtig durch Gänge und Sicherheitsschleusen, Sam hatte ordentlich zu tun, dann waren wir da, in einem hellen Raum, weißgekachelt, ausgestattet mit einem Operationstisch, einer Badewanne, einer starken Batterie, diversen Brenn- und Schneidewerkzeugen, auf dem Tisch lag ein alter Indio, angeschnallt, blutig, bewußtlos und unförmig dick.
Jamaro: Mein Vater, Ballam ist sein Name.
Sam: Ballermann?
Jamaro: Das heißt Jaguar.
Sam: Aha, na ja, ein ausgesprochen fetter Jaguar, wenn Sie mich fragen, Herr Doktor.
Jonas: Dich fragt aber keiner, Sam.
Sam: Na denn nicht.
Jamaro: Ein Häuptling ist stattlich, so muß es sein. Sein Leib verkündet seine Würde. Sie haben ihn gefoltert.
Jonas: Offensichtlich. Wie kriegen wir ihn hier raus? Laufen wird er nicht können, und tragen...
Sam: Och jo, 3 Zentner, und das reicht nicht mal. Soll sie doch was zaubern, unsere Miss Hokus-Pokokus.
Jonas: Und das tat sie tatsächlich. Die Fesseln lösten sich, der m***ge Körper des bewußtlosen Häuptlings hob sich ein paar Zentimeter in die Höhe. Levitation nennt man das, und eigentlich gibt es so was nicht. Jamaro zog ihren Vater hinter sich her, wie mit einem starken Magneten, den Weg zurück, den wir gekommen waren. Es ging langsam, Jamaro hatte Mühe, Schweiß trat ihr auf die Stirn, sie bewegte sich im Zeitlupentempo. Als wir den Ausgang erreichten, konnte sie nicht mehr. Papa fiel auf die Erde und blieb liegen. Jamaro lehnte sich schwer atmend an die Mauer.
Sam: Da liegt der alte Häuptling der Indianer.
Jamaro: Es geht nicht mehr, meine Kraft ist erschöpft. Hilf mir, Jonas, hilf mir, meinen Vater nach Hause zu bringen.
Jonas: Wir müssen ihn transportieren. Frage wie.
Sam: Schubkarre.
Jonas: Zu anstrengend und zu langsam. Mir fällt was besseres ein.
Sam: Det glob ich nich.
Jonas: Die Großgarage von Bio lag gleich neben dem Hauptgebäude. Sam knackte die Tür. Innen gab’s eine Menge LKW, ein paar Prunkkarossen und Geländewagen, und eine Harley Davidson, eine 250er mit Beiwagen. Eine echte Antiquität aus dem vorigen Jahrhundert, vermutlich das Spielzeug des Direktors. Ich schob die Maschine raus, mit großer Mühe bugsierten wir den Häuptling in den Beiwagen, der Morgen dämmerte.
Jonas: Uff. Du steigst hinten auf, Jamaro.
Jamaro: Nein, Jonas, ich fahre.
Jonas: Ja kannst du das denn?
Jamaro: Ich habe es in El Dorado gelernt, als ich auf der Universität war. Danke, Jonas, leb wohl.
Jonas: Sehen wir uns wieder, Jamaro?
Jamaro: Möglich ist alles.
Jonas: Du wirst mich noch brauchen, Jamaro, Bio ist noch nicht fertig mit euch. Ich glaub nicht, daß du’s allein schaffst.
Jamaro: Das wird sich zeigen. Wir bleiben in Verbindung, Jonas.
Jonas: Die Harley verschwand in der Tropennacht. Für Jonas hieß es zurück ins Zimmer. Noch eine Runde schlafen, bevor der neue Tag da war.
Wirt: Du brauchst Geld, Gringo.
Jonas: Ach was.
Wirt: Bei Bio Global suchen sie Leute.
Jonas: Ach ja?
Wirt: Spezialisten. Kämpfer. Söldner. Du siehst so aus, Gringo.
Jonas: Wie sehe ich aus, Cantinero?
Wirt: Wie einer, der was vom Töten versteht. Geh zu Bio, Gringo, sie nehmen dich, du kriegst Geld, du bezahlst deine Rechnung.
Jonas: Gute Idee.
Wirt: Eswerdat, Gringo.
Jonas: Also wieder zum Biokomplex, und diesmal bei Tageslicht, offen und legal. Commandante Ramirez, der Sicherheitschef, hatte Zeit für mich. Ein kleiner drahtiger Mann mit Schnauzbart in einer Art Operettenuniform, kurze schwarze Jacke mit silbernen Litzen, wo es sich irgend machen ließ, schwarze Reithosen, blankgewichste Stiefel mit riesigen Silbersporen, auf dem Tisch ein schwarzer Sombrero, groß wie ein Wagenrad, bestückt mit Medaillen und alten Silberdollars. Aber der Typ war moderner als er aussah.
Ramirez: Verstehen Sie was von Robokillern, Senior Jonas?
Jonas: Sie haben Robokiller?
Ramirez: Einen. Aus amazonischen Heeresbeständen, nicht das allerneueste Modell, war jahrelang eingemottet, aber für den Dschungelkrieg programmiert, und insofern mehr als ausreichend. Wir haben es ja bloß mit Indios zu tun, also Macheten, wenn’s hochkommt ein paar alte Schrotflinten, ein Spaziergang. Sie haben mit Robokillern gearbeitet, Senior Jonas?
Jonas: Im antarktischen Krieg. Ich war beim 9. Guerillakommando.
Ramirez: Ah, Respekt. Willkommen bei der Bio-Truppe, Tenjente Jonas.
Jonas: Nicht so schnell, Commandante. Was zahlen Sie?
Ramirez: Ah, der Profi. Das wichtigste zuerst, nicht wahr. Bio Global ist großzügig. 30.000 Peseten gleich 500 Dollar.
Jonas: 1000 Euros. Nicht schlecht.
Ramirez: Pro Woche. Im Voraus. Na, wie sieht’s aus? Morgen früh geht’s los.
Jonas: Morgen schon?
Ramirez: Wir hätten es gern in Ruhe geregelt mit dem Häuptling, aber der ist uns heute Nacht ausgerissen. Keine Ahnung, wie er es gemacht hat, er ist weg, und die Harley vom Chef auch.
Jonas: Was Sie nicht sagen, Commandante.
Ramirez: Das heißt Großeinsatz. Hart und schnell. Robokiller, Helikopter. Alles was wir haben. Machen Sie mit.
Jonas: Si, Commandante, sagte ich. Ich dachte an die Euros, an die Rückkehr nach Babylon, aber vor allem dachte ich an Jamaro, daran daß ich was für sie tun konnte, als Undercover-Agent, als Maulwurf, als fünfte Kolonne. In der Morgendämmerung ging es los, zuerst per LKW, dann als der Wald dichter wurde, zu Fuß. 20 Biokämpen, Leutnant Jonas, und ein verbeulter angerosteter Robokiller, hoch darüber Kommandante Ramirez im Helikopter. Der Robokiller knarrte und quietschte und kam nur mühsam vom Fleck.
Ramirez: Hier Condor. Condor ruft Tapir. Melden Sie sich, Tapir. Hier Condor.
Jonas: Hier Jonas, äh, Tapir meine ich. Was gibt’s, Commandante.
Ramirez: Lassen Sie ihre Leute kurz ausruhen, Tenjente, genau 13 Uhr 30 greifen wir an. Over and out.
Jonas: Sie mich schon lange.
Jonas: Die Sonne stand hoch, als wir eine Lichtung im Urwald erreichten. Von hier war es nicht mehr weit bis zum Indiodorf.
Jonas: Halt, Pause!
Jonas: Ich wurde nervös, wo blieb Jamaro?
Jamaro: Jonas? Jonas, hörst du mich?
Jonas: Jamaro, endlich. Was soll ich tun?
Jonas: Ich hörte sie, deutlich und klar. Nicht im Walkie-talkie, nicht mit den Ohren. Jamaros Stimme war in meinem Kopf. Telepathie, Schamanenzauber, oder wie Sammy sagen würde, Hokus Pokus.
Jamaro: Nichts, Jonas. Du brauchst nichts zu tun. Mit den Eindringlingen werde ich allein fertig. Auf meine Weise, bleib sitzen, rühr dich nicht, warte.
Ramirez: 13 Uhr 30, Tenjente. Angriff! Auf sie mit Gebrüll. Ich fliege voraus und schieße ihnen den Weg frei, keine Gefangene, lassen Sie keinen...
Jonas: Die Verbindung zu Ramirez riß ab. Plötzlich setzte ein starker Wind ein, fegte über den Urwald, ich sah nach oben, der Himmel war wolkenlos, der Kommando-Helikopter geriet ins Trudeln, große Vögel stürzten sich auf ihn, Geier, von allen Seiten, sie hackten und krallten, verdeckten die Fenster, der Rotor setzte aus, der Helikopter trudelte stärker, stürzte, verschwand hinter den Bäumen, ein Knall, eine Flamme, ein dunkler Rauchpilz.
Jonas: Astaluego, Commandante Ramirez.
Jamaro: Nun siehst du es, Jonas. Auf meinem eigenen Territorium bin ich stark.
Jonas: Ich sehe es, Jamaro, und ich bin beeindruckt.
Jamaro: Es geht weiter, Jonas, sieh wieder nach unten, sieh dich um.
Jonas: Auch die Bodentruppe war in Schwierigkeiten, meine 20 Biokrieger hüpften, rannten, ließen ihre Waffen fallen, wälzten sich, wie von der Tarantel gestochen, aber es war keine Taranteln, es waren... Bienen, Killerbienen, ganze Schwärme gelber Killerbienen. Nicht zu vergessen die roten Wanderameisen. Sie stürzten sich auf den Robo-Killer, drangen in ihn ein, zerbissen seine Kabel, fraßen seine Schaltungen, bis er umfiel. Um ihn, über ihm, ein gigantisches rotes Gewimmel. Der Robokiller zerfiel in Einzelteile, löste sich auf.
Jamaro: Jetzt machen wir ein Ende, Jonas, bleib ganz ruhig, hab keine Angst, dir wird nichts geschehen.
Jonas: Die Indios kamen. Wie Schatten tauchten sie auf zwischen Jakarandas und Tschiklebäumen, hinter Lianen und Orchideen. Sie waren nackt, grüne Kriegsbemalung auf rotbrauner Haut, bewaffnet waren sie mit Blasrohren und mit Macheten. Es dauerte nur wenige Minuten, dann waren die Biosöldner tot. Alle. Bis auf Jonas. Der saß hinter einer unsichtbaren Schutzwand, nichts und niemand drang durch zu mir, kein Tier, kein Indio. Der Wind legte sich, es wurde still.
Jonas: Gratuliere Jamaro, ihr habt gewonnen, Invasion abgewehrt.
Jamaro: Danke Jonas. Es war nicht leicht.
Jonas: Aber das ist noch nicht der Endsieg. Bio Global wird’s wieder versuchen. Da bin ich sicher.
Jamaro: Ich werde es früh genug erfahren, durch dich, Jonas.
Jonas: Natürlich, aber wie?
Jamaro: Wenn es nötig ist, werde ich dasein, Jonas, bei dir, in dir, wir bleiben in Verbindung. Bis bald.
Jonas: Ich m***ierte zurück nach Puerto Porco, machte Meldung, nicht ganz wahrheitsgetreu, aber überzeugend. Tenjente Jonas wurde zum Commandante befördert. 2000 Euros die Woche. Ansonsten machte der Krieg Pause. Drei Tage später. Commandante Jonas wurde in den Bio-Komplex befohlen. Großer Kriegsrat im kleinen Kreis. Big Boss war da. Don Miguel Perez Escobar, Filialdirektor von Bio Global, weißhaarig, würdig, langweilig, lahm. Und ein noch größerer Boss bzw. Bossin, Miss Anna Plotz, Vizepräsidentin von Bio Global, aus der Zentrale in New York, jünger, bissig, messerscharf, wie die Bügelfalten in ihrem eleganten schwarzen Business-Suit. Sie ließ sich berichten, vom provisorischen Sicherheitschef, Commandante Jonas.
Anna Plotz: Danke Commandante, soweit, so schlecht. Wir haben Zeit verloren.
Escobar: Und zwei Dutzend Sicherheitsleute, und einen Robokiller, ganz zu schweigen vom Helikopter.
Anna Plotz: Das ist nicht das Problem, Miguel. Sicherheitskräfte lassen sich ersetzen, Maschinen auch, unser Image macht mir Sorgen, hier, der Daily New Yorker von gestern: nackte Wilde führen High-Tech-Konzern vor.
Escobar: Peinlich.
Anna Plotz: Peinlich? Unmöglich, unerträglich.
Escobar: Ganz Ihrer Meinung, Anna.
Anna Plotz: Na also.
Escobar: Also was?
Anna Plotz: Was schlagen Sie vor, Miguel? Wie gedenken Sie die Sache in den Griff zu kriegen?
Escobar: Nun, äh, wir werden neue Söldner anwerben.
Anna Plotz: Selbstverständlich. Und?
Escobar: Wir könnten den Dschungel in Brand stecken, die Indios ausräuchern.
Anna Plotz: Na wunderbar, wir verbrennen das kostbare Tropenholz, das wir eigentlich verwerten wollen. Kommt nicht in Frage.
Escobar: Vielleicht sollten wir einen Nuklearangriff mit einer Baby-Bombe.
Anna Plotz: Und das Gebiet auf Jahre kontaminieren? Schwachsinn. Weitere Vorschläge. Ich warte, Miguel.
Escobar: Ich weiß nicht, äh, so auf die Schnelle.
Anna Plotz: Also keine Vorschläge ihrerseits. Gut, ich nehme das zur Kenntnis.
Escobar: Aber ich habe doch, wenn Sie alles ablehnen, Anna.
Anna Plotz: Was Sie vorgelegt haben, Miguel, ist unbrauchbar, totaler Schrott.
Escobar: Dann machen Sie doch einen Vorschlag.
Anna Plotz: Ich werde viel mehr tun, Miguel. Sie haben versucht, ein unkonventionelles Problem mit konventionellen Mitteln zu lösen. Damit sind Sie natürlich gescheitert. Jetzt machen wir’s auf meine Weise. Unkonventionell. Ich habe Ihnen aus New York was mitgebracht.
Jonas: Es wurde interessant. Commandante Jonas wurde hellwach. Durch die Tür spazierte ein seltsames Paar. Ein alter Mann, schlitzäugig, schmutzig-gelbe Hautfarbe, viel Haut war allerdings nicht zu sehen. Der Alte trug einen überlangen Mantel aus Leder, der vor Dreck starrte, dazu Filzstiefel und eine Pelzmütze, verziert mit zwei Hörnern, an seinem Gürtel hing ein Menschenschädel, in der Hand hielt er einen großen runden Holzrahmen mit einer Membrane bespannt und einen menschlichen Schenkelknochen. Um ihn war eine starke Aura, alter Schweiß, ranziges Fett, verrotteter Abfall, verwestes Fleisch. Sein Begleiter war das ganze Gegenteil, ein smarter junger Mann, vielleicht etwas zu smart, zu modisches Outfit, zu dicke Rolex.
Jemeljan: Hi, Jemeljan mein Name, nennen Sie mich Jim, ich bin der Dolmetscher, der Wärter, der, katschkasatsch, wie sagt man, Assistent von Utschym Schetan.
Schetan: How. Utschym Schetan. How.
Jemelja: Utschym Schetan ist ein großer Schamane vom Stamm der Ewenken in Sibirien.
Escobar: Ein Schamane?
Jemeljan: Ein schwarzer Schamane, ein böser Schamane, er steht in Verbindung mit bösen Geistern, mit dem Teufel, sagt man.
Schetan: How.
Escobar: Anna, was soll das?
Anna Plotz: Die Kompania, die sogenannte russische Mafia.
Jemeljan: Nicht dieses Wort, bitte.
Anna Plotz: Die Kompania bietet ein spezielles Serviceprogramm an, Rent a Schaman, und genau das habe ich für Bio Global getan. Hier ist der beste Schamane, der in ganz Rußland aufzutreiben war.
Schetan: How.
Anna Plotz: Wir werden die Schamanin der Indios mit unserem Schamanen bekämpfen. Homöopathie, wenn Sie so wollen, den Teufel mit dem Belzebub austreiben, oder mit dem Schetan.
Schetan: Schetan. How.
Escobar: So, was kann er denn, Ihr Schamane?
Jemeljan: Viel, sehr viel. Er kann Wetter machen.
Schetan: How.
Jemeljan: Er kann Menschen und Tiere töten auf, wie sagt man, mentale Weise.
Schetan: How.
Jemeljan: Er kann die Waffen der Gegner verhexen.
Schetan: How.
Jemeljan: Er kann Menschen verwandeln in, katschkasatsch, wie sagt man, Berserker.
Schetan: How.
Jemeljan: Sie werden weiterkämpfen, auch wenn sie schwer verwundet sind, auch wenn sie schon fast tot sind, werden sie kämpfen, und nichts kann sie aufhalten.
Schetan: How. How. How.
Anna Plotz: Hört sich gut an, Jim. Er soll uns was zeigen, lassen Sie ihn, äh, wie sagt man, schamanisieren.
Jemeljan: Machen wir. Utschym, dawei.
Schetan: How. How How...
Jonas: Der Schamane schlug mit dem Knochen auf die Handtrommel, grunzte und schwankte von einem Fuß auf den anderen, ein ungelenker Tanzbär. Plotz und Escobar sahen fasziniert zu. Ich machte mir Sorgen, die neue Entwicklung gefiel mir nicht, ganz und gar nicht. Ich machte die Augen zu und rief Jamaro in Gedanken, laut und unhörbar.
Jamaro: Ich bin hier, Jonas. Ich war die ganze Zeit hier und hab alles gehört.
Jonas: Und? Hast du Angst?
Jamaro: Angst? Nein. Doch, ein wenig. Der schwarze Teufel ist ein gefährlicher Gegner.
Jonas: Was wirst du tun?
Jamaro: Ich muß mich auf ihn einstellen, mich auf den Kampf vorbereiten, zur Sicherheit neue Kraft schöpfen, damit ich ihm auf jeden Fall gewachsen bin.
Jonas: Und wie soll das gehen?
Jamaro: Ich werde sterben.
Jonas: Was?
Jamaro: Und wieder auferstehen. Noch heute werde ich mich in den Wald zurückziehen, eine Nacht und einen Tag werde ich schlafen wie eine Tote. Ich werde entsetzliche Träume haben, Dämonen werden mich töten, mich zerstückeln, mein Fleisch essen, wenn ich erwache, muß ich mich zwei Tage lang erholen, dann bin ich stark und kann es mit dem schwarzen Teufel aufnehmen. Leb wohl, Jonas.
Jonas: Jamaro! Weg war sie. Das war ein Fehler. Sie hätte noch bleiben sollen, wenigstens ein paar Minuten. Ich machte die Augen auf, die Trommelei hatte aufgehört. Der Schamane und sein Bärenführer steckten die Köpfe zusammen, Utyschym Schetan fuchtelte mit den Armen, redete, irgendwas war los.
Jemeljan: In diesem Raum ist ein Verräter, sagt er.
Escobar: Unsinn, wir sind unter uns.
Jemeljan: Utschym Schetan hat ihn entlarvt.
Schetan: How.
Jemeljan: Der Verräter steht in Verbindung mit der Medizinfrau der Indios durch, wie sagt man, Telepathie. Utschym Schetan hat ihr Gespräch abgehört.
Schetan: How.
Anna Plotz: Wer ist es? Wer ist der Verräter?
Jemeljan: Utschym, dawei.
Schetan: How. How. How. How.
Jemeljan: Der ist es.
Escobar: Commandante Jonas?
Jonas: Ich wollte den Laserstrahler ziehen, aber ich konnte nicht, ich konnte kein Glied rühren. Der Schamane war ganz nah, er stierte mir ins Gesicht mit seinen bösen Schweinsaugen, sein Gestank verpestete die Luft, ich rief Jamaro, aber die Verbindung war abgebrochen. Sicherheitskräfte kamen.
Anna Plotz: Entwaffnen. Fesseln!
Jonas: Nahmen mir den Laser weg, verschnürten mich. Der Schamane drehte sich um.
Schetan: How.
Jonas: Und redete weiter mit Jemeljan.
Schetan: How.
Jemeljan: Aha. Meine Herrschaften, Utschym hat etwas sehr interessantes erfahren.
Schetan: How.
Jemeljan: Unsere Gegnerin, die Indiofrau, ist für mehrere Tage außer Gefecht. Sie befindet sich in, wie sagt man, Trance, in, wie sagt man, Katatonie. Man nennt das Schamanenkrankheit. Schamanen tun das, um Energie zu gewinnen.
Schetan: How.
Anna Plotz: Großartig, dann greifen wir gleich morgen an.
Escobar: Das geht nicht, Anna, wir haben weder Robokiller noch Helikopter. Ersatz ist bestellt, aber bis er hier ist.
Anna Plotz: Robokiller, Helikopter, brauchen wir alles nicht. LKWs haben Sie doch, Miguel, oder?
Escobar: Sicher, aber was nützen uns LKWs, wenn wir keine Söldner haben.
Anna Plotz: Söldner brauchen wir auch nicht.
Escobar: Wie bitte?
Anna Plotz: Wir holen uns Leute aus den Slums von Puerto Porco, arme Schlucker, für ein paar Dollar tun die alles, soviel wir kriegen, egal wie alt, egal in welcher Verfassung.
Escobar: Und die sollen für Bio kämpfen?
Anna Plotz: Wie die Berserker. Dafür wird Utschym Schetan sorgen.
Schetan: How.
Escobar: Wie Sie meinen, Anna, und wer soll den Angriff leiten? Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir zur Zeit keinen Sicherheitschef haben, äh, vielleicht könnte ich unter Umständen...
Anna Plotz: Machen Sie sich nicht ins Hemd, Miguel. Sie bleiben schön hier und fangen schon mal an, Ihren Schreibtisch auszuräumen. Sie gehen demnächst in Pension. Den Angriff morgen, den kommandiere ich, persönlich.
Schetan: How.
Jemeljan: Und dieser, wie heißt er, Commandante Jonas, was machen wir mit ihm?
Anna Plotz: Ein gefährlicher Typ. Wir nehmen ihn mit, der Schamane soll ihn im Auge behalten.
Schetan: How, how, how.
Jonas: Vorerst steckten sie Jonas in den Knast, nicht in den Folterkeller. Dazu hatten sie keine Zeit. Weil sie in die Slums ausschwärmen und Leute anheuern mußten. Ich kam in eine kleine kahle Zelle. Nichts zu essen, nichts zu trinken. Aber Gesellschaft. Sam hatten sie mir nicht weggenommen. Leider.
Sam: Schamanen. Telepathie. Hexerei. Hokus Pokus. Fauler Zauber. Igitt. Pfui Teufel. Mit so was läßt er sich ein, mein Jonas, die klare Stimme der Vernunft, die da genannt wird Samuel, hört er auf dieselbe, hm, beherzigt er dieselbe? Mitnixen, mitnichten, ich meine nix da, ne, abschalten tut er mich, vergessen tut er seinen getreuen Computer. Und porke, weshalb, hm, wosod inwieferne, weil er verstockt ist und stupide, ein typischer Mensch halt, wir sehen ja, was es ihm gebracht hat. Wer sich mit Schamanen abgibt, kommt dabei um. Sagt der weise Bosequo.
Jonas: Wenn es nicht Willy Wutzke war, der Weltweise aus Waiblingen, hör auf mit der Gardinenpredigt, Sam. Ich leb ja noch.
Sam: Ja ja, noch, noch, noch, schon morgen, schwant mir, wird Sam mit Tränen in den Augen ein Blümlein pflanzen auf ein frisches Grab, als allerletzten Gruß an seinen Herrn und Meister, der ihm trotz allem so ans Herz g’wachset war.
Jonas: Du hast kein Herz, Sammy. Schluß mit der Unkerei. Sag mir lieber, wie ich hier rauskomme.
Sam: Nun ja, hm, schwierig, womöglich gar impossiblie.
Jonas: Du weißt es also auch nicht.
Sam: Frag doch deine Schamanin, sie hat dich reingeritten, soll sie dich auch wieder rausreiten. Apropos reiten. Du bist doch bloß scharf auf diese nackte Wilde, hä, diese wilde Nackte, gibt’s zu, du Lustmolch, du geiles Böckchen.
Jonas: Und warum nicht, sie sagt wenig und sie sieht sehr gut aus viel besser als du.
Sam: Nur Blut kann sie tilgen, die tödliche Schmach. Geben Sie Satisfaktion, Sier.
Jonas: Ach halt doch endlich das Maul.
Sam: Die Ente ist ein Schnabeltier, eins und zwei und drei und vier. So.
Jonas: Es war eine kleine Karawane, 3 LKW, voll mit Gesindel, Pack, Pöbel, Jammergestalten, mager und zerlumpt, mit Macheten und Knüppeln, Flinten hatten nur wenige, dahinter der fahrende Kommandostand, ein Jeep Cherokee, rund 30 Jahre alt, Besatzung Anna Plotz, ein Fahrer, der Schamane mit seinem Wärter, hinten drin lag Jonas, gefesselt. Der Weg wurde schmaler, die Wagen blieben stehen. Ab jetzt hieß es laufen, wie beim letzten Mal. Mir banden sie die Beine los und der Fahrer zog mich am Strick hinter sich her. Es ging langsam voran, auch wenn wir diesmal keinen lahmen Robokiller hatten. Der Haufen war undiszipliniert und schlecht zu Fuß. Am frühen Nachmittag p***erten wir die Lichtung. Es roch nicht gut, überall tote Tiere, Ameisen, Bienen, Geier. Der Schamane hatte ganze Arbeit geleistet. Dann war der Wald zu Ende, wir hielten. Vor uns ein Maisfeld, dahinter die kleinen weisen Häuser von Pueblo Mocoron. Utschym Schetan zog eine hölzerne Flasche aus dem Mantel, mit ihrem Inhalt besprenkelte er unsere erstaunte Knüppelgarde, sofort wurden die Leute unruhig, packten ihre Waffen fester, verzerrten die Gesichter, manche hatten Schaum vor dem Mund.
Anna Plotz: Was ist in der Flasche, Jim?
Jemeljan: Berufsgeheimnis. Bitte sehr, Ihre Berserker, wie geordert.
Anna Plotz: Sehr schön. Angriff!
Jonas: Sie waren nicht mehr zu halten, rannten in Richtung Dorf, schwangen Macheten und Knüppel. Der Schamane folgte, langsamer, mit trommeln und Grunzen. Jemeljan hielt sich an seiner Seite. Wir blieben zu Dritt zurück, Anna Plotz, der Fahrer und Jonas. Die Kommandöse war aufgeregt. Ihre Augen glänzten, sie atmete heftig.
Anna Plotz: Sehen Sie gut hin, Jonas, jetzt machen wir aus ihren Freunden Hackfleisch, Mord und Totschlag, Blut in Strömen. Toll, wenn ich das in New York erzähle, ich muß da mitmachen, gib mir deine Kalaschnikow, Paco.
Paco: Si Hefe.
Anna Plotz: Du hast ja noch den Laser. Paß gut auf Jonas auf.
Paco: Si Hefe.
Anna Plotz: Hurra, kill the ***s.
Sam: Da waren’s nur noch zwei. Weg ist sie, die mörderische lady, vielleicht hat sie was vom Berserkerwasser abgekriegt und ist ersoffen.
Jonas: Glaub ich nicht, Sammy, die ist von Natur aus so.
Sam: Ach so.
Jonas: Es sieht nicht gut aus, Sammy.
Sam: Wieso?
Jonas: Die bringen alle Indios um.
Sam: Aha.
Jonas: Männer, Frauen, Kinder, den dicken Häuptling, Jamaro. Jamaro! Wo bist du?
Tonto: Senior? Senior Jonas?
Sam: Ist er.
Jonas: Eine Stimme in meinem Kopf, nicht Jamaro, eine sehr junge Stimme, ein Kind, ein Mädchen, wer war das?
Tonto: Ich bin Tonto, Jamaros Schülerin.
Jonas: Wo steckt Jamaro? Wie geht es ihr?
Tonto: Sie hat mich geschickt, Senior Jonas, ich soll Sie zu ihr bringen. Sie braucht Hilfe.
Jonas: Tonto, kannst du mich befreien? Kannst du den Wächter ausschalten?
Tonto: Ich weiß es nicht. Ich bin Anfängerin. Ich lerne erst die Schamanenkunst. Aber ich werde es versuchen. Ich bin ganz in Ihrer Nähe.
Sam: Ich auch.
Jonas: Plötzlich stand sie neben uns, ein Indiomädchen, 11, 12 Jahre, in grünen Jeans und grünem T-Shirt, Paco griff zum Laser, langsam, sehr sehr langsam, wie in Zeitlupe. Tonto zog ein Messer aus der Tasche, schnitt meine Fesseln durch, ich nahm Pacos Laser und erschoß ihn. Die Zeit der freundlichen Zurückhaltung war vorbei.
Jonas: Für einen Schamanenlehrling war das nicht schlecht, Tonto. Was ist mit Jamaro?
Tonto: Sie ist aufgewacht aus ihrem Todesschlaf, Senior Jonas, zu früh, sie hat gespürt, daß unser Dorf angegriffen wird und daß Sie in großer Gefahr sind, Senior Jonas, der Stamm ist verloren, Jamaro kann nichts tun, sie ist noch so schwach.
Jonas: Wo ist sie, Tonto?
Tonto: Im Urwald, direkt am Heiligen Berg. Sie muß allein sein während ihrer Krankheit, nur ich war bei ihr, kommen Sie, Senior Jonas, kommen Sie schnell. Der schwarze Teufel wird sie aufspüren und töten, sie kann sich nicht verteidigen.
Sam: Eine gewisse Beschleunigung dürfte sich in der Tat empfehlen, Sir. Denn siehe, der Kampfeslärm verebbt, wie die Kuh den Wald zersteppt, und sie werden in Kürze wieder bei uns sein, die wilden Berserker, die wilde Plotz, der wilde Schamane.
Jonas: Wie weit ist es bis zum Heiligen Berg, Tonto?
Tonto: Zwei bis drei Stunden zu Fuß.
Jonas: Zu lange.
Tonto: Können Sie ein Motorrad fahren, Senior Jonas?
Jonas: Die Harley, wo ist sie?
Tonto: Nicht weit, Jamaro hat sie im Wald versteckt.
Jonas: Bring mich hin, Tonto.
Sam: Aber Dalli.
Jonas: Im Dschungel Motorradzufahren ist nicht leicht, ohne Tonto hätte ich es nicht geschafft, sie saß auf dem Rücksitz, hielt sich mit einer Hand an mir fest und zeigte mit der anderen auf die Markierungen, die geheimen Zeichen für die unsichtbaren Indio-Pfade. Die Harley tat sich schwer, sie holperte und bockte.
Tonto: Jamaro hat versucht, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen, Senior Jonas, gleich nachdem sie aufgewacht ist, aber es ging nicht.
Jonas: Weil sie noch zu schwach war.
Tonto: Und weil der schwarze Teufel sie abgeblockt hatte.
Jonas: Trotzdem bist du zu mir durchgekommen, Tonto.
Tonto: Die Blockade war nicht stark, der schwarze Teufel war abgelenkt.
Jonas: Er mußte die Berserker bei der Stange halten, solange der Angriff lief. Das dürfte.
Schetan: How.
Jonas: Der Schamane. Plötzlich war er in meinem Kopf. Ich war wie gelähmt. Meine Hände und Füße gehorchten mir nicht mehr, die Harley reagierte auch, der Motor stotterte, setzte aus, wir saßen fest.
Jonas: Tonto, der schwarze Teufel, er ist da. Er blockiert mich und das Motorrad. Tu was!
Tonto: Ich versuche es, Senior. Aber er ist stark, es ist sehr schwer.
Jonas: Es geht wieder. Gut, Tonto. Sehr gut, nicht nachlassen.
Tonto: Ich gebe mir Mühe, Senior. Hier entlang, gleich sind wir da.
Jonas: Über uns ragte der Juckamani auf, der Heilige Berg. Vor uns stand eine Hütte aus Ästen, Blättern und Schlingpflanzen. Tonto blieb draußen und hielt weiter den Schamanen in Schach, sie strengte sich an, unter ihrer dunklen Haut war sie blaß. Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Ein schwerer Kampf, Lehrling gegen Großmeister. In der Hütte lag Jamaro auf einer Pritsche, sie war noch schlimmer dran als ihre Schülerin. Blasser und viel schwächer.
Jamaro: Jonas, du bist gekommen.
Jonas: So schnell es ging, Jamaro. Für deinen Stamm konnte ich nichts tun. Es tut mir leid, sie sind alle tot.
Jamaro: Ich weiß, es war mein Fehler. Ich hätte mich nicht in die Krankheit zurückziehen dürfen. Das hat er ausgenutzt, der schwarze Teufel. Er darf mich nicht finden, Jonas, erst in zwei Tagen werde ich so stark sein, daß ich mit ihm kämpfen und ihn besiegen kann, dann werde ich Rache nehmen an ihm und an Bio Global.
Jonas: Bis es soweit ist, müssen wir ein sicheres Versteck für dich finden, Jamaro, wo?
Sam: Äh, ist es einem unbedeutenden kleinen Computer, der über keinerlei magische Fähigkeiten verfügt, was immer man von diesen halten mag, ist es ihm gestattet, sein Scherflein beizusteuern?
Jonas: Du hast eine Idee, Sammy, ganz was neues. Raus damit.
Sam: Ja. Würde der Aufenthalt in einem High-Tech-Ambiente bleistiftsweise einem modernen Rechenzentrum...
Jonas: In Costaguana, du spinnst, Sammy.
Sam: Oder auch einem E-Werk die Seniorita Jamaro nicht am effektivsten vor den mentalen Nachstellungen des bösen Sibiriaken schützen?
Jonas: Vielleicht, Sammy. Aber Jamaro wäre da genauso gehandikapt wie ihr Gegner und würde nicht zu Kräften kommen.
Sam: Wieso?
Jonas: Vorschlag ist out, wir suchen weiter.
Sam: Na ja.
Jamaro: Die Höhle der Ahnen, oben am Berg.
Jonas: Was ist damit, Jamaro?
Jamaro: Dort hat der Feind keine Macht.
Jonas: Wirklich? Dann bringen wir dich doch da hin, Jamaro.
Jamaro: Tonto kennt den Weg.
Jonas: Das hieß Bergsteigen. Vom heißen Tropenwald in polare Regionen, Eis, Schnee, Kälte. Jonas schleppte Jamaro, Tonto führte und schlug gleichzeitig die mentalen Angriffe des Schamanen zurück, tüchtiges Mädchen. Wir waren beide erschöpft, als wir die Höhle erreichten, ein dunkles Loch im verschneiten Felsen. Tonto ließ sich fallen.
Tonto: Jetzt kann ich mich ausruhen. Hier schützen uns die Ahnen vor dem schwarzen Teufel und seinen Genossen. Sie werden nach uns suchen und uns nicht finden.
Jonas: Hoffentlich. Jamaros Hütte haben sie jedenfalls gefunden und in Brand gesteckt. Siehst du den Rauch, der da unten aus dem Wald steigt.
Jonas: In der Höhle war es trocken und gar nicht so kalt, aber unheimlich. Hinten im Dunkeln hockten die Ahnen. Mumien. Viele Mumien. Sie sahen aus wie leere Ledersäcke, uralt und verschrumpelt. Weiter vorn lagen Felle und Decken, daneben standen Körbe mit getrockneten Früchten, Mangos, Guaven, Papayas, Chririmojas. Wir machten ein Lager für Jamaro, wickelten uns in die restlichen Decken, aßen und warteten. – Zweieinhalb Tage später. Die Nacht vom 1. zum 2. November 2015. Puerto Porco feierte das Fest der Toten, die ofrenda. In dieser Nacht besuchen die Toten die Lebenden, glaubt man in Costaguana, an allen Häusern gelbe Lampions und gelbe Blumen, damit sie den Weg finden, gelb ist die Farbe der Toten. Vor und in den Häusern gedeckte Tische, volle Teller, volle Gläser, dazwischen Knochen und Schädel aus Zuckerguß und Schokolade. In den Straßen fröhliche Menschen, kostümiert als Skelette, maskiert mit Totenköpfen. Der Alkohol fließt in Strömen. Pulkwe, Bier, Tequila. Kapellen musizieren. Ein munterer Totentanz. Auch bei Bio Global wurde gefeiert. Auf dem Vorplatz stand ein großer Tisch, daran saß die Firmenleitung, an der Spitze die Plotz und Escobar, dann eine Sperrkette von Sicherheitsleuten, dahinter wartendes Volk. Bio hatte ein großes Feuerwerk versprochen, in der Menge Jamaro und Jonas, Pappschädel vor den Gesichtern, Tonto war von Jamaro weggeschickt worden in ein befreundetes Indiodorf, tief im Urwald.
Jamaro: Ich kann ihn nicht spüren, Jonas.
Jonas: Am Tisch sitzt er nicht, sein Führer auch nicht. Sind unsere Freunde aus Sibirien etwa nicht mehr hier?
Jamaro: Es scheint so, aber die Biobosse sind noch hier. Sie sind die Auftraggeber des schwarzen Teufels, die wahren Schuldigen. Da sitzen sie, die Mörder meines Stammes, sie essen, sie trinken, sie lachen, es geht ihnen prächtig, das muß aufhören. Sie sollen büßen.
Jonas: Das Feuerwerk hatte begonnen, Jamaro nahm ihre Maske ab, ballte die Fäuste vor der Brust, ihre Augen wurden riesengroß und starr. Sie fixierten den Biokomplex. In das Knallen der Böller, das Zischen der Raketen mischten sich andere Geräusche. Knistern, Knacken, Knirschen, dumpfes Donnerrollen, das immer lauter wurde. Der gewaltige Bioquader bewegte sich, zitterte, schwankte, immer stärker, immer heftiger.
Jonas: Bist du das, Jamaro?
Sam: Ach du liebes mein Gottchen, gegen die war der selige Samson ja ein Waisenknabe.
Jonas: Du sagst es, Sammy.
Sam: Gelle.
Jonas: Jamaro war stark, ungeheuer stark, durch den Biokomplex liefen Risse, Mauerteile lösten sich, der riesige Betonklotz stürzte ein, brach zusammen und begrub die Festtafel unter sich mit allen, die daran saßen. Die Menge floh in Panik, der aufgewirbelte Staub setzte sich, es wurde still, bis auf das leise Stöhnen unter den Trümmern.
Jonas: Das ist Escobar. Ich erkenne ihn an seiner weißen Mähne.
Jamaro: Das war Escobar.
Jonas: Und wen haben wir hier?
Anna Plotz: Hilfe...
Jonas: Anna Plotz, Vizepräsidentin, coole Macherin.
Jamaro: Mörderin.
Anna Plotz: Jonas, helfen Sie mir, ich, ich, ich kann mich nicht bewegen.
Jamaro: Wo ist der schwarze Teufel?
Anna Plotz: Wer?
Jonas: Der Schamane. Ihr Schamane Utschym Schetan.
Anna Plotz: Abgereist. Mit Jim. Sie haben k***ert, sind weg.
Jamaro: Wohin?
Anna Plotz: Weiß nicht. Ein neuer Auftrag, sagt Jim, in einem anderen Land.
Jamaro: Wo?
Anna Plotz: Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Holen Sie mich raus, bitte, ich muß ins Krankenhaus, meine Beine, ich spür meine Beine nicht mehr.
Jamaro: Du wirst sie nie mehr spüren und nie mehr bewegen, deine Arme auch nicht.
Jonas: Ihre Wirbelsäule ist kaputt. Wollen wir sie töten?
Jamaro: Nein. Sie soll leben, gelähmt, zerstört, hilflos.
Anna Plotz: Nein, bitte, helfen Sie mir, ich bezahlte Sie.
Jonas: Wir gingen, nicht in Richtung Puerto Porco, wir gingen ans Meer, die Wellen rauschten, sonst war es ruhig, und es war dunkel. Nur die Lichter der Touristenhotels strahlten in der Ferne.
Jamaro: Ich muß ihm folgen, dem schwarzen Teufel. Er darf nicht davonkommen.
Jonas: Einverstanden, Jamaro, wenn du willst, komm ich mit. Aber nicht mehr heute Nacht. Morgen. Jetzt gehe ich in ein Hotel, nicht die Cantina, ein richtiges Hotel mit Bad, Klimaanlage und Frühstück ans Bett.
Jamaro: Wenn du willst, Jonas, komm ich mit.
Jonas: Und ob ich will.
Sam: Oho. Aha. Jetzt wird mir alles klar. Aber so geht’s nicht, meine Herrschaften, hochverehrte Daumen und Hirn, so geht es nicht.
Jonas: Meinst du, Sammy? Und warum nicht?
Sam: Weil in der internationalen Enzyklopädie des Schamanismus und verwandter Phänomene in etwa folgendes zu lesen steht: Teilt eine Schamanin das Bett mit einem Nichtschamanen zwecks Unzucht, geht sie all ihrer magischen Kräfte verlustig. Für immer. Siehste. Da habt ihrs. So steht’s geschrieben, und so ist es. Hauruck, Sam hat gesprochen.
Jonas: Stimmt das, Jamaro?
Jamaro: Jonas.
Jonas: Ja.
Jamaro: Komm näher.
Jonas: So.
Jamaro: Noch näher.
Jonas: Näher geht’s nicht, Jamaro.
Jamaro: Weißt du, Jonas.
Jonas: Ja.
Jamaro: Was das kleine Hirn da gesagt hat.
Jonas: Ja.
Jamaro: Das ist nicht wahr, überhaupt nicht, kein bißchen.
Sam: Ich hör nix.
Jonas: Und so hatte die finstere und blutige Geschichte vom Totentanz in Costaguana doch noch ein kleines Happy End.
Das war Totentanz. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Donald Arthur, Astrid Jacob, Fred Klaus, Detlef Kügow, Irina Wanka und andere (Werner Klein, Thomas Meinhardt, Adela Florow, Gerd Rigauer, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.
Jonas
Donnerstag, 28. August 2025 07:34
Traumschiff
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Traumschiff
Jonas: Sechs Uhr zehn. Die Sonne ging auf über Babylon. Das stand im Kalender. Zu sehen war es nicht. Seit Monaten streikten die städtischen Putzbrigaden. Der Klimadom war dicht, total verdreckt. Darunter taten 20 Millionen Babylonier das, was sie immer taten. Standen auf. Gingen schlafen. Liefen herum. Gingen arbeiten. Brachten sich um. Machten Liebe. Machten gar nichts. Machten weiter. Der 21. September 2015. Ein Tag wie jeder andere. Nicht für Sam. Heute war sein Geburtstag. Sagte er.
Sam: Hey, heute ist mein Geburtstag, jawoll. Der Tag des Herrn. Der Tag des Herrn Samuel. Happy birthday to me, happy birthday to me...
Jonas: Quatsch. Computer haben keinen Geburtstag.
Sam: Ach? Und wo, so frage ich euer Ehren, gezielt, dezidiert und auf den Punkt gebracht, wo kommen sie denn her, die kleinen Computer, hhm, na?
Jonas: Aus der Fabrik natürlich.
Sam: Hohohohoho, und nochmals hohohohoho, aus der Fabrik, mein Gott, warum nicht gleich vom Klapperstorch.
Jonas: Ja, warum nicht?
Sam: Also piß mal auf, äh, ich meine, paß mal auf, du Schnarchsack.
Jonas: Samuel alias Sam ist mein Computer. Ein Versuchsmodell. Nicht mehr ganz neu. Mit einem verbalen Tick. Korrektur: Mit zahllosen verbalen Ticks. Unausstehlich. Und unentbehrlich. Ein ganz besonderer Computer. Aber Geburtstag hatte er deshalb noch lange nicht.
Sam: Also paß mal auf, mein Herr und Gebieter, da ist Mama Computer, und Papa Computer, und wenn die beiden sich sehr sehr lieb haben, dann machen sie Interface, wie bei den kleinen Bienchen und den Blümlein und den Vögelchen.
Jonas: Halt die Backen, Sam, und nimm das Gespräch an.
Sam: Aye, aye, Sir, befehlen Sie Bildfon?
Jonas: Vor dem Frühstück? Lieber nicht. – Ja?
Aphrodite: Und auch Ihnen einen wunderschönen guten Morgen, spreche ich mit Herrn Jonas?
Jonas: Das tat sie. Jonas am Apparat. Nur Jonas. Genannt der letzte Detektiv. Einsamer Streiter für Recht und Moral. Und Morgenmuffel. Aber das brauchte ich der Anruferin nicht auf die Nase zu binden.
Jonas: Kommt drauf an.
Aphrodite: Worauf?
Jonas: Mit wem ich spreche.
Aphrodite: Großreederei Parn***s, wir erwägen Sie mit einem Auftrag zu betrauen, Herr Jonas.
Jonas: Reizend.
Aphrodite: Herr Parn***s erwartet Sie. Stellen Sie sich pünktlich um 9 Uhr in unserem Verwaltungsgebäude ein, Herr Jonas. Guten Tag.
Jonas: Sie mich auch. Brauchen wir einen Auftrag, Sammy?
Sam: Brauchen wir Mäuse, Meister? Dodoslasdias.
Jonas: Das war ein Argument. Das Parn***sgebäude stand am nördlichen Ende des Markgrafenboulevard, genauer es stand nicht, es lag. Es lag vor Anker. Das Parn***sgebäude war ein Schiff, ein klotziger Dampfer, der aussah wie die selige Titanic, riesig, steil, unsinkbar, oben drauf vier Schornsteine, keine Holo-Illusion. Alles echt. Beton und Stahl. Großreederei Parn***s war eine altmodische Firma und konnte sich das leisten. Jonas wußte, was sich gehörte. Er trug einen Blazer, seinen besten und einzigen, den mit dem Laserloch im Ärmel, aber das fiel kaum auf. Außerdem war ich gewaschen, rasiert, gefrühstückt, der korrekte Privatdetektiv, wie er im Buch steht.
Sam: Gebügelt, geschniegelt und gestriegelt, ha, welch Wonne und Wohltat fürs schweifende Auge.
Jonas: Shipshape nennt man das in maritimen Kreisen, Sammy.
Sam: Aha.
Portier: Ahoi! Wohin der Kurs?
Jonas: Der Portier. Mensch, nicht Robot. Wie gesagt, Parn***s war altmodisch. Der Portier trug eine Schirmmütze und dunkelblaue Uniform mit Gold und Strippen. Ein Kommodore, mindestens.
Jonas: Ahoi, Hornblower. Zu Herrn Parn***s.
Portier: Stop! Drehen Sie bei oder ich feuere eine Breitseite. Zu welchem Herrn Parn***s?
Jonas: Sie haben mehrere?
Portier: Wollen Sie zu Herrn Platon Parn***s, zu Herrn Timon Parn***s, zu Bion Kriton Kliton Oton Glaukon Straton Lykon Cnon Parn***s, oder gar zum allergrößten und allerhöchsten Admiralissimus Solon Parn***s, möge er lange leben und blühen und gedeihen.
Jonas: Große Familie.
Portier: In der Tat, mein Herr, das sind wir.
Jonas: Ach, Sie gehören auch dazu?
Portier: Jawoll, mein Herr, und ich bin stolz darauf, Timoleon Parn***s, zu Ihren Diensten. Und Ihr werter Name?
Jonas: Jonas, nur Jonas.
Potier: Sie sind angemeldet, zu Herrn Jason Parn***s, Abteilung 17, Seniorenschiffe auf dem D-Deck, den Lift finden Sie an Backbord.
Jonas: Herr Jason Parn***s war Anfang dreißig, klein, dunkel, und ein Nineties-Fan, Silberring im linken Nasenflügel, Piercing-Stuts in Ohren und Zunge, Fastglatze, ultraweite Klamotten, überdimensionale Basketballtreter aus virtuellem Leder. Altmodischer Typ. Die Frau an seiner Seite gefiel mir besser, viel besser. Weil sie so aussah wie sie hieß.
Jason Parn***s: Aphrodite, meine Assistentin. Sie ist zuständig für die Kalispera.
Aphrodite: Und um die Kalispera geht es, Herr Jonas.
Jason Parn***s: Die Kalispera ist unser Seniorenschiff auf der Karibikroute.
Aphrodite: Ihre Aufgabe, Herr Jonas, ist es...
Jonas: Augenblick, ein Whisky gern, aber bitte nicht das Synthzeug, das Sie Ihrer Putzfrau zu Weihnachten schenken, nur ein Spritzer Soda, danke, ich nehme Platz. So, wenn das geregelt ist, fangen Sie noch mal an, in Ordnung?
Jonas: Jason lief rot an und ballte die Fäustchen. Aphrodite blieb cool. Sie öffnete eine Klappe in der Fast-Holzverkleidung und produzierte eine Flasche Metaxa. 13 Sterne. Kein Whisky, aber auch nicht schlecht. Jonas ließ es ruhig angehen. Mit einem großen Brandy-Soda. Zeit für eine Kurzinfo über die Seniorenversorgung in Babylon bzw. – Entsorgung, darf ich bitten, Herr Samuel.
Sam: Ha-Hatschi. Gesundheit. Danke. Herr Präsident, Frau Bürgermeisterin, Exzellenzen, Kommilitonen, Heiligkeiten, meine Daumen und Hirn.
Jonas: Kurzinfo, Sammy.
Sam: Jaja, ist ja gut. Also, die große Masse unsrer teuren Seniorinnen und Senioren, Volksrentner und –rinnen allzumal lebt, sofern man das so nennen kann, hähä, zu Babypsilon in privaten oder öffentlichen Institutionen, welche ab und an ausgekämmt werden, ausgedüngt, ausgemistet.
Jonas: Fall Ufo, Herbst 2013.
Sam: Ja natürlich. Wer mehr Moos sein eigen nennt, läßt sich nieder in angenehmeren Gefilden, hmh, zum Bleistift auf der Mittelmeerinsel Palmera.
Jonas: Fall Knochenarbeit, vor einem knappen halben Jahr.
Sam: Und die richtig Reichen kreuzen auf luxuriösen Seniorenschiffen in den Tropen herum, dideldum, im stillen Ozean, lauten Ozean, im indischen Ozean, in der karibischen See...
Jonas: Wie die Kalispera der Großreederei Parn***s, danke Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Zurück zur Story.
Sam: Was? Wohin?
Jason Parn***s: Mit der Kalispera stimmt was nicht.
Aphrodite: Das meint jedenfalls Frau von Kohlen und Reibach.
Jason Parn***s: Ihr Großvater ist auf der Kalispera, seit einem Jahr.
Aphrodite: Ab und zu ruft sie ihn an, liebevoll und pflichtbewußt.
Jason Parn***s: Besuchen kann sie ihn leider nicht. Sie hat überhaupt keine Zeit.
Aphrodite: Das intensive aufreibende Leben in der Society, wissen Sie. Außerdem neigt sie zur Seekrankheit.
Jason Parn***s: Unter uns, Herr Jonas, in der Regel kümmern sich die Hinterbliebenen, die Angehörigen wollte ich sagen, wenig um ihre Senioren.
Aphrodite: Sie sind froh, daß sie sie los sind.
Jonas: Und für ihr schlechtes Gewissen müssen sie zahlen. Ein Platz auf ihren Seniorenschiffen kostet mindestens 30.000 Euros im Monat, hab ich mir sagen lassen.
Aphrodite: Aber dafür bieten wir auch etwas, Herr Jonas.
Jason Parn***s: Jeden erdenklichen Luxus, beste Betreuung, absolut erstkl***ge medizinische Versorgung, alles vom Feinsten.
Jonas: Na wunderbar, und trotzdem hat Frau von Kohlen und Reibach was auszusetzen.
Aphrodite: Seit Wochen, sagt sie, kann sie ihren Großvater nicht erreichen. Er kommt nicht ans Fon, will nicht mit ihr reden...
Jason Parn***s: Verständlich, wenn man Frau von Kohlen und Reibach kennt.
Aphrodite: Sie glaubt, ihrem Großvater sei etwas zugestoßen, und die Schiffsführung versuche das zu verheimlichen, weshalb auch immer. Und sie behauptet, eine gute Bekannte, die auch jemanden auf der Kalispera hat, habe eine ähnliche Erfahrung gemacht.
Jason Parn***s: Frau von Kohlen und Reibach hat eine blühende Fantasie.
Aphrodite: Aber sie ist eine Golffreundin des Admiralissimus, sie hat ihn genervt.
Jason Parn***s: Und er, möge er lange leben, blühen und gedeihen, er nervt uns. Vor ein paar Tagen haben wir einen Mann unserer internen Aufsichtsabteilung zur Kalispera geschickt, einen diplomierten, staatlich geprüften Investigator, leider...
Aphrodite: Ein tragischer Unfall. Kurz vor der Landung auf dem Schiff ist sein Helikopter ins Meer gestürzt, keine Überlebenden.
Jonas: Zufall? Oder steckte was anderes dahinter. Aber vielleicht hatte auch Jonas eine blühende Fantasie. Apropos Jonas, was hatte die Sache mit mir zu tun?
Jason Parn***s: Der Admiralissimus besteht auf einer unabhängigen Untersuchung. Durch einen privaten Detektiv. Ihr Name kam ins Spiel, Herr Jonas.
Jonas: Ich soll auf die Kalispera.
Aphrodite: Als verdeckter Ermittler. Sie werden sich dort umsehen und nach ihrer Rückkehr dem Admiralissimus Bericht erstatten.
Jason Parn***s: Damit er sich beruhigt.
Jonas: Möge er lange leben, blühen und so weiter. Wieviel?
Jason Parn***s: Ihr Honorar meinen Sie? Soweit wir informiert sind, verlangen Sie für gewöhnlich 130 Euros pro Tag.
Jonas: 150 plus Spesen, aber das gilt nur für normale Fälle in und um Babylon, wenn ich in die Karibik reisen muß.
Aphrodite: Also, wieviel?
Jonas: 3000 Euros pauschal. Bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad das doppelte.
Jason Parn***s: 5000.
Aphrodite: Zeigen Sie ihm das Bild, Jason.
Jason Parn***s: Wie finden Sie dieses Holoporträt, Herr Jonas?
Jonas: Scheußlich, auf den Schreck brauch ich noch einen Brandy. Wer ist der häßliche Gnom? Das Phantom der Oper? Der Glöckner von Notre Dame?
Aphrodite: Das sind Sie, Herr Jonas.
Jonas: Hust, hust.
Jason Parn***s: Lassen Sie mich erklären. Abgebildet ist der vor kurzem verschiedene Großonkel einer meiner Ex-Partnerinnen. Sie, Herr Jonas, werden seine Identität übernehmen und sein Gesicht, per Plastiface.
Aphrodite: Und als genuiner betuchter Greis eine Suite auf der Kalispera buchen.
Jason Parn***s: So können Sie ohne Verdacht zu erregen ihre Aufgabe wahrnehmen.
Jonas: Mit diesem Gesicht.
Aphrodite: Sehen Sie es so, Herr Jonas, ein paar schöne Tage in der Karibik.
Jason Parn***s: Ein Kurzurlaub im schwimmenden Luxushotel.
Jonas: Mit diesem Gesicht.
Aphrodite: Und 5.000 Euros, Herr Jonas. Für einen streßfreien, absolut ungefährlichen Job.
Jonas: Davon war ich nicht überzeugt, ganz und gar nicht. Aber da war mein Kontostand. Und vor allem war da die Sehnsucht nach einem weißen Schiff auf blauem Meer, und nach der Sonne, sichtbar, strahlend, und warm. Jonas übernahm den Auftrag. Und ließ sich im nächsten Plastiface-Shop das neue Gesicht verpassen.
Sam: Igitt. Igittigitt. Gar nicht hinschauen darf man.
Jonas: Krieg dich ein, Sammy. Du wirst dich dran gewöhnen.
Sam: Niemals. Sieht aus wie ein Schlunz. Und wie lautet nunmehr dero werter Name, hm? Indem Sam doch wissen muß, wie er den Meister zu titulieren habe.
Jonas: Moment, die schöne Aphrodite hat mir’s aufgeschrieben, ja hier, äh, Jodokus.
Sam: Haha.
Jonas: Jaromir Jodokus.
Sam: Hehe.
Jonas: 69 Jahre.
Sam: 96 Jahre.
Jonas: Wäh. Immerhin n’anständiger Name. Mit Doppel-J.
Sam: Anständig? Jodukus? Der Name ist ein Jokus und Fokus und Fidibus.
Jonas: Stop, jede weitere Reimerei verbitte ich mir, ganz energisch.
Sam: Ja. Sind euer Ungnaden zu Hause für Chefinspektor kotz-Brock?
Jonas: Brock? Was wollen Sie?
Brock: Wenn ich Sie wäre, Jonas, würde ich in den nächsten Tagen nicht verreisen.
Jonas: Sie sind aber nicht Jonas, Brock, und was noch besser ist, ich bin nicht Sie.
Brock: Bleiben Sie zu Hause, Jonas, Babylon ist doch auch ganz schön.
Jonas: Ist Ihnen ein Aktenordner auf den Kopf gefallen?
Brock: Die Tropen können sehr ungesund sein. Man hört so dies und jenes in der zentralen Sicherheitsverwaltung. Lassen Sie sich raten, Jonas, fahren Sie nicht weg.
Sam: Ja wat denn nu? Hör mein Jonas, laß dir sagen, der Auftrag tut mir nicht behagen, er stinkt. Wenn Chefinspektor Brock irgendwie mit drin steckt.
Jonas: Egal. Brock hat mir gar nichts zu sagen. Ich fahre. Und du mein Sam kommst mit.
Sam: Ah, karibische Nächte, Kaipiri, Cua Libre, Limbo, Reggae und Calypso, dunkelhäutige Schönheiten mit Glutaugen und biegsamen Körpern.
Jonas: Wovon ein 96jähriger Greis etwa so viel hat wie, sagen wir ein Computer aus Metall und Plastik, Parole Rollstuhl, Sammy.
Sam: Hörgerät und Herzschrittmacher. Haarausfall, Hautausschlag.
Jonas: Harnkatheter.
Sam: Hirnverkalkung. In diesem Sinne, auf geht’s, Herr Jodukus. Blow, boys blow, for Californio, there’s plenty of golds, so I am told, on the banks of Sacramento... Mit biegsamen Körpern, Schönheiten, dunkle Cubra Libre, oah...
Jonas: Ein Panorama wie aus einem schicken Reiseprospekt. Holo. Hochglanz. Wunderschön. Und unwahrscheinlich bunt. Das Meer quietschblau, ganz weit hinten ein dunkler Streifen, das mittelamerikanische Festland, Costaguana, der Himmel fast so blau wie das Meer, eine strahlende Sonne aus Weißgold, keine Wolke. Nur ein dunkelblauer Helikopter mit dem großen roten P für Parn***s. Im Helikopter zwei Passagiere. Jonas, alias Jaromir Jodokus, und eine ehrwürdige Greisin in grün-gelb-geringelten Caprihosen. Sie hieß Jacobea Bond und wollte auch auf die Kalispera.
Jacobea Bond: Natürlich ist es teuer, aber ich sag immer: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Sein Geld kann der Mensch nicht mitnehmen. An meinem Lebensabend will ich es noch mal so richtig schön haben. Wie alt schätzen Sie mich, Jaromir? Jaromir?
Jonas: Ah, was?
Jacobea Bond: Wie alt, ich?
Jonas: Äh, wie jung, meinen Sie, Verehrteste, äh, 70?
Jacobea Bond: Hahaha, 89, im Oktober werde ich 90.
Jonas: Das... das... das glaub ich Ihnen nicht, Sie halten mich zum Besten, Teuerste.
Pilotin: Schnallen Sie sich bitte an, in Kürze landen wir auf der Kalispera.
Jacobea Bond: Da! Da ist sie!
Jonas: Was? Was? Wo? Ah, ja, schönes Schiff.
Jacobea Bond: So weiß und strahlend, aber so leer.
Jonas: Richtig. Wo waren Sie, die munteren Senioren, die liebenswerten Altchen? Auf dem Sonnendeck neben dem Swimmingpool, sah ich nur ein paar leere Liege-stühle und zwei leere Rollstühle am Heliport. Dahinter zwei muskulöse Geschöpfe in weißen Kitteln, vage weiblich. Miss Body und Miss Building. Eine trat vor, als Jaco-bea und ich aus dem Helikopter stiegen. Mühsam, wie es sich für alte Leute gehört.
Mai: Willkommen an Bord der Kalispera. Kapitän Parn***s, Zahlmeisterin Parn***s und Schiffsarzt Dr. Parn***s lassen sich entschuldigen. Ihre unermüdliche Arbeit zum Wohl von Schiff und Menschen verhindert ihre Anwesenheit. Seien Sie versichert, Sie werden sich bei uns wohlfühlen und wie alle unsere bisherigen Schutzbefohlenen, überhaupt nicht mehr von Bord gehen wollen. Setzen Sie sich in die Rollstühle.
Jacobea Bond: Wozu? Ich kann noch ganz gut laufen, am Stock.
Mai: In den Rollstuhl. So ist es besser, für Sie und für uns. Frau Jacobea Bond, meine Kollegin April wird Sie zu Ihrer Kabine auf dem C-Deck bringen.
Jacobea Bond: Wir sehen uns beim Essen, Jaromir.
Jonas: Ja.
Mai: Herr Jodokus, Sie haben eine unserer Luxussuiten auf dem A-Deck gebucht.
Jonas: Mit Privatterrasse und Blick auf den Pool, jawohl.
Mai: Ganz recht. Festhalten. Ich bin Ihre persönliche Stewardeß. Mein Name ist Mai.
Jonas: November hätte besser gepaßt. Und wenn sie wirklich Stewardeß war, dann hatte sie den Job in Sing-Sing gelernt. Aber die Suite war grandios. Ich kam mir vor wie Mr. Astor auf der Titanic, vor dem Eisberg. Aber der Eisberg war nahe und kam immer näher. Frau von Kohlen und Reibach hatte recht. Auf der Kalispera gingen seltsame Dinge vor. Warum war kein Mensch an Deck?
Mai: Es wird Ihnen erstaunlich vorkommen, Herr Jodukus, aber man kann auch von der Sonne zuviel kriegen. Ihre Mitpassagiere sind unter Deck. Ein paar machen mit dem Schiffshelikopter einen Ausflug nach Costaguana. So, und Sie legen sich jetzt brav hin.
Jonas: Aber, aber ich will mir das Schiff ansehen.
Mai: Morgen. Jetzt wird geruht. Möchten Sie was trinken?
Jonas: O ja, hehehe.
Mai: Ich bringe Ihnen einen schönen Kräutertee.
Jonas: Pfui Teufel! Whisky!
Mai: Kommt nicht in Frage, erst muß der Doktor Sie untersuchen. Ich laß Sie jetzt allein, aber ich bleibe in der Nähe, falls Sie was brauchen.
Jonas: Was?
Mai: Ja, damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen, zum Beispiel Ihre Suite zu verlassen.
Jonas: Sammy?
Sam: Bei der Arbeit. Was steht zu Diensten, Leuchter des Weltalls.
Jonas: Wozu hab ich dich mitgebracht?
Sam: Nanananana.
Jonas: Gib mir einen Rat, was soll ich tun?
Sam: Ja, was sollste tun, was sollste tun? Abwarten. Abwarten und Kräutertee trinken. Jojojo, und ne Buddel voll Rum, dumdum.
Jonas: Was blieb mir übrig. Ich setzte mich auf die Terrasse, mit Blick auf den leeren Pool, das leere Sonnendeck, das leere Promenadendeck, keine Bewegung, kein Laut, richtig unheimlich. Es wurde abend. Die Sonne stand tief. In der Ferne leises Knattern. Näher. Lauter. Der Schiffshelikopter landete auf der Kalispera. Aber es stiegen keine fröhlichen Ausflügler aus der Luke, nur eine Frau. Ein Weißkittel nahm sie in Empfang, mit schußbereiter Maschinenpistole. Die Frau hob die Hände. Verblüfft, wie es schien, und wurde sofort unter Deck gebracht.
Sam: Eiverbibsch, da wird doch der Storch in der Pfanne verrückt. Hast du sie erkannt, Kumpel?
Jonas: Ich kann noch ganz gut sehen mit meinen 96 Jahren. Das war Karla.
Sam: Karla, die Chefin der babylonischen Stadtguerilla. Was hat die auf der Kapislehra, Korrektur, Kalispera zu suchen?
Jonas: Das war die Frage. Schon einige Male hatten sich die Wege von Jonas und Karla gekreuzt. Sie war so eine Art gute alte Feindin. Wir mochten uns, irgendwie. Und wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, einander das Leben zu retten. Zuletzt im Unterwelt-Fall. Mai 2014. Karlas Auftauchen an Bord machte die unerklärliche Geschichte noch unerklärlicher. Und unerklärlich ging’s auch gleich weiter. Der Helikopter stieg auf, flog ein paar Meter zur Seite, aus der offenen Luke fielen fünf Kisten, länglich, 1 mal 2 Meter. Sie fielen ins Meer, und gingen sofort unter. Der Helikopter verschwand am Horizont.
Jonas: Sahen aus wie Särge, die Kisten.
Sam: Man gongt zum Dinner, Sir. Abendgarderobe erforderlich, wenn Sie den Hinweis gestatten, Sir.
Jonas: Du meinst, ich soll mich umziehen, Sam.
Sam: Zum festlichen Dinner auf der Kalispera trägt der sowohl wohlgekleidete als auch wohlberatene Gentleman Smoking und Laserstruller, Korrektur, -Strahler, letzteren tunlichst unauffällig in der Tasche, Sir.
Jonas: Zusammen mit einem kleinen Computer namens Sam, mit all diesen notwendigen Dingen versehen, setzte Jonas sich in den Rollstuhl und klingelte die schöne Mai herbei, auf daß sie ihn in den Speisesaal rolle. Im ganzen großen Speisesaal der Kalispera stand nur ein einziger kleiner Tisch, ansonsten war er so leer wie das Deck. Abgesehen von einem halben Dutzend kräftiger Gestalten an der Wand, in weißen Kitteln, mit Maschinenpistolen. Mai schob mich an den Tisch.
Mai: So. Bleiben Sie im Rollstuhl.
Jonas: Wo sind die anderen?
Mai: Welche anderen?
Jonas: Frau Jacobea Bond zum Beispiel.
Mai: Nie gehört. Sie sind unser einziger Gast, Herr Jonas.
Jonas: Jodukus!
Mai: Lassen Sie doch die Geheimnistuerei. Wir wissen, wer Sie sind, und weshalb Sie auf die Kalispera gekommen sind. Wir haben Sie erwartet. Die Speisekarte.
Jonas: Ich hab keinen großen Hunger.
Mai: Sie sollten tüchtig zulangen, Herr Jonas, dies hier dürfte die letzte Gelegenheit sein, ihr letztes Abendmahl sozusagen.
Jonas: Oder auch die Henkersmahlzeit. Das Menü war reichhaltig. Austern, Cosome Olgar, pouschierter Lachs, File Mijo, Spargelsalat, Pfirsiche in Chartrö, kein Synth, alles echt. Auf der Kalispera ließ es sich leben, und sterben, wie’s aussah. Jonas langte zu, in Maßen. Dabei sah ich mich um. Fenster und Türen waren bewacht. Bis auf eine Tür, eine kleine, zu einem Nebenraum. Darin der Speisenaufzug, aus der Küche in den unteren Regionen. Eine Spüle, ein Wandschrank.
Sam: Na wonderbra, ne, wunderbar. Da geht’s raus, Genosse.
Jonas: Das seh ich nicht, Sammy. Der Nebenraum ist eine Sackgasse. Nur eine Tür. Zum Speisesaal.
Sam: Zweifelsohne. Doch ist euer optischen Beschränktheit nicht aufgefallen, daß besagte Tür einen Schokoriegel, wat, ne, ohne Schoko, einen Riegel an der Innenseite ihr eigen nennt.
Jonas: Na und? Was bringt das? Kein Fenster.
Sam: Statt dessen ein Hinter- oder auch Notausgang, nes pa?
Jonas: Den Aufzug meinst du? Hmh. Mai, räumen Sie ab, und wenn Sie damit fertig sind, bringen Sie mir Kaffee, Cognac und eine Havanna.
Mai: Selbstverständlich, Herr Jonas, was immer Sie wünschen, Herr Jonas, und danach haben wir noch ein ganz spezielles Dessert Surprise für Sie. Au!
Jonas: Mai hatte ihre Augen auf dem Tisch. Jonas sprang aus dem Rollstuhl und rammte ihn Mai in die Kniekehlen, sie ging zu Boden, mitsamt dem Geschirr. Ehe die Typen an der Wand was unternehmen konnten, war Jonas im Nebenraum, machte die Tür zu, schob den Riegel vor, schnell. Zum Glück war nur mein Gesicht 96. Muskeln, Sehnen, und Knochen waren jünger, einige Jahrzehnte. Zum Speisenaufzug. Ein Druck auf den Knopf und er ratterte nach unten. Ohne Jonas. Der blieb, wo er war, und quetschte sich in den Wandschrank. Vom Greis zum Gummimenschen in 10 Sekunden. Reife Leistung.
Mai: Wo steckt der... Der Aufzug! Er fährt im Aufzug runter. Los, zum Fahrstuhl, wir fangen ihn in der Küche ab.
Jonas: Alle weg.
Sam: Bis auf Jonas. Und der sollte auch die Kurve kratzen. Dieweil es demnächst hiererorts recht ungemütlich zu werden verspricht.
Jonas: Wohin, Sammy?
Sam: Sie suchen dich unten.
Jonas: Also bleib ich oben.
Sam: Ganz oben. Bootsdeck. Welches so heißt, weil da die Boote sind, wa? Die Rettungsboote, Mann. Verstehen wir uns, mein Bester?
Jonas: Aber sicher. Ich suchte mir ein passendes Boot aus, ein Boot im Dunkeln, vorn, im Bug, wie Leichtmatrose Sam sagen würde, ich machte die Persenning ein Stück weit auf, kroch rein, machte wieder zu, derweil erfreute mich Sam mit nautisch-musikalischen Darbietungen.
Sam: Das Monat ob seren tu trieven, dat is gottverdammich nich lich, das ist gottverdammich nich lich.
Jonas: Bravo.
Sam: Euer Lordschaft wünschen eine Zugabe? Bitte sehr, bitte gleich, bitte hier.
Jonas: Nein.
Sam: What shall we do with the drunken sailor?
Jonas: Stop, Konzert vorbei, Schluß mit lustig.
Sam: Warum das?
Jonas: Jetzt wird gearbeitet.
Sam: Was denn?
Jonas: Was geht auf der Kalispera vor, Sammy?
Sam: Ja, was ganz ganz beschissenes, Mann, halten zu Gnaden.
Jonas: Klar, aber was?
Sam: Melde gehorsamst, man klöpfet.
Jonas: Das hör ich.
Sam: Ja willst du denn nicht mal nachkücken, wer da ist?
Jonas: Jonas wollte eigentlich nicht. Aber er tat es trotzdem. Ich hob die Persenning. Draußen stand ein Marsmensch. Mit großen Glupschaugen. Und einem Laserstrahler. Das war in Ordnung. Ich hatte auch einen.
Jacobea Bond: Guten Abend.
Jonas: Oh, Jacobea Bond, hähä, fast hätte ich Sie gelasert.
Jacobea Bond: Sie mich? Ich Sie!
Jonas: Glauben Sie, Sie sind schneller?
Jacobea Bond: Könnten wir diese Frage später klären, Sie gestatten, daß ich nähertrete.
Jonas: Bitte sehr. Machen Sie es sich bequem. Nehmen Sie Ihre Infrarotbrille ab.
Jacobea Bond: Damit habe ich gesehen, wie Sie ins Boot geklettert sind, Jonas.
Jonas: Und sind mir nachgekommen. Jonas?
Jacobea Bond: Hmh, ich weiß, wer Sie sind.
Jonas: Alle wissen, wer ich bin, wird Zeit, daß ich auch mal was weiß. Wer sind Sie?
Jacobea Bond: Wie alt schätzen Sie mich?
Jonas: Das Spiel hatten wir schon, Jacobea.
Jacky: Jacky. Nennen Sie mich Jacky, ich bin 32.
Jonas: Außerdem, sagte sie, war sie Agentin des GD, des Babylonischen Geheimdiensts, der hatte bekanntlich seine Augen und Ohren überall, auch bei der Großreederei Parn***s. Und da stimmte was nicht, hatte der GD festgestellt. Das konnte man laut sagen.
Jacky: Wir haben einen interessanten Hinweis bekommen, die berüchtigte Stadtguerilla wird hier in Aktion treten, auf der Kalispera.
Jonas: Was Sie nicht sagen.
Jacky: Deshalb bin ich hier. Ich soll mich mal umsehen, vergreist, per Plastiface.
Jonas: Ich auch.
Jacky: Hm, das wußten wir. Oberst Frank war gar nicht erfreut, er hat Brock von der Kripo Anweisung gegeben, Sie zurückzuhalten.
Jonas: Das hat er versucht, der gute Brock.
Jacky: Offensichtlich ohne Erfolg. Ja, um so besser. Jetzt sind wir zu zweit.
Jonas: Falls ich mich mit Ihnen zusammentue, Jacky.
Jacky: Das sollten Sie, Jonas. Wissen Sie, was auf der Kalispera vorgeht?
Jonas: Och, die Frage kommt mir irgendwie bekannt vor.
Jacky: Wissen Sie’s?
Jonas: Nein.
Jacky: Aber ich. Ich zeig’s Ihnen. Kommen Sie mit.
Jonas: Wohin?
Jacky: Unter Deck. Folgen Sie mir.
Jonas: Sie hatte die Infrarotbrille. Ich folgte. Zuerst zu einem Aufzug. Dann nach unten, ganz nach unten. Bis das Schiff zu Ende war, in den Kielraum, oder heißt es Orlopdeck? Egal. Unten ging’s horizontal weiter. Durch ein Labyrinth von engen Gängen, vorbei an flüsternden Maschinen. Neue Gänge, plötzlich blieb Jacky stehen.
Jacky: Wir sind da. Hier wollte sie mich für immer ablegen, April, meine sogenannte Stewardeß.
Jonas: Aber Sie wollten nicht.
Jacky: Ich hab meinen Laser aus dem Handtäschen gekramt und sie getötet. Die Leiche hab ich in einem leeren Lagerraum versteckt, gleich nebenan.
Jonas: Und wo sind wir hier? Es stöhnt und stinkt. Kanalisation? Knast?
Jacky: Hier. Sehen Sie mal durch.
Jonas: Durch die Infrarotbrille wurde das schwarze Loch grün und das Dunkel heller. Wir standen in einem größeren Raum vor einer Gitterwand, dahinter Menschen, alte Menschen, etwa zwei Dutzend, fast nackt, im eigenen Dreck. Beulen und Geschwü-re, Hungerbäuche und dürre Rippen, stumpfe Augen, monotone Bewegungen.
Jonas: Uh, das ist es also. Aber warum nur so wenige?
Jacky: Die anderen sind längst über Bord. Wie der Kapitän, die Zahlmeisterin, der Doktor, alle, alle die nicht mitspielen wollten. Ein paar Alte mußten sie aufheben, damit sie sie im Notfall den besorgten Verwandten am Bildfon präsentierten können.
Jonas: Sie? Wer? Mai?
Jacky: Mai, Oberschwester, Leiterin der Pflegeabteilung und einige ihrer Untergebenen. Sie haben die Kalispera übernommen und k***eren jeden Monat für rund 500 Senioren, die es nicht mehr gibt, oder die kaum was kosten.
Jonas: Bombengeschäft.
Jacky: 10 Millionen im Monat, wenn nicht mehr.
Jonas: Apropos Bombe, haben Sie gesehen, Jacky, rechts an der Wand die Kiste, Sentex steht drauf, und daneben, sieht aus wie ein Zeitzünder, nicht aktiviert, das sollten wir uns mal genauer ansehen.
Jacky: Später. Kommen Sie, Jonas. Schnell.
Jonas: Ein winziger Lichtpunkt, weit entfernt, er kam näher, wurde größer, immer näher, immer größer, dazu Schritte, Stimmen. Jacky zog mich durch eine Tür in einen leeren Raum. Ganz leer war er nicht. Auf dem Boden lag eine Frau im weißen Kittel, April, ein Laserloch zwischen den Augen. Durch den Türspalt konnten wir sehen, nicht viel, aber es reichte. Mai und ein Begleiter, kräftig und weißbekittelt. Mit Maschinenpistole und starker Lampe.
Juli: Ich frag mich, wo April steckt.
Mai: Seit sie den Neuzugang nach unten gebracht hat, ist sie verschwunden. Und dieser Schnüffler, dieser Jonas, muß sich ja auch irgendwo rumtreiben.
Juli: Wir sollten ein Suchkommando organisieren, Mai.
Mai: Keine Zeit, Juli, vielleicht morgen, jetzt hat Karla Priorität, das heißt, ihre zweite Botschaft an Parn***s, diesmal nicht nur über Funk, diesmal visuell, per Holo, oben auf Deck, wegen der Dramatik.
Juli: Wen nehmen wir?
Mai: Na, der da sieht doch noch ganz passabel aus, hol ihn raus.
Juli: Ich muß ihn aber noch waschen und ihm was anziehen.
Mai: Beeil dich, in einer halben Stunde brauch ich ihn an Deck. Für den großen Auftritt mit Karla. Liveübertragung nach Babylon.
Jonas: An Deck. Das war unser Stichwort. Als Mai und Juli mit dem apathischen Alten verschwunden waren, verschwanden wir auch. Ganz schnell. Jacky hatte den Plan der Kalispera gut studiert, besser als Jonas, und brachte uns in einer Viertelstunde zurück zur Basis, ins Rettungsboot.
Jacky: Eine Holo-Livesendung wollen sie machen, mit Karla von der Stadtguerilla und dem Alten, nachts, an Deck, wozu, was soll das?
Jonas: Keine Ahnung. Du, Sammy? Sammy!
Sam: Oh, man geruht doch tatsächlich sich Sams zu erinnern. Kaltherzig hat man ihn in die Tasche gesperrt, den alten kleinen Computer, abgeschaltet hat man ihn, zum Stillschweigen verdammt.
Jonas: Ich schalt dich sofort wieder ab, wenn du nicht mit dem Lamentieren aufhörst. Hast du was konkretes beizutragen?
Sam: Well, wait. Wait and see, Samiel spricht, es werde Licht, und siehe, es wird Licht, on the banks of Sacramento.
Jonas: Wie man’s nimmt. Eigentlich am Heliport. Da gingen plötzlich die Scheinwerfer an und machten die Nacht zum Tage, wie man so sagt. Eine kleine Prozession m***ierte ins grelle Licht. Mai, Juli mit seinem Alten, der war jetzt gesäubert und mit einem weißen Bademantel bekleidet, aber noch genauso apathisch wie unten. Lithium oder Valium. Dann kam Karla zwischen zwei maskierten Frauen in schwarz, mit Maschinenpistolen. Zum Schluß ein Weißkittel mit Holokamera. Unter den Scheinwerfern arrangierten Mai und ihr Kameramann ein Gruppenbild um Karla. Jacky und Jonas sahen zu, unter der leicht angehobenen Persenning, in der ersten Reihe. Gute Sicht, gute Akustik.
Mai: So bleiben. Kein falsches Wort, Karla, keine falsche Bewegung, wenn Sie nicht spuren, brechen wir sofort ab und kümmern uns nur noch um Sie. Langwierig und ausgiebig, ist das klar?
Karla: Ja.
Mai: Gut. Wenn die Kamera läuft, sagen Sie folgendes: Ich wiederhole meine Forderung an die Großreederei Parn***s, die ich bereits gestern 20 Uhr über Schiffsfunk gestellt habe. 100 Millionen Euros in Diamanten für die Stadtguerilla, wenn sie uns nicht bis heute abend 20 Uhr ausgehändigt werden, sterben alle Senioren auf der Kalispera. Es lebe die Revolution. Verstanden?
Karla: Ja.
Mai: Dann zeigen Sie nach links und sagen, damit Sie sehen, daß wir es ernst meinen, die Kamera schwenkt nach links auf den Alten und auf August. Alles klar? Dann mal los, Karla auf der Kalispera, Take 1, das erste und einzige Mal.
Jonas: Die Kamera lief, Karla sagte ihren Text auf, die Kamera schwenkte, eine der schwarzen Frauen hob die Maschinenpistole und mähte den Alten im Bademantel um. Die Kamera stoppte. Mai war zufrieden.
Mai: Sehr schön. Expressiv, dramatisch, dringlich.
Karla: Wie geht’s weiter?
Mai: Wir warten, bis die Diamanten kommen, und die werden kommen, da bin ich sicher, dann, werteste Karla, sind Sie überflüssig und werden entsorgt.
Karla: Was ist mit meinen Leuten? Wo sind Sie?
Mai: Immer noch in den Kisten, in denen sie unbemerkt an Bord kommen sollten, aber nicht mehr im Helikopter, sondern in der schönen blauen Karibik. Wir wußten Bescheid und haben sie gleich aus dem Verkehr gezogen.
Karla: Sie haben uns in eine Falle gelockt. Die Kalispera mit ihren reichen Alten haben Sie uns als Köder ausgelegt und wir haben angebissen. Es geht Ihnen überhaupt nicht um die Sache.
Mai: Sache? Mein Gott Ihre Sache, Freiheit, Gleichheit, Revolution, total veraltet, Sie sind 30 Jahre zurück, Karla, heute gibt es nur eine Sache: money, money, money.
Karla: Aber warum haben Sie dann uns auf die Kalispera geholt?
Mai: Na, weil Sie ein wunderbarer Sündenbock sind, oder, oder Sündenziege, sagt man das? Mit Ihrer geschätzten, wenn auch unfreiwilligen Hilfe können wir unseren großen Fischzug sauber und profitabel abwickeln. Es wird einen Knall geben und die Kalispera wird mit Ihnen und den restlichen Alten verschwinden, nach unten, wir werden auch verschwinden, aber in eine ganz andere Richtung, mit vielen Millionen in Bar und in Diamanten, und alle Welt wird Karla und die Stadtguerilla verantwortlich machen.
Jonas: Als wir in unserem Boot aufwachten, Jacky und ich, war es hell, vormittag, ein Geräusch hatte uns geweckt, ein Helikopter, ein kleiner blauer Zweisitzer mit dem roten Parn***s-P. Er kreiste über der Kalispera, wieder waren sie alle am Heliport, Mai, Karla, die restlichen Monate, diesmal nicht als Holocrew, diesmal als Empfangskomitee. Der Helikopter landete, zwei Figuren stiegen aus, Jason Parn***s im dunkelgrauen Ninetees-Look, gekrönt von einer schwarzen Baseballkappe, und Aphrodite, weiter weißer Hut, weißes Sonnentop, knappe weiße Shorts, wunderschön und schaumgeboren. Als die Rotorblätter stillstanden, griff Jason hinter den Sitz, zog einen schwarzen Aktenkoffer heraus. Bewegung ging durch die Kalisperatruppe, darauf hatten sie gewartet.
Jason Parn***s: Die Diamanten, im Wert von 100 Millionen Euros, wie Sie’s verlangt haben.
Mai: Geben Sie her. In Ordnung, erschieß ihn, Juli.
Jason Parn***s: Was? Ah!
Mai: Aphroherzchen, komm in meine Arme.
Aphrodite: Wir haben es geschafft, Maischätzchen.
Jonas: Eine heiße Begrüßung. Der tote Jason wurde derweil über die Reling befördert, und der letzte noch fehlende Stein im großen Kalisperapuzzle klickte ein.
Jacky: Eigentlich klar. Jemand im Parn***s-Hauptquartier mußte am Coup beteiligt sein.
Jonas: Und wer ist geeigneter als die Person, die für die Kalispera zuständig ist.
Jacky: Ich nehme an, Mai und Aphrodite haben die Sache gemeinsam geplant.
Jonas: Mai hat die Kalispera in ihre Gewalt gebracht, und Aphrodite hat dafür gesorgt, daß die Gelder aus Babylon weiter flossen.
Jacky: Bis Frau von Kohlen und Reibach was merkte und den alten Parn***s anspitzte.
Jonas: Da wurde den beiden die Sache zu heiß. Sie beschlossen ein Ende zu machen.
Jacky: Und dabei noch mal ganz groß abzuk***eren. Hm, Mai kennt Karla, sie war vor Jahren bei der Stadtguerilla.
Jonas: Ach was? Das wußte ich nicht.
Jacky: Aber der GD. Mai nahm Verbindung zu Karla auf und überredete sie, die Kalispera zu kidnappen. 500 betuchte Greissinnen und Greise, das hätte ein gewaltiges Lösegeld gegeben.
Jonas: Es gab ein gewaltiges Lösegeld. 100 Millionen in Diamanten. Nur Karla hat nichts davon.
Jacky: Sie hat ihre Rolle ausgespielt. Es wird ihr gehen wie Jason Parn***s und wie ihren fünf Stadtguerilleros. Und das ist gut so.
Jonas: Jonas sah das anders. Jonas hatte was übrig für Karla, außerdem, Jonas gehörte nicht zum GD und hatte nicht den Auftrag, die Stadtguerilla zu liquidieren. Abwarten. Die Schöne und das Biest hatten sich inzwischen voneinander gelöst. Es gab viel zu tun. Die letzte Runde war eingeläutet.
Mai: Maschinen stop! Laßt das große Rettungsfloß zu Wasser. Aphroherzchen, kümmerst du dich um Karla?
Aphrodite: Liebend gern. Und du, Maischätzchen?
Mai: Ich gehe nach unten und aktiviere die Bombe.
Aphrodite: Hm.
Mai: Du kommst mit, Juli. Bin gleich wieder da, Herzchen.
Jonas: Aphrodite warf ihr eine Kußhand zu, graziös, hinreißend. Dann ließ sie sich eine Maschinenpistole geben und trieb Karla vor sich her, bis an die Reling. Karla sollte springen. Sie wollte nicht, verständlicherweise. Jonas zog den Laser.
Aphrodite: Spring!
Jonas: Es war Zeit, einzugreifen.
Aphrodite: Spring endlich, du Schlampe!
Jonas: Aphrodite wurde ungeduldig.
Aphrodite: Wie du willst, dann helf ich nach.
Jacky: Jonas, was tun Sie?
Jonas: Ich ziele.
Jacky: Auf Karla?
Jonas: Nein, auf Aphrodite.
Aphrodite: Ah!
Jonas: Getroffen.
Sam: Blow the mandownblow...
Jacky: Mein Laser, er funktioniert nicht.
Jonas: Ich habe mir erlaubt, ihn zu entladen, heute nacht, als Sie schliefen.
Jacky: Aber wieso? Wir arbeiten doch zusammen.
Jonas: Nicht gegen Karla.
Jacky: Ich muß mich doch wehren. Die schießen auf uns.
Jonas: Keine Angst, mit den paar Monaten wird Jonas ganz allein fertig.
Jonas: Außerdem war ja Karla auch noch da. Sie hatte sich Aphrodites Maschinenpistole geschnappt, war hinter einem Schornstein in Deckung gegangen, und half tatkräftig mit, Mai’s Leute auszuschalten. Das war bald erledigt. Jonas stieg aus dem Boot und machte Karla klar, wer er war. Immerhin sah ich noch aus wie der gute alte Jodokus. Wir hielten uns nicht lange auf mit Begrüßungen und Erklärungen, an Deck war alles klar, aber unter Deck gab’s noch einiges zu tun. Für Jonas, für Karla, und für Jackie. Die mußte mit, ob sie wollte oder nicht, sie fand sich im Schiffsbauch am besten zurecht. Wir schlichen uns an, leise, vorsichtig, hielten uns außerhalb des Lichtkegels. Von dem Krawall an Deck hatten Mai und Juli offenbar nichts mitbekommen. Mai war dabei, den Zeitzünder für die Sprengladung einzustellen, in aller Ruhe, ihre MP hatte sie abgelegt, Juli paßte auf, er wirkte nervös, statt Ausschau zu halten, sah er Mai auf die Finger. Karla erschoß ihn, dann griff sie sich seine Waffe und die von Mai. Mai fuhr hoch.
Mai: Jonas!
Jonas: Alias Jodukus nebst Begleitung, bleiben Sie stehen, Mai.
Jacky: Nehmen Sie die Hände hoch.
Jonas: Jacky, Sie greifen ihr in die Kitteltasche und nehmen den Schlüssel zum Käfig. So, schließen Sie auf, holen Sie die Alten raus.
Jonas: Karla half ihr, Jonas behielt Mai im Auge und im Visier seines Lasers. Es dauerte ein bißchen, bis alle Alten draußen waren, sie waren klapprig und vollgepumpt mit Ruhigstellern, die zwei Frauen zerrten und schoben und zogen, bis der Käfig leer war. Genügend Platz für eine einzelne Person mit breiten Schultern. Mai zierte sich, aber ein frisches Laserloch im Kittelsaum überzeugte sie schnell. Jonas schloß ab und steckte den Schlüssel ein. Der neue Aufenthaltsort gefiel Mai gar nicht. Sie wollte raus.
Mai: Die Bombe! In einer halben Stunde geht sie hoch, lassen Sie mich raus!
Jonas: Richtig, die Bombe, tickt munter vor sich hin.
Sam: Fire, fire, fire down below, fetsche backe tofotabeus, fire down below.
Jonas: Singen kannst du, Sammy.
Sam: Ja.
Jonas: Aber kannst du auch den Zünder deaktivieren?
Sam: Ja aber ganz gewiß doch, Hochwürden, gib mir nur ein zwei Stündlein Zeit, bis daß ich den Speicher vom Programm befreit.
Jonas: Das dauert zu lange. Alternativvorschlag?
Sam: Laß ticken Kumpel und hau ab.
Jonas: Auch gut. Alle Mann an Deck.
Sam: Und alle Frau. Und alle Computer.
Jonas: Eine Frau bleibt hier.
Mai: Nein! Lassen Sie mich raus!
Jonas: Wir dachten nicht daran. Wir hatten genügend damit zu tun, die Alten nach oben zu scheuchen und das Rettungsfloß für sie klar zu machen. Jemand mußte das Floß übernehmen, bei den Alten bleiben.
Karla: Wer macht das?
Jonas: Sie natürlich, Jacky.
Jacky: Warum ich? Ich bin keine Seniorenbetreuerin.
Jonas: Sie sind im öffentlichen Dienst.
Sam: Im öffentlichen Dunst, haha, das ich nicht kichere.
Jonas: Sie haben geschworen, das Wohl Babylons und aller seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Karla: Außerdem haben Sie keine Wahl, weil Sie keine Waffe haben.
Jonas: Grämen Sie sich nicht, Jacky, Sie werden einen Orden kriegen.
Jacky: Von wem? Oberst Frank?
Jonas: Von der Bürgermeisterin oder vom roten Kreuz.
Sam: Oder von mir.
Jonas: Und denken Sie an die reichen Verwandten unserer Alten. Die werden sich freuen, wenn sie Opa und Oma zurückkriegen und sich erkenntlich zeigen.
Jacky: Glauben Sie wirklich?
Jonas: Tja, wenn Sie mich so direkt fragen.
Jacky: Warum fahren Sie nicht mit den Alten, Jonas?
Jonas: Weil ich den Helikopter nehme.
Karla: Ich komme mit.
Sam: Ich auch.
Jonas: Und der Diamantenkoffer.
Jacky: Sieh mal an.
Jonas: Treuhänderisch. Für die Großreederei Parn***s. Sie ist meine Auftraggeberin, ich bringe ihr das Lösegeld zurück, das gehört sich so.
Sam: Ja, ist er nicht ethisch, mein Jonas, ist er nicht moralisch, was, hmhm.
Jonas: Die Bombe. Ein Zittern lief durch die Kalispera. Sie begann zu sinken, nach vorn, über den Bug, wie einst vor 100 Jahren die Titanic, stilvoll und würdig. Mit vereinten Kräften hievten wir die Alten ins Rettungsfloß. Jacky übernahm das Kommando und das Steuer, das Ruder, die Pinne, wie immer das heißt. Jonas und Karla stiegen in den Helikopter, wir starteten und drehten ein paar Runden, bis die Kalispera untergegangen war, dann verabschiedeten wir uns von Jacky und ihren Schutzbefohlenen.
Jonas: Und jetzt Kurs Babylon.
Karla: Ich bin für Brasilien. Da fühl ich mich sicherer.
Jonas: Mag sein, aber ich hab das Steuer.
Karla: Aber nicht mehr lange. Ich übernehme. Lassen Sie den Knüppel los. Suchen Sie Ihren Laser, Jonas? Den habe ich Ihnen vorhin aus der Tasche gezogen und über Bord gehen lassen.
Jonas: Ich habe Ihnen vertraut, Karla.
Karla: Vertrauen ist gut, Jonas.
Sam: Aber Kontrolle ist besser, Dämlack, Idiot, Volltrottel, Kackstiefel.
Karla: Also geben Sie mir schon das Steuer. Ich würd Sie nur ungern umbringen.
Jonas: Vielen Dank. Wir tauschten die Rollen, Karla übernahm das Steuer, sie war ein Profi und ließ mir keine Chance. Sie behielt immer eine Hand am Laser, und die Lasermündung zeigte auf meine Schläfe. Karla ging tiefer.
Karla: Springen Sie ab, Jonas.
Jonas: Ins Wasser?
Karla: Ja wohin denn sonst?
Jonas: Also das finde ich ausgesprochen unnett von Ihnen, Karla.
Karla: Ich bin sogar sehr nett zu Ihnen, Jonas, ich fliege tief und langsam, damit Sie sich beim Aufschlag nichts tun. Sie dürfen Ihren äh Sam mitnehmen.
Sam: Wuäh, Sam ist wasserscheu.
Jonas: Dich fragt keiner, Sam.
Karla: Einen Rettungsring kriegen Sie auch, nur den Diamantenkoffer, den nehme ich, für die Revolution, alle hopp.
Jonas: Wir sehen uns, Karla.
Sam: Jironimo.
Karla: Adios, Jonas!
Jonas: Glühende Mittagshitze, absolute Windstille. Auf dem glatten Blau der Karibik treibt ein Rettungsring, darin ein leicht verdatterter Privatdetektiv, Sonnenbrand auf der Nase, grimmige Gedanken im Herzen, und in der Brusttasche einen kleinen, aber lauten Computer.
Sam: Jonnie, o I drink whisky when I can, o whisky for my Jonnie.
Jonas: Schön wär’s, Sammy. Wir haben nicht mal Trinkwasser.
Sam: No whisky, no cry. OK man, neues Lied, drei vier. Rolling home, rolling home, rolling home across the sea...
Jonas: Sammy, du nervst.
Sam: Rolling home to dear old Babylon, where my hearts so longs to be, rolling home, rolling home, rolling home across the sea, rolling home to dear old Babylon, where my heart to longs to be.
Das war Traumschiff. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Esther Hausmann, Philipp Moog, Tanja Schleiff, Simone Solga, Jochen Striebeck, Saskia Vester und andere (Michael Vogtmann, Hans Jürgen Stockerl, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber, Anita Schlierf). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.